Rumänien Vor 20 Jahren wurde Nicolae Ceausescus absurder Kommunismus durch eine Karikatur des Kapitalismus ersetzt. Was Ende 1989 genau geschah, ist bis heute ungeklärt
Der Sonntag liegt über der Stadt. Und selbst die Kämpfer gegen die Korruption, die gegenüber dem Bukarester Rathaus ihr Feldlager aufgebaut haben, sind heute daheim geblieben. Drüben, im Secturul 1 in der Strada Constantin Mille Nr. 13, hoppeln kleine schwarze Kaninchen durch den Hof. Hier befand sich fast 100 Jahre lang das Capitol, das erste Freiluftkino Rumäniens. Heute nutzen ein paar Studenten den verfallenen Zuschauerraum für alternative Kultur und zeigen alte Filme. Ringsherum strecken sich die Häuser Bukarests im Stile der Neuen Sachlichkeit aus den zwanziger Jahren in die Höhe, grau geworden im Laufe der Zeit, manche wie in einer verwunschenen Stadt von Efeu überwachsen.
Am Sonntag ist der Verkehr erträglicher, so dass Ion weniger s
weniger schimpft und flucht als sonst. Der 29-Jährige ist Unternehmer und sein ganzer Stolz ein gebrauchter Mercedes-Kleintransporter, den er mal als Chauffeur, mal als Reiseleiter gebraucht. Er spricht Englisch und kommt als Absolvent eines Touristik-Studienganges herum in der Welt. Um so mehr nervt in Bukarest. „Glaubst du, die sind zu dir freundlich, wenn du in einen Laden gehst?“ Ineffektiv, korrupt, verschlafen, unfreundlich seien seine Zeitgenossen, die meisten jedenfalls. Rumänien bleibe ein rückständiges Land. Ion ist leger gekleidet, mit Turnschuhen und T-Shirt, und während der Fahrt telefoniert er etliche Male mit seinem Handy, die Geschäfte müssen laufen, man muss etwas tun, um über die Runden zu kommen in Bukarest.Eilig ein Loch gegrabenWeit draußen in einem Außenbezirk liegt der Cimitirul Chencea, vor dem Friedhofs- eingang bieten hölzerne Verkaufsstände ihren Grabschmuck an. Wer in dieses Viertel will, fährt vorbei an Boulevards mit den großflächigen grellbunten Reklametafeln, vorbei an Arbeitervierteln mit ihren langen Wohnblocks und an den stillgelegten Fabriken, in denen diese Arbeiter einst beschäftigt waren. Schreitet man durch das Friedhofstor, so liegt ER nicht weit davon entfernt. Zwischen dem Grab der Familie Dumitru und dem der Popescus haben sie damals, vor 20 Jahren, quer zu den anderen Gräbern, eilig ein Loch gegraben und ihn dort bestattet. Heute umgibt eine kleine metallene Einfassung den Grabhügel, und auf dem Kreuz findet sich – aufgemalt – ein fünfzackiger roter Stern. Ceausescu Nicolae 1918 – 1989 ist darunter zu lesen. In einer Grableuchte steckt ein abgebrannter Kerzenstummel.Im 80 Kilometer entfernten Targoviste war der Conducator am 25. Dezember 1989 mit seiner Ehefrau Elena nach einem kurzen Schauprozess erschossen worden, ein damals aufgenommenes Video zeigt die letzten abgegebenen Schüsse und die beiden toten Körper vor einer Wand, umgeben von Staubwolken. Nach der Exekution wurden die Leichen der Ceausescus nach Bukarest gebracht. In einem Hubschrauber lagen die Körper der Toten, daneben saßen dichtgedrängt die Schützen des Todeskommandos und ihre zivilen Befehlsgeber. Weil sie fürchteten, erschossen zu werden, zwangen die Fallschirmjäger den Piloten des Helikopters, an der Peripherie von Bukarest zu landen, und machten sich aus dem Staub.Die Körper wurden mit einem Wächter zurückgelassen, der auf Ablösung hoffte und schließlich auch verschwand. Inzwischen hatte das provisorische Revolutionäre Komitee in Bukarest entschieden, die Ceausescus müssten bestattet werden. Es begann eine nächtliche Suchaktion nach den Leichen, die man schließlich in Decken gehüllt bei einem Militärposten in der Nähe des Cimitirul Chencea fand.„Nein“, sagt Marianna, „das ist überhaupt nicht sicher, dass er hier liegt. Damals wurde eine Obduktion verhindert“. Marianna ist Deutschlehrerin. Die Frau in den Fünfzigern stammt aus Hermanstadt. „Das Grab“, sagt sie und deutet auf den Erdhügel, „wurde von der Rumänischen Arbeiterpartei aufgebaut, nach 1990 quasi Erbe der einstigen KP. Das Dumme ist, dass die Politiker, die uns in den vergangenen 20 Jahren regierten, dafür verantwortlich sind, dass viele mittlerweile glauben, es sei unter Ceausescu besser gewesen.“ – Irgendwo läutet ein Totenglöckchen über dem Gräberfeld, und irgendwo klingelt ein Handy. Marianna nimmt ein paar Münzen aus dem Geldbeutel und gibt sie einer Bettlerin. Das Signal für ein Dutzend weiterer Frauen, sofort herbeizustürzen.Die Keller sind leerAm Platz der Revolution im Zentrum Bukarest steht der neoklassizistische ehemalige Königspalast, in dem das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei residierte. Vom Balkon dieses Gebäudes aus versuchte Ceausescu am 21. Dezember 1989 mit einer Rede an die Menschen auf dem Platz die Wende, wie sie damals den Ostblock erfasst hatte, abzuwehren. Das Fernsehen übertrug die Ansprache und das Bild eines erstaunten Diktators, der – bisher nur das Ritual eines jubelnden Volkes gewöhnt – sich plötzlich Schmährufen und Aufruhr gegenübersah. „Ruhe“, rief Nicolae Ceausescu irritiert, und nochmals „Ruhe“. Doch es war zu spät. Die rumänische Revolution oder Verschwörung von Armee und Securitate oder was immer es war, nahm ihren Lauf.Marianna ist eine sanfte, eher melancholische Frau. Doch wenn sie über die Gegenwart ihres Landes spricht, kann sie sich ebenso ereifern wie der Mercedes-Fahrer Ion: „Manchmal wird mir wegen der Politiker ganz schlecht.“ Und sie spricht davon, wie Hoffnungen nach dem Sturz Ceausescus auf ein freies, besseres Leben in den Jahren nach 1989 der Empörung über jene gewichen sei, die sich nach der Wende bereichert hätten.Dieser Teil der Geschichte lässt sich symbolhaft auf dem Platz der Revolution in Augenschein nehmen. Die früheren Holzkreuze, die an rund 1.000 Tote aus den Tagen des Umsturzes erinnerten, wurden durch ein zentrales Denkmal aus Stein, einer Art Obelisk, ersetzt. Ringsherum haben sich der Unternehmensberater McKinsey oder noble Läden mit Uhren und Schmuck in der Preisklasse für Millionäre angesiedelt. Davon gibt es erstaunlich viele in Rumänien. Hier tritt der Kapitalismus in einer puristischen Art auf, dass man schon von einer Karikatur sprechen könnte.„Wir haben das geringste Inlandsprodukt, aber die meisten Millionäre“, heißt es im Dokumentarfilm des Regisseurs Alexandru Solomon mit dem Titel Kapitalismus, unser Geheimrezept. Nirgends sonst – mit Ausnahme der postsowjetischen Republiken vielleicht – haben sich alte Eliten so elegant zu neuen Eliten gewandelt. Sie zeigen ihren Reichtum mit Palästen, Jachten und Nobelkarossen. Ihr Geld dient als Schmiermittel zwischen Wirtschaft und Politik, die Parteien sind nicht dem Volkswohl verpflichtet, sondern ihrer Klientel und dem Kartell sie umgebender Firmen.Dieses große Geld ist irgendwie mit und nach der Revolution entstanden, was vielleicht erklärt, weshalb man in Rumänien von offizieller Seite nicht erpicht darauf ist, genauer nachzufragen. Noch heute ist ungeklärt, wer eigentlich vor 20 Jahren auf wen geschossen hat und wie sich Ende Dezember 1989 die verschiedenen Fraktionen von Armee und Geheimdienst verhielten.Zwei Jahrzehnte nach dem Sturz Ceausescus wird die Geschichte bestenfalls verhalten rekapituliert. Fragt man etwa im Nationalmuseum nach Ausstellungsstücken zu dieser Zeit, ist die Antwort abwehrend: Nein, da gäbe es nichts zu sehen, man habe auch nichts an Relikten in den Kellern gelagert. Zwar gibt es eine Art Birthler-Behörde, doch die Akten des Geheimdienstes Securitate sind kaum zugänglich – der „nationalen Interessen“ wegen. Es ist ein dichter Nebel, der die Zeit des Umsturzes verhüllt.Für Marianna sind die Verhältnisse mittlerweile klar. Sie wählt eine rechtsnationalistische Partei, weil sie glaubt, dass Rumänien ausgeplündert wird – von Juden, von Russen, von Ausländern. Rumänischer Nationalismus gedeiht.Die Fremdenführerin kreischt Ein Erbe aus der Zeit des Conducators wird den Bukarestern wohl für immer erhalten bleiben: Die einstige Straße des Sieges des Sozialismus und der monumentale Palast des Volkes. Die Straße wurde längst umbenannt in Straße der Einheit und zieht sich 3,2 Kilometer lang durch die ehemalige Altstadt, die für das Prestigeobjekt geopfert wurde. Wo früher Parteigenossen wohnen sollten, sind heute Firmen eingezogen, und in jedem Aufgang sitzt ein Portier wie Gosbuc Preda. Der 66-Jährige war einst Schweißer in den Bukarester Stadtwerken, aber seit acht Jahren wacht er hier im Haus mit der Nr. 6 über die Sicherheit von Firmen wie der Global Financial Group oder einer privaten Augenklinik.Seit die Finanzkrise vor mehr als einem Jahr ausbrach, glaubt Herr Preda, sei es in seiner Gegend sehr viel ruhiger geworden. Tatsächlich braucht Rumänien ebenso wie Lettland oder Ungarn Finanzhilfen, um den Staatsbankrott abzuwenden. Wenn der Portier von seinem Stuhl aufsteht und die paar Schritte hinaus auf den Boulevard trabt, fällt sein Blick auf das gigantische Gebäude des heutigen Parlamentspalastes. Dieses mutmaßlich zweitgrößte Bauwerk der Welt ließ Nicolae Ceausescu von Bausoldaten errichten, während es den Rumänen an Gas, Strom und Lebensmitteln mangelte. Ein neoklassizistischer Bau, voll mit Hallen und Sälen. Dafür fehlt es an Toiletten und Aufzügen, was heutigen Gebrauch als Messeplatz nicht einfacher macht. Ursprünglich wollte man das Gebäude nach 1990 sprengen, doch zwischenzeitlich residiert hier der Senat, und für Touristen werden Führungen veranstaltet. Man staunt über den rückwärts gewandten Prunk dieser Säle und darüber, dass die Ceausescus bei den Führungen kaum erwähnt werden. Der Text, den eine junge Fremdenführerin vorträgt, wird vermutlich Tag für Tag wiederholt. Man kann fotografieren, zuhören und mitschreiben, nur mit einem Mikrofon aufnehmen, darf man dieses Standardvokabular nicht. „Schalten Sie das sofort aus, schalten Sie das sofort aus“, kreischt die Fremdenführerin und kommt drohend auf den Reporter zu.
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