Alle Jahre wieder machen parallel zu den Parlamenten und Schulen auch die Theater Ferien. In diesem Jahr haben sich die städtischen und staatlichen Bühnen die schöpferische Auszeit mehr als redlich verdient, mussten sie doch gegen Ende der Saison gegen eine schier übermächtige Konkurrenz anspielen: die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land.
Die erfreuliche Nachricht ist, dass sich die Theater gegen dieses Großereignis, in dessen Bann dank "Public Viewing" und des erfrischenden Auftretens der deutschen Mannschaft auch bislang immune Kreise gezogen wurden, bravourös geschlagen haben - und dabei auch die Kinos alt aussehen ließen. Während die für die Hitzemonate Juni und Juli einen drastischen Besucherrückgang beklagten, konnten die meisten Theater ihre Auslastungszahlen halten.
Das mag, um beim sportlichen Vergleich zu bleiben, ihrer Taktik zu verdanken sein, für die Otto Rehagel einst den Ausdruck "kontrollierte Offensive" geprägt hat. Zugegeben: Große Premieren, die sonst das Ende einer Spielzeit krönen, waren in diesem Jahr die Ausnahme. Doch wie der Sommer lehrt, gibt es auch andere Möglichkeiten, ein Publikum zu ködern.
Ein nicht neues, aber stets probates Mittel sind Gastspiele, die dann besonders sinnfällig sind, wenn daraus eine kleine Werkschau entsteht. Dazu kam es an der Berliner Schaubühne, wo während der WM-Vorrunde die Münchner Kammerspiele mit Shakespeares Othello gastierten. Der Regisseur des Abends, Luk Perceval, arbeitet seit genau einem Jahr fest an der Schaubühne. Und kaum hatte die Finalrunde begonnen, standen mit Maria Stuart von Friedrich Schiller und Anton Tschechows Platonow jene zwei Inszenierungen auf dem Spielplan, die in dieser Zeit entstanden.
Den umgekehrten Weg beschritten andere Häuser: Statt sich fremde Inszenierungen ins Haus zu holen, verließen sie es mit eigenen und zeigten sie an ebenso ungewöhnlichen wie attraktiven Orten: Das Thalia Theater Hamburg ging mit Shakespeares Viel Lärm um nichts in die Hafencity, und das Hans-Otto-Theater Potsdam lud zu Was ihr wollt und Tschechows Onkel Wanja in die Orangerie von Sanssouci. In Leipzig sind zwar die Stücke weniger prominent, dafür läuft die Freiluftsaison dort noch im August.
Diese besucherfreundliche Strategie zu kopieren dürfte den Kinos schwer fallen, doch das erklärt nicht, warum der Hochsommer eine schlechte Zeit für Kassenerfolge ist (Fluch der Karibik Teil 2 ist die regelbestätigende Ausnahme). Denn auf genau dieses Pfund setzte beispielsweise die Berliner Volksbühne. Im Großen Haus richtete sie die legendäre Einheitsbühne "Neustadt" von Bert Neumann auf und zeigte darin Der Idiot nach Dostojewski und Berlin Alexanderplatz nach Alfred Döblin - beides sozusagen "Hit"-Inszenierungen des Hausherrn Frank Castorf und beides Arbeiten, die, so das Theater mit feiner Ironie, "ziemlich lange", nämlich fünf beziehungsweise sieben Stunden dauern. Parallel dazu und ebenfalls in einem Bühnenbild von Bert Neumann zeigte die kleine Spielstätte im täglichen Wechsel Arbeiten von René Pollesch, darunter zum letzten Mal auch die Prater-Saga. Das Mammutprogramm leitete zugleich den befristeten Abschied vom Prater ein, der bis zum Jahresende geschlossen bleibt, weil er renoviert werden muss.
Grundlegende Erneuerung hatte auch das Bühnenhaus des Deutschen Theaters Technik nötig. Doch in der Berliner Schumannstraße legte man die erforderlichen Schließzeiten in die WM, um Mitte August als eines der ersten Häuser im Lande den sprichwörtlichen Lappen wieder hochziehen zu können.
In der Ankündigung für die neue Spielzeit nennt das Haus nicht ohne Stolz die Namen einiger prominenter Schauspieler, die verpflichtet werden konnten. Die Aufzählung überrascht, stehen die meisten der Genannten doch schon seit Jahren regelmäßig auf den beiden Bühnen des DT. Der vermeintliche Widerspruch löst sich dadurch auf, dass sie bis dato als Gäste gelistet waren und "hauptberuflich" vor der Kamera standen.
Der Niedergang der deutschen Film- und Fernsehproduktion hält jedoch unvermindert an, und analog zu den Rollenangeboten sinken auch die Gagen. Manchem Schauspieler mag das den Entschluss erleichtern, sich fest an ein Theater zu binden. Wenn sich dort zunehmend wieder Ensembles bilden, ist das also auch der Krise des Films geschuldet.
In voller Blüte stehen hingegen die zahlreichen Festivals, die sich durch den europäischen Sommer ziehen: Montpellier und Berlin, Salzburg und Bayreuth, Avignon und Edinburgh sind nur die prominentesten Orte, in denen der Tross aus Tänzern, Sängern und Schauspielern Jahr für Jahr Station macht. Andere Städte bemühen sich um Aufnahme in den erlauchten Kreis. So hat Athen sein Festival in diesem Jahr mit einer neuen Leitung und viel Geld ausgestattet, um sich dauerhaft in der ersten Liga der Sommerevents zu etablieren.
Die Eintrittskarten für diese Veranstaltungen sind jedoch so begehrt wie für das Finale der WM - und oft auch so teuer. Dass sich deshalb zum künstlerischen Renommee mitunter auch wirtschaftlicher Erfolg gesellt, warf im Falle Bayreuth kürzlich die Frage auf, ob die Subventionierung durch die öffentliche Hand gerechtfertigt ist. Diese Diskussion führt natürlich in die Sackgasse - nicht nur, weil mit Nike Wagner ein abtrünniges Familienmitglied sie anstieß, die als Leiterin des Kunstfests Weimar zudem selbst am Subventionstropf hängt.
Vor allem aber ist Kulturförderung kein Almosen, sondern eine Investition, von der sich die Geldgeber Rendite erhoffen - und zwar nicht nur ideelle. Denn im Wettbewerb um zahlungskräftige Investoren und Touristen sind Museen, Opern und Theater längst ein "harter" Standortfaktor geworden, der für die Attraktivität einer Stadt von erheblicher Bedeutung ist. Und im Wettbewerb der Firmen um Käufer und Kunden entscheidet neben Qualität und Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung auch dessen Image.
Diesem Umstand verdankt sich eine Konstellation, die zum Verschwinden des theatralischen Sommerlochs das Ihre beiträgt. Am 14. August jährt sich der Todestag von Bertolt Brecht zum 50. Mal, und aus diesem Anlass inszeniert der Schauspieler und Regisseur Klaus Maria Brandauer in Berlin die Dreigroschenoper. Als Hauptsponsor wurde ausgerechnet die Deutsche Bank gewonnen.
Was immer von dieser Partnerschaft zu halten ist - zumindest ist das Projekt dadurch finanziell gesichert. Mit der Premiere allerdings soll auch der traditionsreiche Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße wiedereröffnet werden. Noch aber ist das frühere Metropoltheater eine Baustelle, deren Anblick die Frage aufwirft, wie daraus bis zum 11. August, 20 Uhr, ein funktionierendes Theater werden soll. Denn auf das Gebäude bezieht sich das Sponsoring der Deutschen Bank nicht, und da sich das Land Berlin schon vor Jahren aus der Finanzierung zurückgezogen hat, bleibt die Renovierung dem Wagemut einer privaten GmbH überlassen.
Diese Rechtsform hat seit vielen Jahren auch das Berliner Ensemble, doch ungeachtet dessen, bezieht es den Großteil seines Etats vom Senat. Zumindest indirekt beteiligt sich der so an einer weiteren Würdigung Brechts, die am 12. August beginnt und bis in den September dauert. Den Auftakt bildet eine große Gala, die von der ARD aufzeichnet und tags darauf ausgestrahlt wird. Zum Programm gehören internationale Gastspiele, Filme, Lesungen und Diskussionen.
Dass der Intendant Claus Peymann sein Haus zu Ehren des "großen Kommunisten und Dramatikers" im Sommer öffnet, ist zweifellos verdienstvoll, doch drängt sich das BE dafür auch auf: Noch sind Berliner Aufführungen seiner Stücke von der Zustimmung der Erben abhängig, die bevorzugt an Brechts frühere Wirkungsstätte ergeht. Und bis diese Hürde des Urheberrechts fällt, gehen noch 20 Jahre ins Land.
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