Urfaust in Hamburg

Bühne Goethes Urfaust auf den Spielplan zu setzen ist eher Kampfansage denn Friedensangebot. Zwar ist er ein legitimer Vorfahre der deutschesten aller ...

Goethes Urfaust auf den Spielplan zu setzen ist eher Kampfansage denn Friedensangebot. Zwar ist er ein legitimer Vorfahre der deutschesten aller Bühnenfiguren, zugleich aber auch dessen Gegenentwurf: Dem Gelehrtendrama des Geheimrats steht das Unfertige, Unkultivierte, der rohe Entwurf des jungen Goethe gegenüber. Für seine letzte Inszenierung im Hamburger Thalia Theater hat sich dessen Oberspielleiter Andreas Kriegenburg für den "Faust in seiner ursprünglichen Gestalt" entschieden. Im Sommer wechseln Kriegenburg, der Intendant Ulrich Khuon und weitere Mitarbeiter ans Deutsche Theater in Berlin. Und wenn der Eindruck, den der Urfaust hinterlässt, nicht täuscht, dann, positiv gesagt, freut sich Kriegenburg auf die Hauptstadt.

Der Abend besteht aus zwei Teilen, die vor allem durchs Bühnenbild und die Musik verbunden sind. Es beginnt in totaler Finsternis, und hell wird es auch nicht, wenn hier und dort ein Scheinwerfer aufflammt, dessen Licht vom Spielraum verschluckt wird - ein großer dunkler Kasten mit braunem Torf als Boden. In den Wänden befinden sich zwei umlaufende Schlitze als Ablage für Bücher und anderes Zubehör. Doch genauer besehen sieht die Manege aus wie eine Miniatur des Zuschauerraums aus Balkonen und Parkett.

"Nacht" ist die Szene überschrieben, und die Nacht droht die gealterten Faust (Katharina Matz) und Wagner (Markwart Müller-Elmau) in ihren erdfarbenen Kostümen (Andrea Schraad) zu verschlucken. Den hinlänglich bekannten Monolog lässt Faust sich auf Papptafeln reichen, und der Erdgeist erscheint als Fotoserie von (Noch-)Angestellten des Theaters: Alle Zeichen stehen hier auf Abschied. Dazu passt das barocke Madrigal, zu dessen Klängen Mephisto (Natali Seelig) aus dem Staub steigt, vom Scheitel bis zur Sohle weiß gewandet. Dem Studenten (Harald Baumgartner) tritt er jedoch im bürgerlichen Gewand des schwarzen Anzugs gegenüber.

Analog verläuft die Verjüngung Fausts: Hans Löw schält sich nackt aus einem Kokon und übernimmt vom alten Faust das schwarze Gewand. Der Pakt mit Mephisto dauert viele Minuten und findet wortlos statt. So ist, wenn sich der Eiserne Vorhang unvermittelt senkt, zwar weit über eine Stunde, aber erst eine Szene um. Doch dass zum tragenden Gesang nun moderner Jazz erklingt, ist ein Indiz dafür, dass mit dem Rollen- auch ein Zeitenwechsel verbunden ist.

Die Bestätigung folgt nach der Pause, wenn derselbe Raum ein anderer geworden ist: So hell wie das Licht sind die Kostüme, in denen Gretchen (Lisa Hagmeister) und Marthe (Sandra Flurbacher) den Männern begegnen. Fausts "Anmache" Gretchens geht jedoch ein Rap voraus, der nicht erst die Gretchenfrage betulich wirken lässt. Die Boxen, aus denen er ertönt, haben altmodische Relikte wie Bücher aus den Wandregalen verdrängt. Für "moderne Zeiten" steht auch, dass Szenen gestrichen, vertauscht und verwoben werden, die Darsteller fast durchgängig auf der Bühne bleiben, Texte anderer Herkunft einbauen und das Sprechtempo mitunter bis zur Unverständlichkeit forcieren. Das Resultat gerät in etwa so "höchst konfus", wie dem Autor einst sein Manuskript erschien.

Was den dreistündigen Abend im Innersten zusammenhält sind letztlich die Anspielungen auf den Abschied vom Hamburger Publikum. Auf den Nenner gebracht werden sie am Schluss, als Mephisto das Gretchen aus dem Kerker führt und Faust allein mit seinem iPod auf der Bühne zurückbleibt. Das letzte Lied, das er anspielt, endet mit der Zeile: "I don´t belong here." Nach acht Jahren wäre das eine ernüchternde Bilanz, doch vielleicht zielt die Diagnose an der Inszenierung ja vorbei. Überprüfen lässt es sich, wenn im März auf der kleinen Bühne in der Gaußstraße eine allerletzte Inszenierung Kriegenburgs folgt. Vor allzu großen Hoffnungen auf einen versöhnlichen Ausklang wird jedoch gewarnt: Das Stück stammt von Molière und heißt Der Menschenfeind.

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