"Bruno Ganz ist Adolf Hitler". So wurde Oliver Hirschbiegels Film über die letzten Tage des "Dritten Reiches" und dessen Erstem Mann beworben. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, studierte der hoch dekorierte Schauspieler in mühsamer Detailarbeit Hitlers Mundart und Bewegungen, legte sich dessen Haarschnitt und das charakteristische Bärtchen zu. Die Verwandlung geriet so überzeugend, dass Der Untergang zahlreiche Preise und eine Oscar-Nominierung einheimste.
"Julia Jentsch ist Sophie Scholl". Auf diesen Nenner lässt sich das Echo auf Marc Rothemunds Film über die junge Widerständlerin bringen, die von den Nazis hingerichtet wurde. Durch den Rückgriff auf bislang unbekannte Verhör-Protokolle geriet Sophie Scholl derart glaubhaft, dass Julia Jentsch auf der Berlinale den Silbernen Bären als beste Schauspielerin erhielt.
Felicitas Woll ist Lolle: Jung, hübsch und gerade so widerborstig, wie eine gute Erziehung es erlaubt. Die Feststellung ist zulässig, auch ohne Frau Woll zu kennen. Denn dass Darsteller und Rolle als identisch nicht nur behauptet werden, sondern es auch sind, davon lebt auch die letzte Staffel der preisgekrönten Serie Berlin, Berlin, die ganz auf die Besetzung nach dem Typ setzt, der authentisch "rüberkommt" und daher nicht an Schauspielschulen, sondern in einer Discothek entdeckt wurde. Dabei helfen gutes Aussehen, gute Manieren und deutliche Aussprache. Bedingung sind sie nicht, wie Til Schweiger belegt, der es bis nach Hollywood und wieder zurück gebracht hat. Denn dort werden Typen nicht gesucht, sondern gemacht.
Julia Roberts ist Vivian, was immer sie auch spielt. Tragisch ist das, weil am Anfang der Karriere die schauspielerische Leistung stand, die der Pretty Woman außer Schönheit den besonderen Charme gab, der glaubhaft machte, dass die Dirne von der Straße in die Belle Etage des Lebens findet. Seither ändert "Vivian" zwar den Namen, doch nie den Typ, der Hollywood Milliardenumsätze garantiert. Die horrende Gage, die für Julia Roberts abfällt, beinhaltet das Schmerzensgeld für die Prostitution: In Notting Hill spielt sie einen Filmstar, der sich in einen Buchhändler verliebt. Dessen Skrupel vor der Mesalliance zerstreut sie mit dem Bekenntnis, auch nur ein Mädchen zu sein, das geliebt werden will. Das Schlussbild zeigt die Diva lesend und mit dickem Bauch.
Dass Schauspieler und "verkörperte" Figur identisch seien, ist die stillschweigende Verabredung, unter der die große Mehrzahl des Kino-, Fernseh- und Theaterprogramms entsteht, gesehen und besprochen wird. Überzeugend, glaubhaft, authentisch lauten die Adjektive, mit denen die Gestaltung einer Rolle als gelungen empfunden und beschrieben wird. Nach dieser Logik ist das Hilfsverb "sein" das ultimative Kompliment an einen Menschen, dem die Verwandlung in einen anderen ohne Rest gelingt.
Doch was genau würdigt dieses Kompliment? Die Selbstverleugnung eines "Künstlers", der erst beim dritten Hinsehen merkt, dass der Spiegel einen Leitartikel über Hitler mit seinem Bild garniert? Die moralische Integrität einer jungen Frau, bescheinigt vom Bundespräsidenten, der die fiktive Sophie Scholl für den Geschichtsunterricht empfiehlt? Die Gene, die eine Ausbildung ersetzen? Die Instrumentalisierung des Gesichts? "Schulen", die darauf Antwort geben, gibt es im Dutzend. Doch alle Theorie wird grau, wenn die Praxis solche Fragen hinterlässt.
Christine liebt Fritz, dessen Beziehung zu einer verheirateten Frau ihn das Leben kostet. Mizi liebt sich selbst und das Leben, das sie gelegentlich mit Theodor teilt. So lakonisch lässt sich die Handlung von Schnitzlers Liebelei nur erzählen, weil sie so gespielt wurde. Michael Thalheimers Inszenierung am Hamburger Thalia Theater, zu Ostern letztmals gezeigt, verzichtete auf psychologische Fundierung der Figuren, die unterscheidbar nur durch Sprache, Bewegung und Kostüm wurden. In Beziehung zueinander traten sie, indem sie Nähe mieden, so dass jede Begegnung vor Emotionen barst. Wie ein Schock wirkte deshalb jene Szenenfolge, in der Maren Eggerts Christine mit der Artistik einer Marionette wortlos um Fritz´ Liebe bettelte, um kurz darauf mit derselben Äquilibristik Fritz´ nur körperlichen Annäherungsversuch zurückzuweisen. Auch wenn ihr das Bewusstsein dafür fehlt, erhob die Figur damit den Anspruch auf eine Ernsthaftigkeit der Gefühle, die sie zur radikalen Außenseiterin machte. Und dieses "Sein" verdankte sich keiner Verwandlung, sondern der virtuosen Technik einer Schauspielerin, die das Gebot der Verkörperung beim Worte nimmt.
Maren Eggert kam nach der Ausbildung in München über Zürich und Bochum ans Thalia. Wie andere Arbeiten am Haus zeigen, ist ihre Leistung weder mit einer Rolle noch einem Regisseur erklärt. Stets arbeitet sie mit derselben Präzision und Klarheit und setzt mimischen und körperlichen Ausdruck geradezu puristisch ein, ohne dass ihr Spiel je Selbstzweck wird. In Lantana etwa steckte in der fast beiläufigen Geste, mit der ihrer Jane die Zigarette entglitt, die ganze Vita der Figur, deren kleinbürgerliches Glück in diesem Moment zerbrach.
Dass Handwerk Bedeutung nicht transportiert, sondern selbst bedeutend ist, diese Einsicht gelangte vor gut 40 Jahren aus Frankreich über den Rhein und nahm Willy Brandts Ermutigung, mehr Demokratie zu wagen, künstlerisch vorweg. Denn wie in der Politik standen sich auch in der darstellenden Kunst zwei Lager gegenüber: Stanislawski oder Brecht, Einfühlung oder Distanz hießen die Schlagwörter im Streit um die richtige "Menschendarstellung". Alternativen waren es jedoch nur auf dem Papier, weil sie in der Praxis derselben Ideologie gehorchen: Ob psychologische Durchdringung oder soziale Typisierung - beides setzt das privilegierte Wissen des Darstellers über die Figur voraus, das ihn zugleich über sein Publikum erhebt.
So schlicht die Diagnose, so vertrackt die Konsequenz, weil im Umkehrschluss gilt, dass ein Schauspieler über eine "Kunst"-Figur nicht mehr behaupten darf, als durch eigene Erfahrung abgesichert und vermittelbar ist. Aus dieser "Wissens-Lücke" erklärt sich die privat anmutende Intimität des Spiels jener Zeit, für die Namen wie Hanna Schygulla, Isabelle Huppert und - Bruno Ganz stehen. Bei allen Unterschieden kommen sie darin überein, dass ihre Bühnen- und Filmfiguren hoch emotional und, je nach Spielweise, melancholisch, sanguinisch oder schwärmerisch wirken.
Diese Wirkung als Befindlichkeit der Spieler zu begreifen wäre jedoch fatal, weil sich darin das Bewusstsein formuliert, dass Schauspiel per se politisch ist. Wenn dieses Bewusstsein heute im Spiel einer 31-Jährigen dominiert, ist das nicht hoch genug zu bewerten, weil es ansonsten so gut wie ausgestorben ist, selbst bei jenen, die es einst pflegten. Dass Bruno Ganz sich am grausigen Verwechslungsspiel um Hitler beteiligte - geschenkt. Nicht, dass Der Untergang sich einer "Wahrheitstreue" rühmt, die vor jeder Frage nach der inhaltlichen Richtigkeit die Ideologie verrät.
Ebenso verlogen geriet ein früherer Film des Regisseurs, und auch der entlarvt sich übers Spiel: dem von Maren Eggert. Das Experiment handelt von einer kasernierten Männergesellschaft, die, einmal sich selbst überlassen, in Gewalt umschlägt. Einer der Probanden ist Tarek (Moritz Bleibtreu), in dessen Taxi am Vorabend des Experiments eine Limousine kracht. Tareks Wut verraucht, als er die verstörte Fahrerin bemerkt: "Ich komme gerade von seiner Beerdigung." Es ist das Auto ihres Vaters, und als Ziel gibt sie Zandvoort an. Wenige Schnitte später sitzt sie auf Tareks Bett. "Bleiben Sie hier?", fragt sie bang, als der sich zurückziehen will. "Ich bin nebenan", versichert er, ehe er begreift, dass "hier" nicht Ruf-, sondern Reichweite meint.
Die folgenden Nacktszenen sind dezent, nicht jedoch, was daraus folgt. Denn Tarek zitiert die Erinnerung daran umso öfter, je mehr das Experiment aus den Fugen gerät. Vor der Eskalation steht die Regie, die Dora auf Tareks Fährte setzt, damit er sich nach ihrem Bild auch ihren Willen unterwerfen kann: Den nahe liegenden Vorschlag, Tarek möge das Experiment verlassen, verwirft der Film zugunsten der Option, Dora als rettenden Engel zu entsenden, der allen irdischen Verpflichtungen entsagt und Tarek aus dem Verlies befreit. Die Rolle mit Maren Eggert zu besetzen liegt so nahe, dass es sich eigentlich verbietet. Doch eine Begabung zu bemerken heißt nicht, sie zu verstehen: Die Intimität ihres Spiels wird durch die Regie als Verfügbarkeit der Figur missbraucht. Das Resultat ist Pornografie.
Dass auch eine richtige Besetzung falsch sein kann, belegt ein Film von Angela Schanelec, der im Herbst nur kurz und in wenigen Kinos lief, weil er für ein Massenpublikum zu "cineastisch" ist. Marseille handelt von der Fotografin Sophie, "die nach Marseille fährt. Je mehr sie sich der Stadt überlässt", so der Pressetext, "desto unmöglicher erscheint ihr bisheriges Leben. Sie versucht, die Konsequenzen zu ziehen." Trotz der Vagheit ist das falsch, weil der Film anderes erzählt.
Marseille ist jener Art von Realismus verpflichtet, dem Maren Eggerts Spiel entspricht: Über Sophie behauptet der Film nicht mehr zu wissen, als sich mit der Kamera einfangen lässt, die sie durch die fremde Stadt und in ihr Apartment begleitet. Das hat sie für einige Wochen gegen ihre Berliner Wohnung getauscht, um, wie sie sagt, zu arbeiten. Warum sie dafür ihr vertrautes Umfeld verlässt, bleibt so verborgen wie die Motive, auf die sie ihre Fotokamera richtet. Auch Maren Eggerts Spiel liefert kein Indiz für Sophies Seelenlage. Das steckt einzig im dunklen Kostüm, was Trägerin und triste Fassaden eins werden lässt. Noch ist unbestimmt, wofür dieses Eins-Sein steht.
Das entscheidet sich erst, als Sophie, kaum in Berlin zurück, erneut nach Marseille aufbricht. Bei der Ankunft wird sie Opfer eines Überfalls. Ohne Bleibe, Kamera und Gepäck, sucht sie Zuflucht im Konsulat, nun aber in einem gelben Kleid. Erstmals von der unbelebten Welt der Dinge unterschieden, wird ihre Seelenlage in den Tränen kenntlich, unter denen sie den Tathergang erzählt: Sophie ist weder in Berlin noch in Marseille, sondern in der Trauer zu Hause. Das Schlussbild zeigt sie am Strand des Mittelmeers, das zum ersten Mal ins Bild gerät. Ein langer Zoom verkleinert sie zu einem gelben Punkt, der schließlich ganz verschwindet. Gleiches droht der Leistung Maren Eggerts, die die Figur 90 Minuten im Schwebezustand hält. Dass die Regie anderes vorhat, kündigt sich schon im Namen an: Sophie heißt Weisheit, Wissen.
Wie unspektakulär Begabung und Besetzung zusammenfinden können, belegt ein Tatort. Außer einem Assistenten wurde dem Kieler Kommissar Borowski (Axel Milberg), der vor drei Wochen zum vierten Mal ermittelte, die Psychologin Frieda Junge (Maren Eggert) zur Seite gestellt. In die Fälle ist sie nur indirekt verwickelt, weil sie statt Täterprofile zu erstellen den Kommissar therapiert - und sei es wie in der Folge Schattenhochzeit dadurch, dass sie mit ihm das Tanzbein schwingt. Verglichen mit den ersten Folgen, die Frieda Jung meist am Schreibtisch zeigten, ist das ein Ausbruch an Bewegung. Denn selbst wenn sie bisweilen joggt, dient das weniger der eigenen Gesundheit als vielmehr dazu, die Therapiebedürftigkeit Borowskis zu belegen, den sie durch Passivität zwingt, sich zu verhalten - eine Figurenkonstellation, deren Intelligenz in krassem Missverhältnis zu den Fällen steht. Umso erstaunlicher, dass sich der NDR statt für Mobiliar und Bücherwände, die sonst Geistesmenschen glaubhaft machen sollen, für eine Schauspielerin entschied, die Passivität gestalten kann. Der Mut wird von einer wachsenden Fangemeinde belohnt, bei der das Paar Borowski/Jung Kultstatus genießt.
So sehr dem Fernsehpublikum das Wiedersehen mit ihr gegönnt ist - am ehesten entfaltet sich Maren Eggerts höchst seltene Befähigung wohl auf der Bühne. Dort hatte sie sich zuletzt rar gemacht, um nun in Minna von Barnhelm die Titelrolle zu übernehmen. Ein Lustspiel hat Lessing sein Stück um die Verwicklungen genannt, die entstehen, weil Major von Tellheim (Peter Jordan) im Siebenjährigen Krieg neben Rang, Geld und der Beweglichkeit des rechten Armes auch die Ehre eingebüßt hat, weil man seine Milde gegenüber den Besiegten "höheren Ortes" als Vorteilnahme begreift. Vergrämt haust er in einem Berliner Gasthof, wo seine Verlobte Minna ihn aufspürt. Einen Krüppel an Körper und Seele aber will Tellheim ihr nicht zumuten und die Bindung deshalb lösen. Eine List, die Minna mit ihrer Zofe Franziska (Judith Rosmair) ausheckt, verhilft ihr zu dem ersehnten Mann, dessen Glück vollkommen ist, als ihn ein Brief des Königs rehabilitiert.
Im Thalia fehlt es dem Lustspiel ebenso an Tiefe wie dem Bühnenbild (Dirk Thiele). Das drängt die rasante Handlung an die Rampe, wo die Regie dem Affen Zucker gibt. Die Unterhaltungskarte sticht, weil Niklas Helbling auf ein Ensemble bauen kann, das noch in der größten Überdrehtheit seine Könnerschaft beweist. Statt ganz auf diesen Trumpf zu setzen, befielt Helbling die Erinnerung, dass zu Lessings Lustspiel auch der Krieg gehört. Der wird dem Abend mit dem Bild des Alten Fritz und historischem Liedgut aufgepfropft, das am Schluss die Hitlisten der Gegenwart erreicht.
Die künstliche Beigabe ist bedauerlich, weil überflüssig: Zwar ist auch Maren Eggert vom allgemeinen Bewegungsdrang nicht frei, den vermag sie jedoch sprachlich auszugleichen, indem sie über Minnas Sätze nicht verfügt, sondern sie konträr zu ihrem tradierten Sinn betont und Sprechtempo wie Lautstärke so variiert, dass die Verwechslung von Darstellerin und Dargestelltem ausgeschlossen ist. Mit diesem Kunst-Griff erbringt Maren Eggert den Beweis, den Lessings Minna noch als Frage formuliert: Dass man auch lachend sehr ernsthaft sein kann. Wenn sich auch Schauspieler, bei denen es sich verbietet, mit der verkörperten Figur identifizieren lassen müssen, ist das also nicht nur Berufsrisiko, sondern wohl auch Ziel: Wie sollte sich Hochachtung vor einer Leistung äußern ohne Hochachtung der Person?
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