Künstlerpech?

Besonders für Schauspieler Hartz IV gefährdet eine Berufsgruppe, die "eigentlich" nicht gemeint war

Seit Monaten füllt die Debatte um Hartz IV den Politik- und Wirtschaftsteil unserer Zeitungen. In den Feuilletons hingegen spielt sie fast keine Rolle, was insofern angemessen ist, als dass Kunst und Kultur von den "Reformen" ausdrücklich nicht gemeint sind. Filmförderung, "Bündnis für Theater" und "Kultur in Deutschland" heißen einige der Programme, die den Sparzwang bisher relativ unbeschadet überstanden haben. Und doch hat die Reform eine Nebenwirkung, die auf keinem Beipackzettel notiert ist. Während die Arbeitslosigkeit in Industrie und Handwerk die Branchen selbst nicht infrage stellt, gilt für künstlerische Berufe, zuvörderst den des Schauspielers, das Umgekehrte: Hartz IV entzieht ihnen jene Grundlage, die nicht nur der benötigt, der sie ausübt.

Diese Diagnose mag zunächst befremden, sind die künstlerischen doch Inbegriff der "freien Berufe", die, bei allen Unterschieden, in einem Punkt übereinkommen: Wer sie ausübt, arbeitet quasi ohne Netz und doppelten Boden. Bleiben die Aufträge aus, droht der soziale Absturz, denn Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind für Freiberufler, gleich ob Steuerberater oder Schriftsteller, Makler oder Maler, ebenso Fremdwörter wie Arbeitslosengeld.

Da es mit der "Freiheit" dieser Form des Broterwerbs mitunter also nicht weit her ist, gilt seit Anfang der 1980-er Jahre für "Kulturschaffende" - um das Wort Künstler zu vermeiden, dessen Berechtigung sich immer neu erweisen muss - eine Bestimmung, die den Absturz verhindern soll. Geschuldet ist sie jedoch weniger dem Interesse des Einzelnen als dem der Allgemeinheit: In der Überzeugung, dass Kunst und Kultur zwar jenen Humus bilden, auf dem eine Gesellschaft erst gedeiht, mit ihnen jedoch kaum Geld zu verdienen ist, regelt das Künstlersozialversicherungsgesetz, dass Freie, die in künstlerischen Berufen arbeiten, nur die Hälfte der Beiträge für die Sozialversicherung zahlen, die andere Hälfte vom Staat und kommerziellen Verwertern künstlerischer Leistungen aufgebracht wird.

Eine Absicherung gegen Auftragsmangel ist in dieser Regelung allerdings nicht enthalten, so dass Betroffene im Notfall (der für viele die Regel ist) mit "unkünstlerischer" Arbeit dazuverdienen müssen. Das steht auch der zweiten Gruppe Kulturschaffender bevor, die dank einer anderen Sonderregelung bislang Anspruch auf Arbeitslosengeld "erwerben" konnte. Denn seit denselben Achtzigern, in denen künstlerische Berufe unter besonderen Schutz gestellt wurden, wird einer Form ihrer Ausübung jene Selbstständigkeit abgesprochen, durch die künstlerische Tätigkeit definiert ist. Einem schon damals antiquierten Kunstverständnis folgend, gelten bis auf eine Ausnahme alle an einer Filmproduktion Beteiligten als abhängig Beschäftigte, weil sie nicht "frei", sondern auf Anweisung jener Ausnahme namens Regisseur handeln. Deshalb müssen sich "Filmschaffende" anstellen lassen und neben Lohnsteuer auch Sozialabgaben "abführen".

Anders als gewerbliche Arbeitnehmer erhalten sie aber nur befristete Verträge über jenen Zeitraum, in dem die entsprechende Qualifikation am "Set" gebraucht wird. Für alle, die hinter der Kamera arbeiten, kann das ein gesichertes Einkommen über mehrere Monate bedeuten. Schauspieler hingegen werden nur für die Drehtage "gebucht", an denen sie vor der Kamera stehen. Der Sparzwang, der längst auch die Filmbranche erreicht hat, führt dazu, dass diese Tage immer länger werden, um deren Anzahl zu verringern, so dass sich die Anstellung des Darstellers einer Nebenrolle nicht selten auf einen Arbeitstag beschränkt. Dass der meist besser bezahlt wird als der anderer abhängig Beschäftiger, erweist sich als zweischneidiges Schwert, weil das Tageseinkommen zu einem Monatsverdienst hochgerechnet wird. Entsprechend astronomisch sind neben den Steuern auch die Sozialabgaben.

Lässt sich Ersteres beim Lohnsteuerjahresausgleich noch korrigieren, bleiben die Sozialabgaben auch dann verloren, wenn laut Hartz IV kein Anspruch mehr daraus erwächst: Mussten abhängig Beschäftigte bislang binnen drei Jahren 360 Arbeitstage nachweisen, um Arbeitslosengeld zu beziehen, bleiben ihnen dafür künftig nur noch zwei Jahre - für die allermeisten Schauspieler ein aussichtsloses Unterfangen, bei dem sie auch vom Arbeitsamt keine Unterstützung erwarten dürfen, weil jener Teil der Reform, der für Arbeitslose neben dem Fordern das Fördern vorsieht, bei ihnen nicht greift. Zwar existiert mit der Zentralen Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung (ZBF) ein zuständiger Ableger, dessen Möglichkeiten sind jedoch aus mehrerlei Gründen beschränkt.

Der gewichtigste ist der, dass die deutsche Filmproduktion in den letzten fünf Jahren um die Hälfte zurück gegangen und ein Ende des Niedergangs nicht absehbar ist. Wo ohnehin kaum etwas zu vermitteln ist, tut sich ein unbeweglicher Apparat besonders schwer, auf die Bedürfnisse einer Branche zu reagieren, die schon zu Blütezeiten anderen Gesetzen gehorchte als die übrige Wirtschaft. Aus dieser Einsicht heraus verzichtete die damalige Bundesanstalt für Arbeit schon vor Jahren auf ihr Monopol und ließ private Schauspiel-Agenturen zu, die ihre Klientel gegen eine Provision vermitteln.

Anders als der ZBF jedoch steht es den privaten Agenten frei, wen sie in ihre Kartei aufnehmen, und fraglos ist die Vermittlung eines "Stars" einträglicher als die eines talentierten Anfängers oder eines alternden Routiniers. Für jene Schauspieler, die am Anfang oder am Ende ihrer Karriere stehen, kommt erschwerend hinzu, dass im Zeitalter der Quote Sender und Produktionsfirmen zunehmend das Risiko scheuen und auf Bewährtes setzen. Was dem Zuschauer das zweifelhafte Vergnügen beschert, auf Leinwand und Bildschirm immer öfter den immergleichen Gesichtern zu begegnen, bedeutet für den Berufsstand, dass viel spielende Spitzenverdiener in der drehfreien Zeit ein üppiges Arbeitslosengeld beziehen, während die "Masse" der unterbeschäftigten Schauspieler am sprichwörtlichen Hungertuch nagt.

Dieses Los teilen sie mit vielen Angehörigen nichtkünstlerischer Berufe. Und doch gibt es einen Unterschied, der in der gegenwärtigen Diskussion so gar nicht zur Sprache kommt. Kündigungsschutz heißt das letzte Tabu, vor dem die Arbeitsmarktreform bislang Halt macht - mit der Betonung auf bislang, denn sollten die "Montagsdemonstrationen" genannten Proteste den Erfolg haben, der sich abzeichnet, wird weder die Reform noch der Staat kippen, sondern allenfalls die amtierende Regierung. Vorhersehbar wie die neue ist auch der Tabubruch. Die Folgen lassen sich schon heute im Tarifrecht jener dritten Gruppe Kulturschaffender studiereren, die ihrer Arbeit als Festangestellte nachgehen.

Dabei handelt es sich vor allem um jene Schauspieler, die an einer staatlichen oder städtischen Bühne engagiert sind. Doch auch dieses vermeintliche Privileg ist trügerisch, und das nicht erst, seit auch an subventionierten Theatern massiv Stellen abgebaut werden. Denn unbefristete Anstellungen sind dort seit jeher unbekannt. Zumal Anfänger bekommen bestenfalls Verträge über zwei Jahre, und auch die sind mitunter schnell Makulatur. In Würdigung der besonderen Erfordernisse der Kunst dürfen neue Intendanten jenes Gros des Ensembles, das nicht durch mindestens achtjährige Zugehörigkeit geschützt ist, ohne Angaben von Gründen "freistellen", um die Vakanzen nach eigenem Gusto neu zu besetzen - oder eben nicht.

"Künstlerpech" ließe sich diese Lebenslage mit einem geflügelten Wort bilanzieren, stünde sie nicht sehr bald auch Angehörigen aller anderen Berufe bevor - wenn die Anzeichen nicht trügen, spätestens nach der nächsten Bundestagswahl.


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