Wenn im Saal das Licht angeht

Gebrochene Verabredungen Yasmina Rezas Stück über Schauspieler am Hamburger Schauspielhaus

Im Grunde ist Theater ganz einfach: Wenn im Saal das Licht ausgeht, beginnt die Vorstellung, und nach deren Ende geht das Licht wieder an. Letzte Woche fand in Hamburg eine Premiere statt, die mit dieser Verabredung bricht und damit endet, dass im Saal das Licht ausgeht.

Ein spanisches Stück sollte schon seit Februar laufen, doch eine Verletzung des Schauspielers Manfred Zapatka erzwang die Verschiebung. So büßte das Schauspielhaus zwar die deutsche Erstaufführung ein, gewann aber eine Inszenierung, die den im Sommer scheidenden Intendanten Tom Stromberg wohl überdauern wird: Warum sollte sein Nachfolger Friedrich Schirmer auf ein fast neues Kleinod verzichten?

Wenn Manfred Zapatka durch den Gazevorhang tritt, wird es im Parkett still - untrügliches Zeichen für die Erwartung des Publikums, dass die Vorstellung begonnen hat. Aber wie heißt dann, was sich in dem schwarz ausgeschlagenen Raum hinter dem Gazevorhang tut? Dort ist seit geraumer Zeit zu sehen, wie sich ein Theater auf eine Vorstellung und Schauspieler auf ihren Auftritt vorbereiten. Im Hintergrund schließt sich ein dritter Bühnen-Teil an. Der reicht bis zu einer geschlossenen Metalltür, die das Theater von der Außenwelt trennt (Bühne Johannes Schütz).

"Schauspieler sind Feiglinge", sagt Manfred Zapatka, als er den vorderen Teil der Bühne betritt. "Ich ganz besonders", präzisiert er direkt an der Rampe. Als Motiv für die Überwindung nennt er den Wunsch, "begehrt und geliebt zu werden". In Rosel Zech gesellt sich zwar eine Kollegin zu ihm, deren Arbeitsnachweis beschränkt sich jedoch auf ein mehrfach wiederholtes Wort: "Natürlich". Die folgenden zweieinhalb Stunden handeln davon, dass auf der Bühne nichts natürlich ist - oder alles. Denn so einfach ist Theater nicht mehr, wenn Rosel Zech die Szene abbricht und mit der imaginären Kostümbildnerin darüber streitet, was sie als Pilar tragen soll.

Ein spanisches Stück heißt so, weil darin Schauspieler ein spanisches Stück über eine Familie einstudieren: Pilar, ihr Verlobter Fernan, zwei Töchter und der Schwiegersohn Mariano. Nur im Gespräch gehören ein Enkelkind und eine dritter Tochter dazu. Die anwesenden Schwestern sind Schauspielerinnen, Nuria ein kommender Star mit passendem Freund, Aurelia eine Provinzgröße und mit einem versoffenen Lehrer verheiratet. Nach ihrer Arbeit befragt, fällt der Satz: "Ich spiele ein spanisches Stück, in dem ich eine Schauspielerin spiele, die ein bulgarisches Stück probt." Nur wer sagt ihn?

Aurelia jedenfalls nicht, weil sie eine Schauspielerin ist und nicht spielt. Als "Ich" der Rede bleibt so nur die Darstellerin der Aurelia: Wiebke Puls. Dass dieses Ich auf der Bühne zur Sprache kommt, widerspricht zutiefst der Verabredung "Theater", die ausgerechnet die Schauspieler ausschließt. Die wagen allabendlich den Schritt ins Rampenlicht, um dort als Lear, Tell oder Aurelia wahrgenommen zu werden. Indem Regisseur Jürgen Gosch, selbst gelernter Schauspieler, mit der Verabredung bricht, lässt er die Akteure zu jenem Recht kommen, das der Text ihnen gibt: den Beruf zu reflektieren, indem sie ihn ausüben. Und am Ende dafür geliebt zu werden.

"Ein Stück über Schauspieler" nennt Yasmina Reza ihr neuestes Werk. Da sie vor der Karriere als Autorin Schauspielerin war, weiß sie um die Wirklichkeit des Berufs und lässt das Stück mit dem Bekenntnis eines Feiglings beginnen, dessen Wunsch, vom Publikum geliebt zu werden, mit der Angst konkurriert, ihm gegenüberzutreten. Diese Realität, die mit harmlosem "Spiel" wenig zu tun hat, ist Thema des Stücks, das es jedoch statt in einer linearen Handlung in der Abfolge von Spielsituationen aufrollt. Denn Ein spanisches Stück ist nicht nur ein Stück über, sondern vor allem eines für Schauspieler. Und deren Arbeit beginnt nicht mit der Premiere, sondern auf den Proben.

"Sei einfach du selbst." Mit diesem Rat des imaginären Regisseurs ist der Darstellerin der Nuria so gar nicht gedient. Denn obwohl Nuria vom Publikum heftig geliebt wird, träumt sie davon, die Sonja aus Tschechows Onkel Wanja zu spielen, die unerfüllte Liebe zum einsamen Menschen macht. Den Ziel-Konflikt des Berufes formuliert Anneke Kim Sarnau mit aufsässigem Trotz, der von "russischer" Schwermut so weit entfernt ist wie vom eitlen Gesäusel der Traumfabrik, in deren Räderwerk Nuria steckt.

Solche Unvereinbarkeiten vereinen alle Schauspieler auf sich und ihre Rollen. Fernan ist ein Hausverwalter, dem beruflicher Erfolg gleichbedeutend mit Glück ist. Für Nurias Kunst-Probleme hat er deshalb wenig Verständnis. Anders Manfred Zapatka: "Nicht gerade meine Rolle", kommentiert er seinen Part, der Leidenschaft nur für Immobilien vorsieht. Und wenn Mariano (Thomas Dannemann) Aurelias Text für das bulgarische Stück abhört, sind seine Kommentare die kaum verhohlene Aufforderung, den Beruf zu wechseln. Was eher dem Lehrer anzuraten wäre, der sich als Trinker und Zyniker Tschechowschen Kalibers erweist.

"Keine Gefühlsduselein zulassen. Niemals." So benennt Aurelia ihre berufliche Überlebensstrategie. Versagensängste kompensiert sie mit Ordnungswahn und hysterischen Panikattacken. Bei einer besonders heftigen trat Wiebke Puls in der Premiere eine Lichtleiste an der Rampe um. Eine Panne? Wenn, sollte sie zur Regel werden, weil sie eine Gruppen-Improvisation eröffnet, die so diszipliniert ist, wie die einstudierten Teile mitunter improvisiert wirken.

Die meisten davon zeigen die Theater-Familie im Streit um Anerkennung, Gunst und Liebe vereint an einem großen Tisch. Den haben die Darsteller in Einzelteilen aus dem mittleren Bühnen-Teil mitgebracht, dorthin kehren sie immer wieder zurück, um sich auf ihren Auftritt vorzubereiten. Denn selbst wenn Schauspieler Feiglinge sind, müssen sie irgendwann den Schritt ins Rampenlicht wagen. Dieser Moment ist gekommen, als im Saal das Licht ausgeht und die Vorstellung beginnen kann. Nun bricht jedoch das Publikum mit der Verabredung und empfängt die Schauspieler mit tosendem Applaus. Im Grunde ist Theater ganz einfach. Wenn man´s kann.


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