SPD? Reset!

Bundestagswahl Die Umfragewerte der SPD haben ein historisches Tief erreicht. Das muss nicht so bleiben. Ein Plädoyer für eine neue, eine linke SPD - in der Opposition

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"Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein" Willy Brandt
"Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein" Willy Brandt

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Du, gute, alte SPD, erkennt man dich nicht wirklich wieder. Erkennst du dich eigentlich selber noch?

Das möchte man der Sozialdemokratie in Deutschland heutzutage gerne mal zurufen oder vielmehr entgegen brüllen. Schon seit Jahren. Allerdings würde auch dies momentan wohl nicht viel bringen, geschweige denn ändern können. Scheint sich die Partei diese Fragen doch selbst seit mindestens acht Jahren zu stellen. Fragen danach, wer sie denn überhaupt noch ist, für wen sie steht und wer sie denn eigentlich noch wählen soll. Und ja, wofür denn auch eigentlich?

Wenn man Merkel wählt, bekommt man doch SPD- light dazu. Gratis.

Zumindest ist dies der Eindruck, den man in der letzten Legislatur gewinnen konnte und die Sozialdemokraten waren und sind leider nicht in der Lage diesen zu verändern und an die Realität anzunähern; ihr Erreichtes stärker herauszustellen. Herauszustellen aus Merkels Schatten und .. ja gut, auch den der restlichen Union, die irgendwie viel präsenter scheint.

Mit einer Vorsitzenden, Kanzlerin und nun auch wieder Kandidatin (und auch wieder Kanzlerin, seien wir doch ehrlich), die mit Slogans punktet, wie: „Sie kennen mich.“.

Keine Überraschungen also (Vermeintlich, denn in Realität ist Angie immer wieder mal für eine dicke Überraschung gut).

Dafür steht sie mit ihrem Namen und der Merkel- Raute.

Die Personifizierung der deutschen Demokratie in einer Frau, die die Massen nicht bewegt, die irgendwie das aktive Momentum vermissen lässt, deren Reden keinen mitreißen. Charisma haben, bürgernah sein, auch mal Kante zeigen .. scheint alles nicht mehr gefragt. Wie denn auch, soll sich doch bloß nichts ändern und am besten dann noch alles so bleiben, wie es gerade ist. Auf jeden Fall nicht schlechter werden .. ist ja klar. Denn: WIR – als Deutsche - haben ja etwas zu verlieren. In der EU, in dem internationalem System und auch Wir ( oder Die CDU- Sympathisanten, - Wähler und – Profiteure) in Deutschland.

Auch die große Koalition arbeitet und wirkt für diesen Wir- Die Antagonismus. Also auch du alte SPD.

Natürlich ist dies nun eine Pauschalisierung und Generalisierung wie man sie nicht vornehmen sollte, aber dieser Text hier dreht sich nicht hauptsächlich um konkrete Politiken, nicht um Umgesetztes oder nur Versprochenes. Vielmehr soll es ein Appell an die SPD sein.

Die streitbare SPD von der die Älteren reden und von der die jüngeren nichts wissen. Außer Geschichten aus einer „guten alten Zeit“. (Wann bitte war die?)

Eine SPD, die sich als links (will man der links- rechts Kategorisierung folgen) und nicht irgendwo in der Mitte und vielleicht auch ein bisschen links – links aber mit Fragezeichen? - versteht, die für eine wirklich soziale Politik einsteht, wenn sie sie (noch oder nicht mehr) nicht betreibt, die für Egalitarismus steht und eine SPD, die sich nicht zu einer CDU- light entwickelt. Einer SPD wie ich sie bisher nicht erleben durfte oder erleben konnte. Vielleicht auch nicht unbedingt die „gute alte“ SPD. Sondern einer neuen, aktuelleren SPD?

Nichtsdestotrotz habe ich dich gewählt, liebe SPD. Und zwar

nicht

, damit du wieder in die große Koalition gehst und dich selbst (weiterhin) mit der Politik diskreditierst, die man in einer großen Koalition mit dem Partner CDU nun einmal machen kann.

Eines muss ja von vorneherein klar sein (und auch damals 2013 bereits klar gewesen sein): dies ist und kann keine Politik á la SPD sein.

Wie auch .., muss man doch Kompromisse machen: Im Handeln, aber auch in der Rhetorik und dem Auftreten – man ist Juniorpartner in einer GroKo. Kompromisse heißt in diesem Falle Zugeständnisse. Politische Zugeständnisse. Zugeständnisse an sein eigenes Selbstverständnis, an seine politische Identität. Wie soll sich diese Partei nicht immer weiter, erst einmal von seinen Wählern sowie der Gesellschaft als solcher und des Weiteren von sich selbst entfremden.

Dieser Weg ist vorgezeichnet, bereits zu einem großen Teil zurückgelegt .. bitte Andrea, Martin und Sigmar geht ihn nicht weiter! Bleibt stehen und vor allem, dreht um.

Um den Kreis zu schließen: Ich habe dich vielmehr gewählt, damit du ein starkes Ergebnis bekommst. Ein starkes Ergebnis im Verhältnis zu den aktuellen Erwartungen und Hochrechnungen .. kein starkes Ergebnis im Vergleich zur Union. Dies ist momentan utopisch und das sollte man sich auch eingestehen.

Wir sprechen hier also von einem Ergebnis, das von politischen Kommentatoren als geeignet angesehen werden würde, erneut in die GroKo zu gehen - aber mit einer stärkeren Verhandlungsposition als 2013 vielleicht?

Ich sage Nein!

Mein starkes Ergebnis verstehe ich als eine Aufforderung zum Gang in die Opposition!

Eine starke Opposition ist das einzige Szenario, das dieser Partei die Möglichkeit geben könnte einmal inne zuhalten, sch für den Moment zu entschleunigen und nicht hektisch reagieren zu müssen, sondern sich in Ruhe und überlegt neu auszurichten.

Sich rückzubesinnen und sich neu zu organisieren und zu koordinieren. Sprich, einen neuen, einen erfolgsversprechenden Neustart zu betreiben.

Manchmal muss man den Rechner, wenn er sich aufgehangen hat auch einfach mal ausschalten und neu starten, damit er wieder funktioniert. Reset eben.

So könnte die SPD „zurückkommen“, als eine Partei, die wieder ein Profil hat. Mit Glaubwürdigkeit und Authentizität, die aus vier Jahren guter, starker und unmissverständlicher Oppositionsarbeit gewonnen wurde. Mit neuen Allianzen innerhalb der Opposition, die auch neue Chancen sein können und werden.

Vor allem könnte sie ihre Chance nutzen kein Blatt mehr vor den Mund nehmen zu müssen und keinen Einschränkungen wie beispielsweise einem Koalitionsvertrag zu unterliegen.

Damit dies gelingen kann, müssen sich natürlich die Berufspolitiker der Sozialdemokratie damit abfinden, dass es keine Kabinettsposten und andere Positionen geben wird. Zumindest keine in den nächsten vier Jahren.

Aber auch dies wäre ein lohnenswerter Verzicht, da dieser Verzicht zu Gunsten der Demokratie, und dementsprechend zu Gunsten der Gesellschaft erfolgen würde.

Und, seien wir mal ein wenig hoffnungsvoll und optimistisch, bei richtiger und vor allem selbst überzeugter und dadurch erst überzeugender Herangehensweise wäre diese Situation auf vier Jahre befristet.

Man könnte hier die Frage stellen, weswegen ich dann überhaupt die SPD wähle, wenn sie die Stimme eben nicht als Regierungsauftrag werten soll?

Für mich ist es von Bedeutung, dass die Entscheidung für den Gang in die Opposition eine freiwillige und bewusste Entscheidung ist. Das Ergebnis einer Abwägung zwischen verschiedenen Möglichkeiten und eben aus einer Situation heraus, in der man sich auch hätte anders entscheiden können. Sie soll nicht die einzige noch verbliebene Möglichkeit sein, die sie, bei einem schwachen Abschneiden der SPD, eben nur noch wäre.

Die Entscheidung für den Gang in die Opposition sollte vielmehr ein (r)evolutionärer Schritt sein, in diesem Sinne ein bewusster schöpferisch politischer Schritt.

Denkt man diesen Gedanken, diese Forderung einmal zu Ende, ist klar, was dies für die kommende Legislatur bedeuten würde: Schwarz- Gelb, oder Jamaika. Ja, dem darf man sich nicht verschließen und muss ehrlich damit umgehen.

Aber, durchdenkt man dies einmal, hätte die CDU die Wahl zwischen GroKo und Schwarz- Gelb würde sie inhaltlich die Liberalen präferieren (vgl. NRW Landtagswahl 2017). Präferieren müssen.

Allein Bequemlichkeit, der Wille am Status- Quo festzuhalten und machtpolitische Überlegungen und Berechnung könnten sie dazu bringen der Sozialdemokratie den Vorzug vor der FDP oder Jamaika zu geben.

In diesem Sinne könnte die neue alte (oder neue neue) SPD von diesem Szenario nur profitieren. Denn schon heute muss man sich fragen, ob man die Verlierer ,einerseits des neoliberalen Kapitalismus, andererseits der Politik der letzten Jahre und hier ist die Rede von der nationalen, aber auch von der supranationalen und globalen Ebene, sowie die Verlierer der Klassenkämpfe (die heutzutage allerdings anders genannt werden) wirklich noch als Minderheiten ansehen kann, die das Funktionieren des Großen Ganzen nicht in Frage stellen und die nicht die Negation des „Systems“ darstellen würden?

Eine Schwarz- Gelbe Regierung oder auch Jamaika ,in der heutigen Verfassung der Grünen, würde diese Diskrepanzen und Widersprüchlichkeiten nur noch deutlicher herausstellen.

Auf der anderen Seite wäre wieder eine Partei da, die für eben diese „Minderheit(en)“ kämpft, sich zurückbesinnt auf ihre eigentliche Wählerschaft und denen eine Alternative bietet, die sich momentan nicht mehr so recht einordnen können in die festgefahrenen politischen Kategorien.

SPD goes (wieder) Volkspartei?

Somit könnt ihr meine Stimme als eine Art Vertrauensvorschuss ansehen. Vertrauensvorschuss in die Vernunft. Vernünftigerweise das einzig Schlüssige zu tun, was ihr als SPD nun tun könnt: Der Gang in die Opposition, zu einer SPD, die auch eine SPD ist.

Ich bitte euch, unterliegt nicht dem Irrtum, dass ich euch meine Stimme als Bestätigung eurer Politik der letzten Jahre gebe, oder etwa weil Martin Schulz mich dermaßen überzeugt, dass ich ihn unbedingt als Bundeskanzler haben will - wie sollte eine Person einfach nur durch ihre Personifizierung jahrelange schlechte Performanz und Politik einer Partei komplett egalisieren? Außer sie heißt Angela Merkel und beherrscht die Rauten- Hypnose - was auch eine vollkommen utopische Hoffnung wäre. Nein, keinesfalls.

In vielen Gesprächen und Diskussionen der letzten Tage habe ich den Eindruck gewonnen, dass ich nicht alleine stehe mit meiner Forderung:

SPD, bitte, starte dich neu!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Frédéric Bravo Paredes

Frédéric Bravo Paredes studierte in Köln und Bonn Sozialpsychologie, Soziologie und Politikwissenschaft.

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