Auch wenn es letztlich wohl auf den alten hinausläuft, ist der neue Berliner Kultursenator nicht zu beneiden. Durch den Wahlkampf sind einige Personalien zu Hängepartien geworden, die dringend einer Entscheidung harren. Dazu zählt die Leitung des Deutschen Theaters, dessen Intendant Bernd Wilms eine zweijährige Gnadenfrist bis 2008 erhielt. Und weil die Zeit für eine solide Vorbereitung schon jetzt knapp bemessen ist, wird der eh nicht große Kreis möglicher Nachfolger täglich Tag kleiner.
Das Theater selbst unternimmt derweil nichts, der Politik die Entscheidung zu erleichtern. Es verpflichtete namhafte Schauspieler und Regisseure, die die Attraktivität des Hauses noch erhöhen. Zudem legte es einen Spielplan vor, der schon auf dem Papier überzeugt. Und nun brachte Dimiter Gotscheff eine Inszenierung heraus, die 2500 Jahre Theatergeschichte auf gut 90 Minuten komprimiert und dabei die mindestens so alte Mär von Siegern und Besiegten über den Haufen wirft.
Den Krieg gewonnen haben die Griechen, die trotz eklatanter Unterlegenheit die Perser vor Salamis schlagen und Athen befreien konnten. Der Triumph lag erst wenige Jahre zurück, als Aischylos Die Perser schrieb. Eine Besonderheit des athenischen Theaters ist, dass die Aufführungen im Rahmen von Festen stattfanden. Aischylos, selbst Kriegsteilnehmer, verlegt die Handlung seines Stücks jedoch in die Perser-Hauptstadt Susa. Und so wird aus der festlichen Zusammenkunft eine produktive Zumutung.
Auf der Bühne steht eine breite Wand quer zum Publikum (Bühne und Kostüme Mark Lammert). Der Abend beginnt mit einer Drehung um 90 Grad und dem Auftritt zweier identisch gekleideter Männer (Samuel Finzi, Wolfram Koch), die verbindlich lächelnd an die Rampe treten. Die Mienen werden ernster, als sich Finzi an die Wand lehnt und sie dadurch leicht verschiebt. Den territorialen Übergriff erwidert Koch, indem er die Sache wieder gerade rückt. Doch ging er dabei nicht einen Hauch zu weit? Das meint zumindest Finzi, der sich erneut an der Wand zu schaffen macht und damit die Reaktion des anderen provoziert. Immer aggressiver wird der Streit, immer weiter schlägt die Wand aus, bis sie sich schließlich im Kreise dreht und die Kontrahenten von der Bühne fegt.
Mit der Ausgangsstellung der Wand ist der Ort der Handlung erreicht, und in Susa wartet man sehnsüchtig auf Nachrichten vom Schlachtfeld, auf das Xerxes seine Männer aus Machtgier trieb. Als Chor der Alten und der Frauen erhebt Margit Bendokat ihre Stimme. Ihre bösen Vorahnungen werden durch einen Traum Atossas (Almut Zilcher) noch verstärkt. Dass an die Wirklichkeit auch die kühnste Fantasie nicht heranreicht, müssen die Bewohner Susas und Xerxes´ Mutter schmerzlich erfahren, als ein Bote (Samuel Finzi, Wolfram Koch) aus der Schlacht heimkehrt. "Zehn Tage reichen nicht", beteuert er unisono, das Grauen zu beschreiben. Doch auch die halbe Stunde, die er spricht, gerät zur akustischen Tortur.
Großen Anteil daran hat der deutsche Text, der hier verwendet wird - eine Bearbeitung von Heiner Müller nach einer Übertragung von Peter Witzmann. Die ist insofern "unfertig", als dass sie die antiken Verse nicht nachformt, sondern wörtlich übersetzt. Zwar verdunkelt sich mit der Grammatik auch der Sinn der Sätze, umso schmerzlicher sticht aber jedes einzelne Wort hervor, das Ängste, Todesarten und Namen Gefallener benennt.
Zudem enthält sich die Regie allem, was das Gesagte illustrieren könnte: Vom stummen Vorspiel abgesehen, ist körperliche Bewegung drastisch reduziert und durch die Präzision des Sprechens ersetzt. Ein Übriges tut die Besetzung, die beiden Männern eine dritte Rolle zuweist. Wolfram Koch schreit als Geist des toten Dareios den Zorn auf seinen Sohn heraus. Xerxes selbst kehrt zwar heil an Gliedern, aber nicht unbeschadet aus dem Krieg zurück. Mit entblößter Brust und rosa Krawatte tritt Finzi an die Rampe. Die Selbstanklage, mit der er seine Macht erhält, gipfelt in einer gestischen und stimmlichen Grimasse, die so verzerrt ist wie die Haltung, die sich darin ausdrückt.
"Geht", fordert der siegreiche Besiegte schließlich bestimmt, "leise", fügt er als letztes Wort hinzu. Das Publikum folgt ihm willig. Doch anders als im Stück macht hier nicht Gehorsam stumm, sondern Nachdenklichkeit. Und falls er die Inszenierung schon gesehen hat, wird auch der künftige Berliner Kultursenator nachdenklich geworden sein. Schließlich stehen wichtige Personalentscheidungen an. Doch dass der alte auch der neue wird, ist in der Politik zumindest gang und gäbe.
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