Zick-Zack eines Grenzgängers

Menschentheater Peter Zadek zum 80. Geburtstag

His Way heißt ein druckfrisches Buch, das mit Peter Zadek einen der weltweit wichtigsten Theaterregisseure ehrt. Doch statt eines klaren Weges oder Stils zeichnet es einen geografischen und künstlerischen Zick-Zack-Kurs nach. Aber es wäre ja auch ein Armutszeugnis, wenn sich 60 Jahre Arbeit im und fürs Theater, gelegentlich auch gegen es, als gerade Linie beschreiben ließen.

Ein Motto für die lange Zeit gibt es hingegen, und es stammt von Zadek selbst: "Kunst kommt nicht von Können" steht über seinem Buch Das wilde Ufer, und gesagt ist damit zweierlei: Erstens ist das Theater kein Tummelplatz für vermeintliche Genies, sondern eine soziale Kunst, weil sie in der Zusammenarbeit mehrerer entsteht. Zweitens ist damit Josef Goebbels widersprochen, dessen gegenteilige Behauptung bis heute Allgemeingut ist. Und das muss dem Juden Peter Zadek bis heute unerträglich sein.

Schließlich waren es Goebbels und Co., die ihn im Namen des "arischen Deutschlands" vertrieben. Peter Zadek war sieben, als seine Familie aus Berlin nach London floh. Dass er die nächsten 25 Jahre in England verbrachte, ist ihm noch immer anzuhören. Und dass er dort das Theater-Handwerk erlernt hat, war schon den ersten Arbeiten in Ulm anzusehen, wohin Kurt Hübner ihn 1959 holte. Damit begann eine der wichtigsten Epochen der deutschen Theatergeschichte.

Eine Voraussetzung dafür war, dass Zadek die britische Tradition des Volkstheaters einbrachte, dessen Mischung aus Realismus und Unterhaltung sich mit deutschem Schablonendenken nicht vertrug. Voraussetzung waren auch Mitstreiter wie der Bühnenbildner Wilfried Minks, der wider das Gebot der Zeit unnaturalistische und milieufreie Räume konstruierte. Und die erzwangen eine andere, eine neue Art des Spiels.

Mit diesen "Zutaten" befreite Zadek von Ulm, ab 1962 von Bremen aus die Bühne vom Bildungsauftrag und machte ein Theater, das, so seine Formulierung, "ganz nah an der Straße stattfindet" - und dementsprechend aussah. Die Geisel von Brendan Behan war der erste Fall, an dem sich die Geister schieden. Das Stück handelt vom irischen Befreiungskampf, spielt im Puff und lästert über Religion und Politik. Die Inszenierung erntete wütende Proteste und frenetischen Applaus. Nicht alle Zuschauer hatte der poetische Aufruf zur Toleranz erreicht.

Umstritten war fast jede Inszenierung mit Schauspielern wie Hannelore Hoger, Bruno Ganz und Jutta Lampe, die ihre Karriere unter Zadeks Fittichen begannen. Zadek selbst bekam Rückendeckung von Kurt Hübner, der zuließ, dass sein Oberspielleiter mit Wedekinds Frühlings Erwachen (1965) die Tabuthemen Sexualität und Selbstmord Jugendlicher in die Öffentlichkeit zerrte. Die Comicstrip-Version von Schillers Räubern wurde 1966 allerdings ins Nachtprogramm verlegt. Denn der zunehmenden Politisierung auch des Theaters setzte Zadek die Radikalisierung seiner Formensprache entgegen.

Prominentestes Beispiel dafür ist Shakespeares Maß für Maß, das die Themen Macht und Moral in einem zynischen Schluss zusammenführt. Diesen Zynismus übersetzte die Inszenierung in körperliche und stimmliche Verrenkungen, doch nicht, um ihn als Attribut der Macht zu deuten, sondern als Dünkel derer, die sich für eine solche Deutung zur moralischen Instanz erheben. Politisch war das auch - 1967 aber ganz und gar nicht opportun.

Widerspruch gab es auch im eigenen Haus, und da zudem Wilfried Minks in die Regie drängte, verließ Zadek Bremen, um nach einigen Wanderjahren 1972 als Intendant in Bochum zu landen. "Mein 68" nennt er rückblickend den Versuch, in der Industriestadt populäres Theater zu machen. Um die Hemmschwelle zu senken, erfand er das Wahlabo und eröffnete mit der Revue Kleiner Mann, was nun? Doch auch das Label Volkstheater hielt ihn nicht davon ab, den Exzentriker Rainer Werner Fassbinder ans Haus zu holen, und er selbst zog sich 1974 mit "seinen" Schauspielern wochenlang zurück, um Shakespeares Lear zu proben.

Diese drei Größen - Shakespeare, ein fester Stamm an Mitarbeitern und viel Zeit - bilden seither die Grundpfeiler dessen, was Zadek selbst "Menschentheater" nennt. Gemeint ist damit der Versuch, mit nichts als dem "Konzept" in die Proben zu gehen, die Stückfiguren so lange mit Leben zu füllen, bis die Differenz zu den Schauspielern verwischt. Diesen Echtheitsanspruch halten einige für zu schlicht, andere für überholt. Doch Zadek blieb ihm wohl in der Überzeugung treu, dass auch politische Konflikte Konflikte zwischen Menschen sind. Und dass sich damit auch Skandale produzieren lassen, bewies der Hamburger Othello von 1976 mit Ulrich Wildgruber als Mohr.

Im Jahr darauf verließ Zadek Bochum und arbeitete als freier Regisseur - unter anderem für Udo Lindenberg -, bis er 1985 das Hamburger Schauspielhaus übernahm. Der Besuch des größten deutschen Theaters sollte so selbstverständlich werden wie der Gang ins Kino. Die Sozial-Revue Andi mit der Kultgruppe Einstürzende Neubauten wurde diesem Anspruch mühelos gerecht. Und mit Wedekinds Skandalstück Lulu gelang Zadek 1988 zwar ein historischer Erfolg, doch um den Preis der Vernachlässigung seiner Aufgaben als Intendant. Des Amtes ohnehin müde, legte er es nieder und arbeitet seither frei - mit einer wenig rühmlichen Ausnahme: In den Nachwendewirren kam dem Berliner Senat die Schnapsidee, die Leitung des Berliner Ensembles fünf Regisseuren anzuvertrauen. Der Konkurrenzkampf setzte schon vor dem Antritt 1992 ein und führte bald zur Lähmung der einstigen Wirkungsstätte Brechts. Entnervt räumte Zadek 1995 das Feld. Seither macht er mit Größen wie Angela Winkler, Otto Sander und Eva Mattes überall dort Station, wo man sich das leisten kann. Denn ein Haken an Zadeks Arbeitsweise ist, dass sie sehr teuer ist und selbst von großen Bühnen nur in Koproduktion gestemmt werden kann. Inzwischen hat er die Konsequenz gezogen und seine eigene Produktionsfirma gegründet. Erstes Resultat sollte im September Shakespeares Was ihr wollt sein, doch wegen einer Erkrankung Zadeks musste die Premiere auf 2007 verschoben werden. Den Genesungswünschen anzufügen sind herzliche Glückwünsche, am 19. Mai wird Peter Zadek 80 Jahre alt.


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