Über Funkel, Schäfer und die Politik

Zweite Chancen Wieso wir hinsichtlich Fehlereinsicht und Verantwortungsübernahme alle ein bisschen mehr wie Friedhelm Funkel und Fortuna Düsseldorf werden sollten

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Am Freitag, 11. Januar 2019, verkündete der Bundesligist Fortuna Düsseldorf in Person des Vorstandsvorsitzenden Robert Schäfer, den Vertrag mit Cheftrainer Friedhelm Funkel nicht über das Saisonende hinaus zu verlängern, da in diese Richtung keine Einigung erzielt werden konnte. Diese Nachricht war dann doch eine Überraschung, steht die Fortuna doch mit Platz 14 und einer Serie von drei Siegen im Rücken vermeintlich besser da, als man es zu Beginn der Saison hätte erwarten können. Trotzdem wollte Schäfer erst die sportliche Entwicklung in der zweiten Halbserie abwarten, bevor der Vertrag verlängert werden sollte. Ergebnis war das Ende der Zusammenarbeit nach Saisonabschluss im Sommer. So etwas lässt ein alter Trainer-Fuchs wie Funkel eben nicht mit sich machen.

Nicht nur, aber vor allem für die Fortuna-Fans war diese Nachricht ein Schock, und dementsprechend hagelte es Kritik für Vorstandschef Schäfer und den Verein.

Einen Tag später folgte die Kehrtwende. Vorstandschef Schäfer verkündete, dass seine Entscheidung vom Vortag ein Fehler gewesen sei und er sich davon distanziere. Er würde versuchen, die Verantwortung zu übernehmen und es wieder besser zu machen. Dies könne er allerdings nur, wenn er weiterhin Vorstandschef bliebe. Beide Seiten seien zunächst zu dickköpfig gewesen, doch nun sei eine Vertragsverlängerung noch vor dem Rückrundenauftakt gegen Augsburg möglich.

Ein solch klares und offenes Eingeständnis eines Fehlers ist für die heutige Zeit nicht alltäglich oder normal. Man würde sich ein solches Vorgehen vor allem in der Politik vermehrt wünschen.

Wenn man die Leitung eines Profi-Fußballvereins auch nicht mit politischer Regierungsführung eins zu eins vergleichen kann, gibt es doch Parallelen. Die Vereinsführung übernimmt ebenfalls quasi repräsentative Aufgaben für die Vereinsmitglieder und ebenfalls für diejenigen, die zwar keine Mitglieder aber Fans oder Sympathisantinnen sind. In diesem Falle haben sie ihren Unmut und Unverständnis über die Entscheidung vom Freitag unverzüglich kundgetan. Und die Vereinsführung berücksichtigt diese Kritik, diese Meinungsäußerung.

Natürlich ist es in unserem repräsentativen politischen System nicht unbedingt wünschenswert, dass auf jede Unmutsäußerung in der Art eingegangen wird. Worum es hier geht, ist allerdings die Fähigkeit und die Chuzpe – wenn man so will – , eigene Fehler offen zuzugeben und Verantwortung zu übernehmen, indem man versucht, diese Fehler wieder zu bereinigen und Vertrauen zurückzugewinnen.

Denkt man an US-Präsident Trump und den aktuellen Shutdown in den USA wünschte man sich solche Charakterstärke. Die Mauer zwischen den USA und Mexiko soll die illegale Migration in die USA begrenzen. Diese ist allerdings seit einiger Zeit bereits rückläufig. Der von Trump heraufbeschworene Notstand nicht existent. Außerdem hatte der Präsident einem Kompromiss hinsichtlich der Mauer bereits zugestimmt. Erst durch die negative Berichterstattung der konservativen Medien – wie FOX News und weiterer Kommentatorinnen –, die suggerierten, Trump würde schwach werden und von seinem zentralen Wahlversprechen abweichen, kam die Kehrtwende, deren Ergebnis der derzeitige Shutdown und seine Implikationen für hunderttausende Amerikanerinnen sind. Etwas Fehlereinsicht und den Mut, zu diesen zu stehen, hätten einiges positiver gestalten können.

Ein anderes Thema ist die deutsche Wohnraumversorgungspolitik. In den vergangenen Jahren/Jahrzehnten sind zu viele öffentliche Liegenschaften privatisiert, zu wenig Geld für sozialen Wohnungsbau von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt und der öffentliche Auftrag einer ausreichenden Wohnraumversorgung kläglich gegen die Wand gefahren worden. In Berlin beispielsweise gesteht die Linke ein, während ihrer Regierungsbeteiligung in einer rot-roten Regierung Anfang der 2000er Jahre erhebliche Fehler in der Wohnraumversorgungspolitik gemacht zu haben. Diese müssten nun mühselig repariert werden, indem beispielsweise Wohnraumeigentum wieder zunehmend sozial verpflichten sollte, was durch ihre Unterstützung des Volksentscheid 'Deutsche Wohnen & Co enteignen‘, der aus der Berliner Zivilgesellschaft entstand, sowie intensiveren Wohnungsneubau der öffentlichen Hand erreicht werden soll, wie Katina Schubert, Landesvorsitzende der Berliner Linke, im Deutschlandfunk erklärte. Vertreterinnen der Bundesregierung allerdings stellen sich seit Monaten hin und erklären, Wohnen sei die soziale Frage unserer Zeit – man müsse und wolle sie ernst nehmen. Ihre Strategie hingegen ist es, auf privaten Neubau zu setzen, Anreize für Investoren zu geben und eine 'bessere' Mietpreisbremse zu schaffen. Das Eingeständnis, dass diese Politik bereits in den vergangenen Jahren ein Fehler gewesen ist und keine Verbesserungen gebracht hat, sucht man vergebens.

Heute Abend hat das britische Unterhaus gegen den Brexit-Austrittsvertrag der Premierministerin May abgestimmt. Der Brexit steht in knapp zwei Monaten an und eine Lösung scheint genauso weit entfernt wie in den letzten zwei Jahren. Das Brexit-Theater ist ein weiterer Fall, in welchem das Eingeständnis eines Fehlers weiterhelfen könnte. Die englische Bevölkerung scheint dieses Fehlerbewusstsein mittlerweile stärker zu empfinden als die sie vertretenden Politikerinnen. Auch wenn es demokratietheoretisch fraglich wäre, ein weiteres Referendum anzustreben, stünde dadurch doch an erster Stelle die Einsicht, dass der Brexit ein Fehler ist. Alles andere würde sich ergeben.

Oder Horst Seehofers Asyl-Regierungskrise im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern. Die Liste der festgefahrenen Politikvorhaben ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Es wäre nun allerdings zu einfach das Problem nur auf der Seite des Fehlereingeständnisses zu suchen. Ein solches Eingeständnis ist nur wahrscheinlich, wenn das gesellschaftliche Klima derart wäre, dass der Eingestehende davon ausgehen könnte, keinem Shitstorm, keiner medialen Hetzjagd oder den – sogar parteiinternen – Forderungen nach Verantwortungsübernahme durch Rücktritt ausgesetzt zu werden; Verfahrensweisen, die in unserer Zeit als legitime Lösungen hinsichtlich der Verantwortungsübernahme praktiziert werden. Die Chance zu bekommen, seine Fehler wieder zu bereinigen, das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr; was nicht bedeuten soll, dass es keine Situationen gibt, in denen man an einem Rücktritt nicht vorbeikommt, eine Person aufgrund ihrer Verfehlungen nicht mehr haltbar ist. Doch in zahlreichen Fällen scheint eine solche Praxis eher davon geleitet zu sein, dass das gesellschaftliche Spektakel eben Bauernopfer braucht. Die Meute will Blut sehen und es muss ein/e Schuldige/r präsentiert werden.

Im Falle Schäfers ist er immer noch Vorstandsvorsitzender Fortuna Düsseldorfs und versucht seinen Fehler wieder gut zu machen. Erhält – so sieht es momentan aus – eine zweite Chance. Auch wenn Teile der Fans seinen Rücktritt einfordern.

Die geschilderten Entwicklungen monokausal begründen zu wollen, scheint wenig erfolgsversprechend. Eher sollte man von einem interdependentem Zusammenhang ausgehen, in welchem sich die Seite des Fehlereingeständnisses und die des gesellschaftlichen Klimas, das ein solches Eingeständnis überhaupt wahrscheinlich macht, gegenseitig beeinflussen und somit einen Teufelskreis oder eine Teufelsspirale darstellen.

Bezeichnend für das gesellschaftliche Klima ist die Beobachtung, dass gegensätzliche Meinungen in Deutschland anscheinend wieder heftigere Reaktionen provozieren, die fern davon scheinen, einen gesellschaftlichen Pluralismus und die damit verbundenen Implikationen zu akzeptieren. Diesen als einen Grundbestandteil unserer gesellschaftlichen Ordnung anzusehen und ihn auszuleben. Gewalttätige Übergriffe auf Parteibüros oder Repräsentantinnen verschiedener Parteien, auf Asylsuchende oder Migrantinnen usw. lassen darauf schließen, dass für einige unter uns Gewalt wieder als legitimer Ausdruck divergierender Meinungen angesehen wird. Gesellschaftliche Polarisierung ganz gezielt als Politikstil betrieben wird.

Heute jährt sich der Todestag, ehrlicher der Tag der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Das Gedenken an diese herausragenden Kämpfer für eine gerechtere Gesellschaftsordnung und die Tragik ihrer Todesumstände sollten uns Erinnerung und Mahnung an eine Zeit sein, in welcher die Gewalt sich in Deutschland Bahn brach. Die Wiederholung dessen zu verhindern, sollte höchstes Ziel aller Demokratinnen in diesem Land sein.

Einer der Katalysatoren der heutigen Polarisierung unserer Gesellschaft sind sicherlich fehlende Fehlereingeständnisse und fehlende Verantwortungsübernahme verantwortlicher Politikerinnen innerhalb der vergangenen Jahrzehnte. In Deutschland aber auch auf europäischer Ebene. Ebenso wie das dargelegt Paradigma der abstrafenden modernen Gesellschaft, in welcher Verantwortliche schnell ausgemacht und beseitigt sind. Der König ist tot, lang lebe der König!

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sollten wir alle ein wenig mehr wie Fortuna Düsseldorf und Friedhelm Funkel sein. Dieser wiederum erklärte nach der Kehrtwende des Vereins und seines Vorstandsvorsitzenden lediglich, dass er nicht nachtragend sei und die Situation nicht ausnutzen würde.

Erfrischend sympathisch.

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Ausführlicher:

https://www.deutschlandfunk.de/politische-sitten-provokation-wird-zum-stilmittel.694.de.html?dram:article_id=437925.

https://www.deutschlandfunk.de/grossvermieter-enteignen-berliner-linke-man-muss-neue-wege.694.de.html?dram:article_id=438166.

https://www.deutschlandfunk.de/100-todestag-von-luxemburg-und-liebknecht-gysi-sie-waeren.694.de.html?dram:article_id=438184.

https://de.onefootball.com/kommentar-warum-die-funkel-kehrtwende-gut-fuer-den-fussball-ist/.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Frédéric Bravo Paredes

Frédéric Bravo Paredes studierte in Köln und Bonn Sozialpsychologie, Soziologie und Politikwissenschaft.

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