Womit hat der Boom von "Weltgeschichten" zu tun? Seit Dietrich Schwanitz´ prätentiös auftretendem, aber im Kern ärgerlichen und misslungenen Bestseller über "Bildung" und angeblich "alles, was man wissen muß" (1996), entdeckte der Buchmarkt das Genre. Dazu beigetragen hat sicher auch der Erfolg von Unterhaltungssendungen im Fernsehen, die sich zugleich als Bildungsveranstaltungen verstehen, aber vor allem die Lust aufs schnelle Geld beflügeln.
Wie dem auch sei, kleinen und kurzen Weltgeschichten gegenüber, die sich in einem handlichen Band präsentieren, ist zunächst Misstrauen angebracht, denn das Vorhaben erscheint hybrid. Der renommierte Althistoriker Alexander Demandt, der sich trotzdem auf das Abenteuer Kleine Weltgeschichte eingelassen hat, orientiert sich an der Spruchweisheit, wonach Gelehrte "mit den Jahren entweder selbstkritisch oder schreibselig" werden und pflegt einen höchst angenehm zu lesenden, einfachen Stil, ohne in Plattitüden zu verfallen.
Das kann man vom ehemaligen Offizier, kanadischen Regierungsberater und Professor Philippe Gigantès, der "bewußt ein dünnes Buch" geschrieben hat, nicht behaupten. Ihn interessieren vor allem "die mächtigen Männer und Frauen". Diese unterteilt er in zwei Sorten: in die Ordnungsstifter von Moses über Buddha bis zu Jesus und Mohammed und in die "großen Akquisitoren" (abgeleitet vom lateinischen Wort "acquirere" = erwerben). Akquisitoren sind notorisch gierig oder brutal und gleichen dann Hitler und Stalin - wie Platon oder der französische Jakobiner Saint-Just, - oder aber sie sind "Schöpfer und Zerstörer in einer Person" wie Napoleon. So einfach ist das in und mit der Weltgeschichte.
Die Weltgeschichte von Manfred Mai dagegen enthält sich eines so hausbackenen Zugriffs und erzählt die Weltgeschichte von den ersten Menschen bis in die Gegenwart in fünfzig kleinen Geschichten zu Ereignissen, Personen, Dynastien, Kriegen und sozialen Strukturen. Diese Geschichten lesen sich gut und sind als Ergänzung zum herkömmlichen Geschichtsunterricht konzipiert. Dieser Unterricht gliedert die Geschichte in Epochen und verteilt deren Behandlung über mehrere Schuljahre. Mai ist der gut begründeten Meinung, dass Heranwachsenden durch eine solche Präsentation der Blick auf das Ganze vorenthalten wird. Und er hat sicher Recht damit, dass viele geschichtliche Epochen und Prozesse nicht isoliert, sondern nur im epochenübergreifenden Zusammenhang zu verstehen sind. Mais Weltgeschichte ist für Heranwachsende und generell für historisch interessierte Leser ein guter Einstieg, um ein Gesamtbild der Geschichte zu erhalten und um historisches Interesse zu wecken.
Der anspruchsvollste Versuch, eine Weltgeschichte zu verfassen, stammt von Alexander Demandt. Das beginnt damit, dass er die Menschen- und Weltgeschichte auf die kosmische Geschichte bezieht und als Althistoriker die Proportionen zurechtrückt: 99 Prozent der gesamten Menschengeschichte fallen in die Ur- und Altsteinzeit, über die man wenig weiß. Projiziert man gar die kosmische Geschichte auf ein Kalenderjahr, setzt den Urknall auf den 1. Januar und nimmt an, dass jeder Kalendermonat für eine Milliarde Jahre steht, so schrumpft die Menschheitsgeschichte auf die letzten fünf Minuten vor dem 31.Dezember zusammen. Damals wurde der Neandertaler geboren und 15 Sekunden vor Mitternacht Jesus Christus.
Auch den alten Kulturen Chinas, Indiens, Ägyptens, Israels und Persiens verhilft Demandt zu ihrem Recht und beginnt nicht eurozentriert mit den Griechen und den Römern, sondern stellt dar, was diese dem Osten verdanken - ziemlich viel zwischen Rad, Papier und Schrift. Im Unterschied zu den Bilderschriften wie dem Chinesischen beruhen alle Buchstabenschriften, also das Hebräische, Arabische, Griechische, Lateinische und Kyrillische auf dem phönizischen Alphabet. Die christliche Botschaft des Neuen Testaments, ursprünglich in aramäischer Sprache verfasst, konnte sich nur ausbreiten, weil sie in die Weltsprache Griechisch übersetzt wurde.
Andererseits ist die Idee der Einheit und Gleichheit aller Menschen keineswegs eine rein christliche Vorstellung. Ausgerechnet der Eroberer Alexander der Große, der von 336 bis 323 v. Chr. über weite Teile des Orients herrschte, diskriminierte Fremde nicht länger als Barbaren, sondern beförderte die Integration, indem er seine Soldaten aufforderte, sich nach seinem eigenen Vorbild mit persischen Frauen zu verheiraten.
Bei aller Souveränität und sprachlichen Eleganz, mit der Demandt seine Weltgeschichte erzählt, drängen sich ein paar Einwände auf, die das Vorhaben problematisch werden lassen. Durch die breite Anlage der Weltgeschichte und den Anspruch, alles Wichtige aufzuführen, sieht sich Demandt zu ungeheurer Verdichtung gezwungen und muss buchstäblich Datum an Datum reihen. Das ermüdet den Leser und gibt ihm weniger einen Orientierungsrahmen als eine bunte Mischung von Namen, Zahlen und punktuellen Ereignissen in zuweilen recht disparater Kombination: "Sultan Abdul Hamid II. hob 1878 die Verfassung auf, legte sich wieder einen Harem zu und fraternisierte mit Wilhelm II." Oder: Berlin bedeutet im Slawischen "Ort am Sumpf". Das sind nette Aperçus für Kamin- und Salongespräche, tragen aber zu historischer Aufklärung nur marginal bei.
Anachronistische Gemeinplätze finden sich ebenfalls: Rousseau wird mit dem unausrottbaren "zurück zur Natur" charakterisiert und die kluge Katharina II. wird wie seit 200 Jahren als "liebestoll" diffamiert. Fehlte nur noch, dass Demandt die Legende mit ihren Hengsten ein weiteres Mal kolportierte. Schlimmer als das ist freilich ein gelegentlich durchschlagendes lateinlehrerhaftes Abendländertum. So hält Demandt Europa und seine tüchtigen Zauberlehrlinge, die sich alles aneigneten, was sie kriegen und lernen konnten, tatsächlich für "die Wiege der Zivilisation" und Rom für "die Schule Europas. Sie hat uns Gesittung vermittelt". Zu solcher kulturellen Hybris gesellt sich eine Fixierung auf die Taten großer Männer. Bei Demandt "erbaute Darius einen gewaltigen Palast", und Colbert "baute den Canal du Midi", bevor er "Großmanufakturen errichtete". In Anlehnung an Brecht könnte man zurückfragen: Und wie lange hat er gebraucht für "die 99 Schleusen" des Kanals? Über derlei wäre zu lächeln, wenn es bei Demandt nicht nach einem System aussähe.
Immer wieder schlägt der Autor, der Nationalismus und Kolonialismus mit Recht für ein europäisches Grundübel hält, seltsame Töne an. Kolonialismus war mitnichten "eine Begleiterscheinung des technischen Fortschritts", sondern hatte benennbare soziale, wirtschaftliche und politische Ursachen. Eine Passage bei Demandt liest sich, als ob das Zarenreich und nicht hauptsächlich - wenn auch nicht allein - die Berliner Führung Europa in den Ersten Weltkrieg gestürzt hätte. Demandt kritisiert Churchill, weil dieser für das police bombing im Irak Giftgas "genehmigte", sagt jedoch kein Wort dazu, daß es deutsche Truppen waren, die den Gaskrieg am 22.4.1915 eröffneten. Trotz solcher Schnitzer bietet das Buch einen im Großen und Ganzen gelungenen Überblick über die Weltgeschichte.
Philippe Gigantès: Eine kurze Geschichte der Welt. Alles, was man wissen muss.: Alles, was man wissen muß" target="_blank"> Eine kurze Geschichte der Welt. Alles, was man wissen muss. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2004, 284 S., 9,80 EUR
Manfred Mai: Weltgeschichte" target="_blank">Weltgeschichte. Hanser, München, Wien 2002, 196 S., 16,90 EUR
Alexander Demandt: Kleine Weltgeschichte" target="_blank">Kleine Weltgeschichte, C.H.Beck, München 2004, 368 S., 24,90 EUR
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