Mit den Subventionen erhält das deutsche Staats- und Stadttheater eine Vielzahl von Aufgaben, die sich nicht selten widersprechen: Unterhalten soll es, aber bitte mit Niveau, an- und aufregen, betören und verstören und weitere Unvereinbarkeiten mehr. Und als sei das nicht Last genug, spielt das Hamburger Thalia Theater nun auch noch gegen den Lauf der Natur an. Seit Herbstbeginn läuft Das Versprechen nach Friedrich Dürrenmatt, das zu weiten Teilen im Kunstschnee spielt. Da seit Wochen echter Schnee vom Himmel fällt, präsentiert das Thalia zwei Inszenierungen, die schon vom Sommer künden.
Die eine ist Shakespeares Sommernachtstraum. Theseus (Norman Hacker) residiert in einem schmucklosen, braun tapezierten Kasten. Einziger Farbtupfer ist ein roter Teppich, aus dem der Herzog von Athen seine Braut Hippolyta (Natali Seelig) wickelt. Gefesselt und blutbeschmiert, ist sie von Vorfreude auf die Hochzeit weit entfernt. Nicht anders geht es Hermia (Anna Blomeier), die Demetrius (Jörg Koslowsky) heiraten soll, obwohl sie Lysander (Daniel Hoevels) liebt. Vor die Wahl gestellt, sich zu fügen oder zu sterben, flieht sie mit Lysander aus Athen, verfolgt von Demetrius und Helena (Paula Dombrowski), die den verschmähten Bräutigam vergebens liebt. Im Wald, den sie durchqueren müssen, geraten sie in den Bann Oberons, König der Elfen, der just an diesem Tag seiner Königin Titania zürnt. Und just an diesem Tag begeben sich fünf tumbe Handwerker in den Wald, um für Theseus´ Hochzeit ein Theaterstück einzustudieren.
Mit den ersten Szenen benennt Shakespeare Gegenwelten, die im Verlauf des Stücks hart aufeinander prallen. In der Regie von Jorinde Dröse fallen diese Gegenwelten jedoch in eins: Die Rollen der doppelten Regenten überträgt sie denselben Darstellern, und auch der Raum (Susanne Schuboth) bleibt fast unverändert, wenn sich mit einer halben Umdrehung der Bühne die Handlung verlagert. Jenseits von Athen befindet sich aber kein Wald, sondern nur die Rückseite des Machtzentrums. Und da die Jugend auf der Flucht die verbindende Wand einreißt, kann ihnen der Einfluss dieser Macht ungehindert folgen.
Das übernimmt der Elf Puck (Tino Mewes), in Hamburg ein Technokrat, der Oberons Auftrag, die Gefühls-Verirrten auf die rechte Liebesbahn zu bringen, als militärischen Befehl ausführt und sich danach eine Kugel durch den Kopf jagt. Nach der Pause ist er wieder quicklebendig, und auch die Wand ist repariert. Beide werden gebraucht, wenn sich die Bühne erneut dreht und sich drei Brautpaare in Theseus´ Reich zum Gruppenbild aufstellen. Der Fesseln vom Beginn entledigt, sucht Hippolyta ihr Heil in der Flucht durch die Wand. So entgeht sie zwar dem weißen Pulver Pucks, das die anderen erstarren lässt. Nur Theseus ist immun dagegen und nimmt die Verfolgung Hippolytas auf. Er wird die Heirat schon erzwingen. Der Zynismus der Macht ist durchaus Bestandteil des Stücks und ihn zu betonen legitim. Den Abend darauf zu reduzieren heißt jedoch, mit dem Stück auch die Schauspieler zu unterschätzen.
Mit umgekehrten Vorzeichen prägt ein solches Manko auch die Sommergäste, Maxim Gorkis Abgesang auf ein saturiertes Bürgertum, das in vorrevolutionären Zeiten dem Müßiggang frönt. In Hamburg versammelt sich die ehrenwerte Gesellschaft in einem schäbigen Freibad. (Bühne Thomas Rupert) Regen prasselt auf das Vordach, das nach links zu einem Teich hin abfällt, und übertönt das Gespräch zwischen Warja (Maren Eggert) und Sergej Bassow (Jörg Pose). Doch auch so wird klar, dass die Ehe keine Zukunft hat: Zu groß ist neben der räumlichen auch die innere Distanz, die sich in Kleidung, Körperhaltung und Blicken ausdrückt.
Sobald der Regen nachlässt, treffen weitere Sommerfrischler unter dem Vordach ein - und mit jedem ein neuer Konflikt: Ehepaare, die im Clinch liegen, Nachbarn, die sich verabscheuen, Liebende, deren Gefühle unerwidert bleiben, und schließlich "Nestbeschmutzer", die als leibhaftiger Vorwurf dienen. 1904 erging dieser Vorwurf noch an eine privilegierte "Klasse", die sich vom gemeinen "Volk" entfremdet hat. Nicht nur sprachlich ist diese Scheidung heute fragwürdig geworden, und die Inszenierung reagiert darauf, indem sie Gorkis revolutionären Gestus durch die Beschreibung eines Bürgertums ersetzt, aus dem sich auch das Publikum speist. Wie zu Beginn den akustischen Nachvollzug, erschwert sie im Weiteren den optischen. Das ständige Kommen und Gehen der Vorlage ist so gerafft, dass daraus ein Bleiben wird. Die unausgefüllte Zeit vertreiben sich die 13 Figuren mit einem Bad im Teich, mit Umziehen, Eincremen, Grillen, hier und da einem Plausch und viel Nichtstun. All das geschieht gleichzeitig und damit so, dass nie alles sichtbar wird und auch das wenige nur bedingt, weil sich die Spieler gegenseitig verdecken oder gar mit dem Rücken zum Publikum agieren.
Für die poetische Schilderung des gesellschaftlichen Stillstands kann die Regisseurin Alize Zandwijk auf Schauspieler setzen, die wie Peter Moltzen als Rjumin durch groteske Einlagen oder wie Maren Eggert als Warja mit einer winzigen Veränderung des Blicks die Aufmerksamkeit des Publikums zu lenken vermögen. Leider reicht das Vergnügen daran nur bis zum letzten Akt, in dem sich die müde Gesellschaft am frühen Morgen unter dem Vordach einfindet. Das gesellige Teetrinken mündet in einem Grundsatzstreit, der die Sommerfrischler endgültig entzweit: Während die Mehrheit das Leben weiterhin genießen will, beschließen wenige, ihres radikal zu ändern und augenblicklich abzureisen.
Zu ihnen zählt auch Warja, die ihrem Mann mit fester Stimme erklärt, dass sie ihn verlässt. In Ermangelung politischer Motive beschwört sie damit jedoch keinen gesellschaftlichen Wandel, sondern nur das Ende ihrer Ehe herauf. Und sich in private Dinge einzumischen gehört eindeutig nicht zu den Aufgaben des Theaters. Aber vielleicht ist dieser Schluss ja auch ironisch gemeint. Denn während die Herren der Schöpfung in Hut und Mantel zur Abfahrt bereitstehen, trägt Warja noch einen Pyjama. Und damit ist sie weder für ihr neues Leben noch für den Winter gerüstet.
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