Mit maritimen Themen hält sich "mare" auch im verflixten siebten Jahr erfolgreich über Wasser

Das Salz der Erde Schon auf der zweiten Doppelseite setzt die Zeitschrift mare erkennbar andere Schwerpunkte, als das Schulwissen lehrt. Dieser Scholastik ist die Erde ...

Schon auf der zweiten Doppelseite setzt die Zeitschrift mare erkennbar andere Schwerpunkte, als das Schulwissen lehrt. Dieser Scholastik ist die Erde nämlich weiterhin eine Scheibe, die sich um einen imaginären Punkt im Golf von Guinea dreht. Dort kreuzen sich mit Nullmeridian und Äquator jene Linien, die der Welt die vertraute Ordnung verleihen, laut der Amerika links und Asien rechts, Europa oben und Afrika unten liegt. Australien ist darin nur eine Randerscheinung, und die Antarktis fällt aus ihr ebenso heraus wie aus der Rede von den fünf Kontinenten.

Die Übersichtlichkeit, die Atlanten und Weltkarten bieten, ist jedoch nicht naturgegeben, sondern das Resultat einer Hilfskonstruktion: Damit der Erdball zwischen zwei Buchdeckel oder an den Kartenständer passt, muss man gewissermaßen die Luft aus ihm herauslassen. Seit der Niederländer Gerhard Mercator im Jahr 1569 die Erdoberfläche erstmals in ein Liniennetz spannte, sind die Kartografen bemüht, den notwendigen Schnitt durch die Außenhaut so zu setzen, dass die Kontinente ungeschoren bleiben. Dafür bietet sich jene Naht an, die vom Nordpol durch die Behringstraße quer durch den Pazifik verläuft, wo sie knapp an Neuseeland vorbeischrammt, ehe sie schließlich den Südpol erreicht.

An dieser "Verstümmelung" vor allem des Pazifiks kann sich eine "Meereszeitschrift" unmöglich beteiligen. Daher konfrontiert mare den Leser mit einer Weltkarte, die statt der vertrauten Ordnung ein Gewirr aus unterschiedlich stark gekrümmten Kurven zeigt, die die Kontinente an den Rand drängen und stattdessen die Ozeane ungeschoren lassen. Ob die Parteinahme den Untertitel rechtfertigt, bleibt fraglich, denn noch wird Die Zeitschrift der Meere nicht vom Namenspatron, sondern über ihn gemacht.

Die Anfänge reichen genau zehn Jahre zurück. Im Sommer 1994 begann "eine kleine Gruppe von Idealisten" um den späteren Herausgeber und Chefredakteur Nikolaus Gelpke eine Zeitschrift zu konzipieren, die "den Stellenwert, den das Meer als Lebens-, Wirtschafts- und Kulturraum für den Menschen hat, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken" sollte, wie es ein Jahr später anlässlich der Gründung des Dreiviertel-Verlages in Kiel heißt.

Der Name ist zugleich Programm, leitet er sich doch aus der Tatsache ab, dass zwei Drittel der Erdoberfläche von Salzwasser bedeckt sind. Dem sind die Gründer nicht nur als Idealisten zugetan, und auch wenn es laut eigener Aussage zu Beginn am kaufmännischen Hintergrund gefehlt haben mag, so nicht an maritimer Sachkenntnis: Der Schweizer Gelpke ist studierter Meeresbiologe, der zudem lange als Taucher gearbeitet hat.

Noch bevor das erste Heft erschien, zogen Redaktion und Verlag, nun modisch-klein "dreiviertel" geschrieben, in die alte Speicherstadt des Hamburger Hafens um. Von dort aus schickten sie im April 1997 die erste Ausgabe auf einen Markt, der schon damals im Grunde übersättigt war. Um dennoch eine "Nische" zu finden, setzte man auf eine aufwändige Werbekampagne und eine nicht minder herausgehobene Gestaltung des Heftes, das im für die Branche unüblichen Fünffarbdruckverfahren und auf besonders starkem Papier eine redaktionelle Mischung präsentiert, in der sich Texte und Fotos in etwa die Waage halten.

Nicht nur aus der Ferne erinnert mare deshalb an Magazine wie Geo oder National Geographic, von denen es sich vor allem durch die Perspektive unterscheidet, unter der es - von "Transatlantik" im ersten bis zu "Öl" im 43. Heft, das Anfang April erscheint - alle zwei Monate einen Themenschwerpunkt setzt, der gut die Hälfte des Umfangs ausmacht und in der aktuellen Ausgabe Tahiti gewidmet ist. Als Aufmacher fungiert dabei ein Artikel, der unter der Rubrik "Meereskunde" das Leben der Einheimischen an, auf und mit dem Wasser beschreibt. Die Verbindung zum namensgebenden Medium wird jedoch eher loser, wenn sich die folgenden Beiträge mit Essgewohnheiten, dem Tourismus und Paradiesvögeln wie einem ehemaligen Fremdenlegionär aus Eberswalde beschäftigen, der auf der kleinen Insel Tahaa als Vanillepflanzer lebt. "Abgerundet" wird der Schwerpunkt von einem sinnigerweise der Rubrik "Meerbusen" zugeordneten Artikel, der dem Mythos der freizügigen Tahitianerinnen nachspürt. "Aufgefüllt" wird das aktuelle Heft von Reportagen, deren Schauplätze selbst dann mit dem Meer in Verbindung stehen, wenn sie, wie der Nordostseekanal, im Binnenland liegen.

Ob Schwerpunkt, Reportage oder regelmäßige Kolumne: Namhafte Autoren und Fotografen prägen das Erscheinungsbild ebenso wie ein wohltuend unaufgeregtes Layout und haben mare in allen drei Kategorien zahlreiche Preise eingebracht. Der Erfolg beim Publikum steht dahinter kaum zurück. Im verflixten siebten Jahr können sich Verlag und Redaktion auf 32.000 in der Mehrheit männliche Abnehmer verlassen, die sich das zweimonatliche Lese- und Schauvergnügen 7,50 Euro kosten lassen. Wer als Späteinsteiger seine Sammlung komplettieren will, muss weitaus tiefer in die Tasche greifen: Heft Eins kam unlängst beim Internetauktionshaus e-bay für fast 250 Euro unter den virtuellen Hammer.

Ebenso lautlos hat sich der dreiviertel verlag unterdessen zu einem kleinen Medienkonzern gemausert. Dazu gehört seit zwei Jahren auch ein Buchverlag, der es mit John Griesemers Rausch auf Platz Eins der Spiegel-Bestsellerliste gebracht hat. Seit dem Jahr 2001 läuft im NDR-Fernsehen eine monatliche Ausgabe von mareTV, und im Nordwest-Radio ist jeden ersten Sonntag im Monat mareRadio zu hören. Wem die marelose Zeit dennoch zu lang wird, der kann sie mit nützlichen Dingen wie Hörbüchern oder Badetüchern aus dem virtuellen mareShop überbrücken.

Und wer dann das neue Heft vom Kiosk oder aus dem Briefkasten holt, erhält einen attraktiven Zwitter aus Fach- und Publikumszeitschrift, mit dem es sich in etwa so verhält wie mit den Produkten, die darin beworben werden: Wer braucht schon eine handgefertigte Armbanduhr, deren Preis leicht ein Jahresgehalt erreicht? Ohne eine gelegentliche Prise Luxus wäre das Leben aber auch irgendwie fade, oder nicht?

Rudolf Mast


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