Normalfall Leben

Spielerisch leicht "Die Katze auf dem heißen Blechdach" am Hamburger Thalia Theater

"Wäre schon komisch, wenn´s wahr wäre." Mit diesen Worten Bricks endet Tennessee Williams´ Die Katze auf dem heißen Blechdach. Die Skepsis von Big Daddys jüngstem Sohn ist nachvollziehbar. Erstens ist er Alkoholiker, und zweitens handelt das ganze Stück von einem Gebäude aus Selbstbetrug und Lügen, das wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

"Enthüllungsdramen" wie Die Katze funktionieren wie ein Brennglas: Um den Normalfall "Leben" zu beschreiben, konstruieren sie eine Ausnahmesituation, in der sich eine vermeintlich heile Welt als seelische Folterkammer entpuppt. Doch mit den Zeiten ändern sich die Wertvorstellungen, und sind erst die Tabus gefallen, gibt es nichts mehr zu enthüllen. Das macht auch die Katze anfällig für historischen Verfall. Wie sich dieser Gefahr durch Leichtigkeit begegnen lässt, zeigt eine Inszenierung am Hamburger Thalia Theater, die am Wochenende Premiere hatte. Die Regisseurin Alize Zandwijk richtet Bricks Skepsis an das Stück und fragt, ob´s wahr bleibt, wenn es komisch ist.

Auf den ersten Blick ist es das rein gar nicht, denn es spielt an Big Daddys 65. Geburtstag, und dass es sein letzter ist, wissen alle außer ihm und seiner Frau. Krebs heißt die Diagnose, und die wirft die Frage nach dem Erbe auf. Big Daddy ist der reichste Pflanzer weit und breit, und als ältester Sohn, Jurist und Erzeuger von fünf Enkeln fühlt sich Gooper als legitimer Nachfolger. Umso größer sein Entsetzen, als plötzlich Bricks Name fällt. Der hat sich aus Ekel dem Suff ergeben und sich letzte Nacht den Knöchel gebrochen. Die verwickelte Ausgangslage wird erschwert durch Bricks latente Homosexualität und Maggies Kinderlosigkeit, die Mae der Schwägerin genüsslich um die Nase reibt.

Um das Gemenge aus Konflikten und Motiven übersichtlicher zu machen, legt Williams die Handlung in ein einziges Zimmer, in dem sich die Figuren in verschiedenen Konstellationen treffen und die Tragödie nach und nach entfalten. Mit dieser Ordnung von Raum und Zeit bricht die Inszenierung schon im ersten Bild. Wenn sich der Vorhang öffnet, fällt bonbonfarbenes Licht auf einen surrealen Raum: Hinten rechts steht eine professionelle Küche, doch das Mobiliar davor ist auf Kindergröße geschrumpft. Links ragt hinter einem Sessel ein Waffenschrank auf, der, nur durch ein schmales Treppenhaus getrennt, wiederum an die Küche grenzt. Darüber bilden zwei schräge Rampen eine Kugelbahn, die als Kinderspielzeug in Originalgröße darunter steht.

Von solch subtilen Bildstörungen ist der Abend von Beginn an grundiert, und wie Thomas Rupert dem Raum und den Kostümen, hat die Regisseurin sie den Figuren eingepflanzt. Mit einer Schürze über seinem Anzug rührt Gooper (Werner Wölbern) Kuchenteig an, während Mae (Natali Seelig) bunte Luftballons aufbläst. Wie ein Fremdkörper steht Margaret (Judith Hofmann) im Tigerkleid daneben. Aber die gehört ja auch nach links, wo sich Brick (Alexander Simon) zum Saufen in den Sessel zurückgezogen hat. Erst als ihr Kleid eine Ladung Mehl abbekommt, geht Maggie zu ihm und spricht den ersten Satz des Stücks. Und weil dessen Konflikte jetzt schon sichtbar sind, müssen die Schauspieler sie nicht mehr psychologisch motivieren, sondern können damit spielen.

Auf Brick etwa wirkt die Entschlackungskur derart heilsam, dass er im dritten Akt ohne Krücke auskommt. Und so operettenhaft wie die Streichmusik und das blaue Licht, zu dem Big Daddy an die Rampe tritt, ist auch der Schmerbauch unterm Frack. So ausstaffiert, kann sich Jörg Pose darauf konzentrieren, den Zyniker möglichst widerlich zu spielen. Dass ihm das gelingt, belegt die Ohrfeige, die Mae ihm zu ihrem eigenen Schreck versetzt. Den Weg zurück zur braven Schwiegertochter ebnen ihr Natali Seeligs darstellerische Klasse und der Text, der Big Mama (Sandra Flubacher) von einer Moskitoplage sprechen lässt.

Schon im Tigerkleid ist auch Margaret mehr brave Schwiegertochter als Raubkatze, und das rosa Kleid, das sie später trägt, macht sie eher handzahm als wild. Dafür ist Judith Hofmanns Maggie so geerdet, dass auch ein heißes Blechdach unter den Füßen sie nicht schrecken kann. Brenzlig wird es in der Tat, wenn sie die Schwangerschaft erfindet, um Big Daddys letzten Wunsch ans Leben zu erfüllen. Noch brenzliger ist aber ihre Forderung an Brick, die Lüge wahr zu machen. Nicht das Erbe, sondern Liebe nennt sie als Motiv. "Wäre schon komisch, wenn´s wahr wäre", lautet Bricks Antwort. Doch am Ende eines Abends, der aus Komik Wahrheit schöpft, muss das nicht Skepsis sein.


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