Nein, Herr Strunz ist nicht scharf

Polemik Willkommen zu einem Text, in dem es um ein Thema geht, das viele vor, während und nach dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz bewegt hat: Claus Strunz.

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Der Journalist Claus Strunz polarisiere mit seiner journalistischen Arbeit, heißt es. Er sei ein Provokateur und stelle Politikern allzu private Fragen. Wir wissen nicht, wie es bei ihm auf Tinder und Grindr läuft und es interessiert auch niemanden. Ist Strunz nur der unsympathische Schweinebraten des deutschen Journalismus? Oder ist er wirklich die Dekonstruktion des Journalisten an sich?

Potenter Journalismus oder Viagratrip?

„Populismus ist das Viagra einer erschlafften Demokratie“ sagte der offensichtlich überzeugte Popularisator Strunz bei Maischberger. In seinen Kommentaren bei Sat1 kommentiert er das von ihm gerichtlich überprüfte und rechtlich gesicherte Staatsversagen an allen Ecken und Enden der Bundesrepublik. Die Nähe von Flüchtlingen zum Terrorismus kann nach einem gestrunzten Kommentar kein Zufall mehr sein. Die politische Dauererektion setzt ein: Es reicht! Es ist Schluss! Wir müssen was unternehmen! Hätte Claus Strunz nur mal den Beipackzettel von Viagra gelesen, oder sich vom Apotheker seines Vertrauens beraten lassen. Dann wüsste er, dass eine Überdosis Viagra zur Dauererektion und niedrigem Blutdruck führen kann. Funfact: Es ist übrigens nicht das Viagra, was im schlimmsten Fall einen Herzinfarkt auslösen kann, sondern die sexuelle Selbstüberschätzung desjenigen der die Tablette geschluckt hat. Weil er glaubt, er könne es wieder Tag und Nacht tun. Das funktioniert nur so lange bis das Herz versagt.

Die eben geschilderte Selbstüberschätzung muss es gewesen sein, die im Moment Strunz dazu antreibt, das Politische aus der Öffentlichkeit endgültig auf dem Scheiterhaufen zur Prime Time zu verbrennen. Was ist in der Sendung „Wahl 2017“ am 30. August vorgefallen als Strunz Vertreter der kleinen Parteien AfD, FDP, Grüne und Linke ins Sat1 Studio geladen hatte!?

Eingebetteter Medieninhalt

Vielleicht versuchte er eine totale Entpolitisierung des Polit-Talks, indem er die vier geladenen Vertreter Göring-Eckardt, Kipping, Weidel und Lindner immer wieder mit persönlichen Fragen die Schamesröte ins Gesicht trieb. Während die vier Gäste noch tapfer versuchten ihre Themen und Inhalte zu platzieren, lebte Strunz den Viagra-Trip voll aus: Ob es denn bei Lindner bei Tinder gut laufen würde, hatte Strunz gefragt? Wer fragt eigentlich Strunz, wie es bei ihm auf Grindr läuft? Und die vielleicht wichtigste Frage in diesem Zusammenhang: Wen interessiert das eigentlich?

Strunz liebt den Posterboy der FDP

Christian Lindner durfte zum ersten Mal wahrscheinlich erleben, wie sich anfühlt auf sein Äußeres reduziert zu werden. Göring-Eckardts Typ ist er nicht konnten der Zuschauer vernehmen und auf die bruchstückhafte Frage am Frau Kipping „Ganz persönlich: Ich mein, Dreitagebart und so, ist doch richtig…“ antwortete diese: „Ich bin eher noch ehm, ich bearbeite noch, dass zum ersten Mal bei einem Mann vor allem über Äußeres gesprochen wird. Wir haben uns sonst nur beschwert, wenn das bei Frauen der Fall ist. Aber das ist jetzt ein interessantes Phänomen. Ja ich überlege, ob das die Gleichstellung ist, die ich wollte [..].“ In den Gesichtern von Lindner und Kipping konnte man die erste echte Sympathie des Abends feststellen.

Die Kandidaten konnten sich auch nur noch sympathischer werden im Verlauf der Sendung, weil der blasierte Moderator der Igitt-Faktor der Sendung war. Er konnte es auch nicht lassen Kipping wieder zu politischen Inhalten zurückkehren zu lassen: „Also, zwischen ‚Sie finden ihn eigentlich scharf‘ und ‚Die Inhalte sind deutlich schlimmer als sein Aussehen‘ liegt noch bisschen was, aber ich glaube wir haben Sie verstanden.“ Gefolgt vom pubertären Gekicher Strunz‘. Deswegen hatten Kipping und dann auch Weidel schnell den Sexismus des Journalistendarstellers erkannt und Lindner verteidigt. Nicht nur in diesem Moment hatten die Gäste mehr Verstand und Herz, als ihr Gastgeber, der sein Herz wahrscheinlich vorher an der Garderobe abgegeben hatte. Anders kann man sich seine manipulative Art, seine ständigen Unterbrechungen und die dubiosen bis erotomanischen Fragen nicht erklären.

Strunz hatte diese fixe Idee des Posterboys der FDP im Kopf, die er unbedingt den drei Frauen anbieten wollten. Er liebt den Posterboy der FDP. Nicht, dass er ihn wirklich liebt, das hat er ja deutlich gezeigt, aber er konnte ihn so gut für seinen Sexismus vermarkten. Sexismus vom Mann für die Frau? Ein neues, aber extrem fragwürdiges Konzept. Die Sendung war für alle Beteiligten so extrem unangenehm, dass einem alle leidtun konnten. So jemanden wie Strunz hatten die vier Politiker wirklich nicht verdient. Sogar Alice Weidel konnte einem leidtun, die bei der Zuschauerbewertung auf der Straße als „Schweinebraten“ kulinarisch nicht sehr gut wegkam. (Seit wann ist der Schweinebraten eigentlich in Verruf geraten?).

Der dekonstruierte Journalist

Nach dieser nicht-politischen Talkshow hatte irgendjemand in der Vorbereitung zum TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz am 3. September die verhängnisvolle Idee, die Moderatoren neben Sandra Maischberger, um Claus Strunz zu erweitern. Dieser bewies auch gleich seinen journalistischen Wert, indem er sich zu Beginn des Duells von Martin Schulz bei einem falsch bzw. verkürzt zitierten Zitat korrigieren lassen musste. Später glänzte er in der Speed-Runde, als er beide Politiker fragte, ob es eine gute Idee sei, die WM 2022 in Katar stattfinden zu lassen. Die beiden durften nur mit ja oder nein antworten und antworteten beide mit nein. Das ist journalistische Arbeit der 1. Klasse im Jahre 2017. Die Situation der Arbeiter, welche die Stadien in Katar für die WM unter menschenunmöglichen Bedingungen bauen müssen, wird in einem schnittig zusammengeschnittenen Frage-Antwort-Spielchen mal eben kurz abgefragt, als hätte man Merkel und Schulz gefragt, was sie an dem Morgen gegessen hätten. Günter Gaus würde sich in seinem Grab umdrehen, wenn er das gesehen hätte. Willkommen im Twitter-Zeitalter!

Hoffen wir, dass die „Kollegen“ von Strunz einen milden Einfluss auf ihn hatten und er die Bundeskanzlerin zwischendurch kurz in Verlegenheit bringen konnte mit den Fragen des Renteneintrittsalters ab 70, der Integration der Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben werden und ob Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik zur Entstehung und dem Aufstieg der „neuen Partei“ rechts der Union beigetragen hat (was schon mal sachlich falsch ist, weil die AfD schon 2013 als antieuropäische ausgerichtet Partei gegründet wurde, zwei Jahre vor der Flüchtlingskrise). Die kurze Verlegenheit konnte Merkel schnell durch reden loswerden. Provokative Fragen, die verfangen, sehen vermutlich anders aus. Die Neue Zürcher Zeitung wollte Strunz als den „Provokateur“ unter den vier Moderatoren gesehen haben. Das wäre eine Beleidigung für Stefan Raab, der noch beim letzten TV-Duell 2013 mit seiner unkonventionellen vielleicht etwas plumpen Art noch etwas aus Merkel und Steinbrück rausholen konnte. Claus Strunz ist so beseelt vom Viagra des Populismus, dass er es nicht mal schafft seine Gäste wie normale Menschen zu behandeln, wie man schon im kleinen TV-Duell mit den Vertretern der kleinen Parteien beobachten konnte. Als Gesamtprodukt ist er wahrscheinlich die beste Wahlwerbung, die sich die AfD je wünschen konnte. Es sei ihr an dieser Stelle von Herzen gegönnt. Für den Journalismus ist es allerdings eine schwere Niederlage.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rajner Tatz

Angestellter | Politik, Medien und Gesellschaft | Jeder Mensch hat seine eigene Sprache. | I don't read comments, write a piece on your own.

Rajner Tatz

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