Klangteppich

Eitel Michael Thalheimer inszeniert Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti" in Hamburg

"Musik: Bert Wrede". Man muss kein Purist sein, um bei diesem Eintrag im Programmheft zu stutzen: Hat denn nicht Paul Dessau die Musik zu Bertolt Brechts Volksstück Herr Puntila und sein Knecht Matti komponiert? Allerdings pflegt Regisseur Michael Thalheimer fast in allen seinen Inszenierungen einen recht eigenwilligen Umgang mit Musik. Ob das Resultat immer segensreich ist, sei dahingestellt. In diesem Fall lässt sich das mit Sicherheit verneinen.

Der "Fall" ist hier die Inszenierung von Brechts 1940 im finnischen Exil entstandenem Puntila am Hamburger Thalia Theater, und die schlägt in den ersten Minuten einen Weg ein, der den folgenden knapp zwei Stunden die Richtung weist. Leider ist es die falsche. Die Vorstellung beginnt in tiefster Dunkelheit, und weil selbst die Notbeleuchtung ausgeschaltet ist, sieht man die Hand vor Augen nicht. In dieses schwarze Loch hinein erklingt eine Ouvertüre von Richard Strauss, die Brechts Prolog ersetzt. Doch statt den Gang des Stückes vorab zu erläutern, schwelgt sie vom ersten Takt an dramatisch in tiefen Tonlagen, um sich schließlich zu Wagnerschem Pathos zu steigern. Parallel dazu gehen die ersten Scheinwerfer an, und in der Dämmerung wird ein Schemen sichtbar, der mit ausgestreckten Armen an der Rampe steht. Hinter ihm ragen zwei golden glänzende Wände auf, die im Hintergrund die Spitze eines Dreiecks bilden. (Bühne Henrik Ahr) Mehr hör- als sichtbar kauert dort ein zweiter Schattenmann und kotzt sich die Seele aus dem Leib.

"Herr Puntila soff drei Tage lang", heißt es dazu im Puntilalied, und der mitsaufende Richter, so Brechts Regieanweisung, fällt vom Stuhl. Solch nüchterne Sichtweisen sind jedoch von einer Inszenierung nicht zu erwarten, die den finnischen Mittsommer durch eine Dauerdämmerung ersetzt. Denn auch wenn es nicht so dunkel bleibt wie zu Beginn - hell wird es auf der Bühne den ganzen Abend nicht. Umso schärfer sticht der Lichtkreis hervor, den ein Spot beharrlich auf Puntila wirft, als sei er zu einer Showgröße mutiert.

Nun ist die Fokussierung auf einen Helden legitim, auch wenn im Titel von zweien die Rede ist: Als Gutsbesitzer ist Puntila so sehr Herr über Mensch und Tier, wie er als Trinker Knecht seiner Emotionen ist, und Norman Hacker verfügt über die schauspielerischen Mittel, beide Varianten gleichzeitig zu spielen. Für Thalheimers Verhältnisse ist das Personal diesmal erstaunlich komplett, und auch die Kürzungen im Text halten sich in Grenzen. Viele treffen Matti (Andreas Döhler), der etwa den gesamten Schluss einbüßt. Dass er trotzdem das letzte Wort hat, übersteht die Figur nicht unbeschadet. Dem Schauspieler ist daraus kein Vorwurf zu machen, denn die lakonische Zurechtweisung Puntilas erledigt er so bravourös wie den gebückten Gang. Was ihn in diese platte Knecht-Symbolik treibt, bleibt allerdings offen.

Noch ärger zerrt die Verknappung am Brautpaar. Ole Lagerpuschs Gelenkigkeit beeindruckt zwar, dem Attaché ist es jedoch eher abträglich, dass er schon vor dem ersten Wort als Trottel erkennbar ist, weil sich Puntilas Tochter Eva (Katrin Wichmann) unmittelbar vor seinen Augen kompromittieren lässt. Zur geplanten Verlobung mit Matti muss ihr Vater dennoch beide auf die Bühne tragen.

Zusammenzuführen, was im Stück zeitlich und räumlich getrennt ist, gehört zur Strategie der Inszenierung: Die nahezu leere Drehbühne hat nur zwei Haltestellen, und weil das goldene Dreieck für Puntilas Zuhause reserviert ist, dient für alle anderen Orte dessen Rückseite, eine breite Holzwand. Hinter der muss Puntila die Arbeiterinnen erst hervorziehen, um ihnen die Ehe versprechen zu können. Und weil zwar das Gesinde, nicht aber deren Anrede gestrichen ist, zielt Puntilas Zeigefinger ins Publikum.

Das amüsiert sich trotzdem und immer dann zu Recht, wenn sich die Leichtigkeit den Schauspielern verdankt. Doch statt mit diesem Pfund zu wuchern, setzt die Regie durch Bert Wredes musikalischen Klangteppich, Licht- und Schattenwurf sowie die Farbe Gold eine pathetische Schwere und damit das genaue Gegenteil dagegen. Gut möglich, dass manche darin eine neue Herangehensweise an den alten Brecht entdecken. Andere nennen es Eitelkeit.


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