Thesenwerfer Tellkamp

Meinung Der Schriftsteller Uwe Tellkamp streitet in einer Begegnung mit dem Lyriker Durs Grünbein über den Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland

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Vor Kühnheit zitternd diskutierte der Schriftsteller Uwe Tellkamp in einer Begegnung mit dem Lyriker Durs Grünbein zum Thema Meinungsfreiheit im großen Saal des Kulturpalastes der Stadt Dresden, der Heimat der beiden Kulturschaffenden.

Im Grunde hielten beide Künstler flammende Plädoyers für die Meinungsfreiheit mit dem feinen Unterschied, dass Grünbein diese nicht bedroht sieht und Tellkamp sich lange damit beschäftigt eine Bedrohung der Meinungsfreiheit zu belegen. Die Belege sind eine üppige Akkumulation von Berichten und Vorfällen, die er für diese Begegnung zusammengetragen hat, die von der Absage eines Vortrages des Polizeigewerkschaftes Rainer Wendt an der Frankfurter Goethe-Universität über die öffentliche Ächtung Thilo Sarrazins bis hin zur Umbenennung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität reichen. Tellkamp vermutet hinter all dem eine ominöse Gesinnung, welche von der Regierung durchgesetzt und von Journalisten unhinterfragt übernommen wird und Einfluss auf die Berichterstattung nimmt.

Unruhe

Man merkt allen Anwesenden die Aufregung vor dem Abend an der Stimme an. Tellkamp hätte allen Anwesenden aber vor allem sich selbst einen Gefallen getan, wenn er sich aus seiner Auswahl an „Beweisen“ wenige rausgesucht hätte, um diese mit Grünbein, der Moderatorin Karin Grossmann und den Zuhörern tiefergehender in Bezug zum Diskussionsthema Meinungsfreiheit zu besprechen. Dazu kam es leider nicht, weil die einzelnen Vorfälle eben nicht auf ihre Stichhaltigkeit in Bezug auf das Diskussionsthema geprüft werden konnten, sondern für sich alleinstehend schon ein Beweis dafür sein sollen: der Rahmen der Meinungsfreiheit wird beängstigend enger.

Medienkritik

Tellkamp geht über zu einer umfassenden Medienkritik, die Ostdeutschland (in diesem Falle Sachsen) „in einem fort“ als braunen Schandfleck (Morgenpost) bezeichnete. Es widersprach Tellkamp auch niemand, dass die Darstellung Ostdeutschlands während der Proteste von Pegida und den Kundgebungen der AfD als besonders ausgewogen zu bezeichnen sei. Es wäre Tellkamps Gelegenheit gewesen, diesen Konsens aus der Begegnung mitzunehmen. Eine verpasste Gelegenheit von vielen. In Tellkamps umfassenden Medienkritik wurde die Moderatorin Grossmann als Angehörige der Sächsischen Zeitung plötzlich die Adressatin der Medienkritik. Aus der Runde geht nicht eindeutig hervor, ob Frau Grossmann diese Rolle als Moderatorin und Diskutierende von Anfang an zugeschrieben wurde, oder ob Tellkamp in der Person Grossmann eine geeignete Projektionsfläche seiner Kritik gefunden hatte. Grossmann versuchte noch ihre Kollegen von Teilen der Kritik Tellkamps in den Schutz zu nehmen, was ihr aber nur mäßig gelang. Es gelang ihr auch deshalb nur mäßig, weil Tellkamp irgendwann dazu überging jedes Wort umzudrehen und einem Schleudergang zu unterziehen. So lehnte Tellkamp das Wort Schutzsuchende ab, weil ihm die Worte Schutzsuchende und Flüchtlinge präziser seien. Geschenkt. Er stellt die These auf, dass 95 % der Flüchtlinge aus wirtschaftlichen Gründen hier seien. Er liefert keine Evidenzen nach, aber das ein großer Anteil aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kämen, sei seiner Ansicht nach bekannt. Spätestens jetzt müsste der aufmerksame Zuhörer bzw. Zuschauer gemerkt haben, dass die Diskutierenden langsam aber sicher vom Thema abkommen.

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Keine Lust auf das Thema? – Themawechsel!

Wäre das Thema des Abends „Die Flüchtlingskrise und ihre Folgen“ gewesen, hätte man sicher gewinnbringend mit allen darüber diskutieren können. Und Tellkamps These von 95% der Flüchtlinge, die nur aus wirtschaftlichen Interessen wäre mit Sicherheit Gegenstand deiner leidenschaftlichen kontroversen Debatte geworden, wenn er Belege nachgeliefert hätte. Der nächste Themenwechsel: Es bereite Tellkamp Angst, dass der Islam sich in Deutschland weiter ausbreite, weil so abrupt viele Flüchtlinge ins Land gekommen seien. 1. Themawechsel und 2. Handelt es sich wieder um eine These, die einfach in den Raum geworfen wird. Gefolgt von mehreren Thesen über den Islam, über die ebenfalls nicht diskutiert werden konnte, weil die Themen schneller gewechselt wurden als sich die Farben im Gesicht Tellkamps wechselten.

Über Gefühle in Zukunft sprechen

Tellkamp hätte sicher viel mehr Verständnis gewinnen können, wenn er klar und deutlich über seine Ängste und Befürchtungen gesprochen hätte. Wenn er einmal deutlich gesagt hätte: „ich habe Angst meine Meinung zu äußern, weil ich Repressalien von Teilen der Gesellschaft fürchte“. Man wäre innerhalb des Themas geblieben und im Verlauf der Diskussion hätte Tellkamp einen Beweis nach dem anderen ruhig ausführen können. Zum Beispiel die Brandanschläge auf Autos von Politikern der Alternative für Deutschland. Man muss die AfD nicht mögen, auch nicht als Journalist, aber die Sorglosigkeit mit der eben nicht über die Brandanschläge auf die Autos von AfD-Politikern berichtet wurde, sollte uns allen ernsthafte Sorgen bereiten. Kritisierten wir Brandanschläge auf AfD-Politiker insgeheim deshalb nicht so lautstark und offen, weil wir uns denken, sie hätten es mit ihrer Gesinnung verdient!? Ist jemand mit dieser gewaltverharmlosenden Haltung nicht genau zu dem geworden, was er oder sie so gern an der AfD kritisiert: Ein kaltes Stück Materie ohne Empathie für andere.

Reaktionen

Das Publikum hat sehr positiv und zwischendurch mit lauten Zwischenrufen auf den Streit der beiden Künstler reagiert, ergänzte und fragte bei beiden nach und monierte den Themenwechsel weg von der Meinungsfreiheit, den Tellkamp unternommen hatte. Der Suhrkampverlag hat sich nach der Begegnung in Dresden in seiner Meinung vom Autor Tellkamp distanziert.

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Während in dem Verhalten des Verlags ein Beleg von Tellkamps These einer vorherrschenden Gesinnung, die sich hier durchsetzen soll, hineininterpretiert werden kann, so hat auch der Suhrkamp Verlag das Recht darauf hinzuweisen, dass die Meinung von Autor und Verlag nicht dasselbe sind. Eine Banalität sondergleichen, auf die man eigentlich nicht hinweisen muss.

Tellkamp fürchtet die Stigmatisierung, der er sich leicht entziehen könnte, wenn er beim Thema bleiben könnte oder zumindest vorgeschlagen hätte, das Thema zu erweitern oder zu einem anderen Thema sich mit Grünbein wiederzutreffen. Wer sich die Freiheit nimmt, dutzende Thesen in den Raum zu werfen, ohne seinen Mitstreiter und dem Publikum die Möglichkeit zu geben über diese Thesen mit zu diskutieren, der badet gerne im Applaus, aber sollte sich auch nicht wundern, wenn ihm der Gegenwind entgegen weht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rajner Tatz

Angestellter | Politik, Medien und Gesellschaft | Jeder Mensch hat seine eigene Sprache. | I don't read comments, write a piece on your own.

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