Eilmeldungen sind das neue Clickbaiting

Medienkritik Seit es möglich ist sich Nachrichten via News-App auf sein schlaues Handy senden zu lassen, sind die Eilmeldungen zum neuen Spam der digitalen Kommunikation mutiert.

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Getrieben von der hohen Schlagzahl der Eilmeldungen
Getrieben von der hohen Schlagzahl der Eilmeldungen

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Seit es möglich ist sich Nachrichten via News-App auf sein schlaues Handy senden zu lassen, sind die Eilmeldungen zum neuen Spam der digitalen Kommunikation mutiert. Einige Medien sind dazu übergegangen prinzipiell erst einmal alles, was als Push-Mitteilung an das Handy gesendet wird mit dem Codewort „Eilmeldung“ zu versehen. Es eilt, es ist wichtig. Schnell, bitte lies mich! Bei manchen dieser Eilmeldungen muss man sich als Medienkonsument allerdings fragen, was daran jetzt so wichtig war, dass es schnell über die News-App herausgegeben werden musste. In Funk und Fernsehen, lassen sich Eilmeldungen nicht im selben Ausmaß im laufenden Programm unterbringen wie im Internet. Die Häufigkeit, mit der Eilmeldungen über das Internet herausgegeben werden, rauben dem Begriff seine Bedeutung.

Ist es von großer Dringlichkeit, während einer Landtagswahl die x-te Hochrechnung von 20 Uhr an alle halbe Stunde mitgeteilt zu bekommen? Heute, am 12.09.17, konnten viele auf ihren Smartphones die Eilmeldung lesen, dass die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess für Beate Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung fordert. Wer noch nicht ganz wach war hätte meinen können, Beate Zschäpe wäre bereits zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Man könnte hier noch einräumen, dass es sich um einen besonderen Prozess handelt, der schon einige Jahre dauert und großes Medieninteresse auf sich gezogen hat. Das stimmt, aber die Eilmeldung beinhaltet keine unerwartete Wendung oder ein besonderes Ereignis. Jede Staatsanwaltschaft und auch die Bundesanwaltschaft kommen in jedem Verfahren irgendwann an den Punkt, am Ende eines Verfahrens, das Strafmaß für den Angeklagten festzulegen und zu fordern. Eine Eilmeldung wäre es in diesem Fall gewesen, wenn es von Seiten der Angeklagten Zschäpe noch irgendeine Äußerung gegeben hätte, die das Verfahren in einem neuen Licht hätte erscheinen lassen. Allerdings ist es dafür etwas zu spät, weil der NSU-Prozess sich allmählich seinem Ende zuneigt.

Eine Eilmeldung ist eine Nachricht, die von so hoher Relevanz ist, dass im laufenden Programm eines Senders in Fernsehen, Hörfunk oder im Internet nicht auf die nächste reguläre Nachrichtensendung zur vollen Stunde, um 17 Uhr oder um 20 Uhr gewartet werden kann. Das Programm wird unterbrochen, um die Meldung zum Beispiel in einer Sondersendung mitzuteilen. Im Fernsehen und im Hörfunk kommt es dadurch zu kleinen Störungen im gesamten Programmablauf, jedoch nicht ständig und auf jedem Sender. Das Internet eröffnet einem hier ganz neue Möglichkeiten. Auf den Social Media Profilen aller Tages- und Wochenzeitungen verkommt die Eilmeldung inzwischen zu einer neuen Form des Clickbaitings. Während früher hinter Eilmeldung noch überraschende Ereignisse wie Naturkatastrophen und terroristische Anschläge standen, wird heutzutage fast jede Todesmeldung einer prominenten Person per Eilmeldung herausgegeben. Auch hier ließe sich noch Verständnis dafür aufbringen, wenn es sich um eine politisch oder kulturell besonders wichtige Person handelt.

Sind Sportmeldungen Eilmeldungen? Eine Geschmacksfrage könnte man hier antworten. Dasselbe gilt für Kulturnachrichten. Zum Ende des Jahres können wir uns wieder auf viele Eilmeldungen zum neu erscheinenden Star Wars Film freuen. Ist es nötig für das Unternehmen Apple bei der Vorstellung eines neuen Smartphones, über die vielen Eil- und Tickermeldung Werbung für Apple zu machen? Wer ein treuer Kunde Apples ist, sollte eigentlich selbst im Stande sein, sich über das neueste Produkt zu informieren. Ob nun per Livestream oder später im Geschäft.

Nein, die Funktion der Eilmeldungen hat sich deutlich verschoben. Von einer Dringlichkeitsmitteilung hin zu einer neuen Form des Clickbaitings, also einer Nachricht die einen urgency curiosity gap beim Leser hinterlässt. Man muss es eigentlich gar nicht lesen, aber man kann gar nicht anders. Es muss ja wichtig sein! Um möglichst große Zugriffszahlen zu generieren kann man als Medium in der Not auch Eilmeldungen herausgeben, die eigentlich keinen Dringlichkeitswert haben.

Hoffen wir, dass das Dauerfeuer der Eilmeldungen insgesamt nicht irgendwann dazu führt, dass die eigentlichen Eilmeldungen über überraschende gesellschaftliche Ereignisse verloren gehen, oder in der Menge an Eilmeldungen an Bedeutung verlieren. Spätestens dann wäre es an der Zeit wieder über den Wert und die Dringlichkeit einer Nachricht nachzudenken und was diese von Boulevardnachrichten unterscheidet oder auch nicht unterscheidet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rajner Tatz

Angestellter | Politik, Medien und Gesellschaft | Jeder Mensch hat seine eigene Sprache. | I don't read comments, write a piece on your own.

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