Am 8. Juli 1950 beginnt ein Skandal, der dem Ansehen der Bundesrepublik über einen längeren Zeitraum hinweg schaden wird. An jenem Tag zum Ministerialdirektor berufen, wird der Jurist Hans Globke (1898 – 1973) drei Jahre später von Kanzler Adenauer (CDU) zum Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes befördert. Alle wichtigen Dossiers und Entscheidungen gehen fortan über seinen Schreibtisch. Globke exponiert sich nicht zuletzt bei Personalangelegenheiten. Das heißt, er reaktiviert bevorzugt Beamte, die zwischen 1933 und 1945 in den Diensten des NS-Staates standen. Besonders betroffen von der so geräusch- wie hemmungslosen Installierung der „Ehemaligen“ ist das Auswärtige Amt.
Im Ersten Weltkrieg an der Westfront eingesetzt, hatte der Sohn eines Tuchgroßhändlers danach in Köln, Bonn und Gießen studiert. Er trat in die katholische Zentrumspartei ein und begann 1926 eine Beamtenkarriere in Aachen. Drei Jahre später kam er nach Berlin ins preußische Innenministerium. Noch vor Hitlers Machtantritt war Globke 1932 daran beteiligt, eine Verordnung vorzulegen, die es Juden verwehrte, ihren sie oft diskriminierenden („jüdisch klingenden“) Namen zu ändern. Als dann am 1. November 1934 das preußische mit dem Reichsinnenministerium zusammengelegt wurde, um es NSDAP-Minister Wilhelm Frick zu unterstellen, sah sich Globke übernommen und zum Oberregierungsrat ernannt. Er besaß, was Hannah Arendt einmal als prägend für die deutsche Beamtenschaft charakterisierte: „die Eigenschaft, sich sozusagen im Nu gleichzuschalten“. Globke beschäftigte sich unter anderem mit der Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ vom 14. Oktober 1935, durch das die Vermögen von Deportierten an das Deutsche Reich fielen, und mit dem „Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ vom 18. Oktober 1935. 1936 verfasste er zusammen mit Staatssekretär Wilhelm Stuckart (1902 – 1953) den bis 1942 maßgeblichen „Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung“.
1947 wird Globke, der sich selbst zum Widerstand zählt, im Spruchkammerverfahren zur Entnazifizierung der Kategorie V zugeordnet, sprich: als „unbelastet“ eingestuft. Im Wilhelmstraßen-Prozess (1947 – 1949) gegen leitende Mitarbeiter von Hitlers Außenminister Ribbentrop steht er sowohl der Anklage wie der Verteidigung der Beschuldigten als Zeuge zur Verfügung und gesteht immerhin, was viele energisch leugnen: „Ich wusste, dass Juden massenweise umgebracht wurden.“ Globke war nie NSDAP-Mitglied. Die Partei hatte seinen Beitritt abgelehnt.
Angestrengte Versuche, aus Globke und Stuckart „Judenretter“ oder gar Widerstandskämpfer zu machen, stehen auf brüchigem Fundament. Unbestritten sind Globkes Beziehungen zum Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing, den er während der NS-Zeit über staatliche Vorhaben gegen die Kirche informiert hat. Darüber, dass der Kommentar von Globke/Stuckart auf die Entrechtung, Diskriminierung und Deportation der jüdischen Bevölkerung mildernd oder verzögernd gewirkt hat, kann man aufgrund einiger Sachverhalte spekulieren, aber handfeste Quellenbelege gibt es nicht. Dass sich die rassistischen Ultras des NS-Regimes mit ihren Bestrebungen, „Achtel-“, „Viertel-“ und „Halbjuden“ mit „Volljuden“ gleichzusetzen – mangels objektiv bestimmbarer Rassemerkmale –, nicht durchsetzen konnten, ist sicher kein Verdienst der Kommentatoren Globke und Stuckart. Deren Juden versprochene Garantie für „freie Religionsausübung, kulturelles Eigenleben und Erziehung“ war nicht einmal das Papier wert, auf dem sie stand, wie es die Autorin Cornelia Essner in ihrem Buch Nürnberger Gesetze oder Die Verwaltung des Rassenwahns dargelegt hat.
Die Bundestagsfraktion der SPD nimmt schon 1950 Anstoß an Globkes Berufung ins Kanzleramt. Der Jurist und Abgeordnete Adolf Arndt warnt Anfang Juli 1950 im Parlament: „Meine Damen und Herren, wer als Jurist eine solche Tat oder Untat, wie es die Nürnberger Gesetze sind, scheinbar wissenschaftlich kommentiert, setzt sich dem Vorwurf aus, dass das, was er dort geschrieben hat, kaum mit einer anderen Bezeichnung versehen werden kann als der einer juristischen Prostitution.“ Doch hält Adenauer nicht nur an Globke fest, er sieht in ihm bald einen seiner engsten Mitarbeiter. Der Kanzler beruft sich – in Kenntnis der Vergangenheit Globkes – auf eine politisch-moralisch höchst fragwürdige Putzfrauenweisheit: „Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat.“ Ein anderes Mal bescheinigt er Globke, in der langen Zeit seiner politischen Laufbahn „kaum jemals einen Beamten kennengelernt“ zu haben, „der mit gleicher Pflichttreue und Objektivität seines Amtes waltete wie Herr Globke“. Das erklärt auch die Reaktion des Kanzleramtes auf die Absicht des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, gegen Globke 1961 ein Vorermittlungsverfahren einzuleiten.
Druck aus Bonn führt dazu, dass Bauer sein Vorhaben im Mai 1961 aus formalen Gründen an die dortige Staatsanwaltschaft abtreten muss. Hier wird es „wegen fehlenden Tatverdachts“ und lautlos eingestellt. Ganz ähnlich versandet auch der Plan, Globkes Geschichte mit publizistischen Mitteln auszuleuchten. Der SDS-Aktivist Reinhard Strecker, der 1959 die Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz organisiert hat, die in Karlsruhe, Westberlin und anschließend an einigen Orten im Ausland gezeigt wird, bringt 1961 das Buch Dr. Hans Globke. Aktenauszüge, Dokumente auf den Markt. Globke klagt gegen die Publikation und bekommt in zwei eher nebensächlichen Punkten Recht. Daraufhin willigt der Bertelsmann Verlag in einen Vergleich ein, und das Buch wird nie mehr gedruckt. Zuvor schon soll der Bundesnachrichtendienst (BND) mit erheblichen Geldmitteln versucht haben, die Erstauflage aufzukaufen.
Dass Geheimdienste mitwirken, um Vergangenheit zu verschleiern, war und ist nicht unüblich. Über die CIA erfahren der BND und die Bundesregierung bereits 1958, wo sich Adolf Eichmann aufhält. In Argentinien kann der seine Lebensgeschichte dem niederländischen Journalisten Willem Sassen erzählen, der seinen Stoff wiederum an die US-Zeitschrift Life verkauft. Bevor das Magazin die Geschichte am 28. November und 5. Dezember 1960 druckt, erwirkt die Bundesregierung über die CIA, dass der Name Globkes im Text nicht auftaucht: „Gesamtes Material wurde gelesen. Eine unklare Erwähnung von Globke, die ‚Life‘ auf unsere Forderung hin weglässt“, heißt es in einer Notiz von CIA-Direktor Allen Dulles vom 20. September 1960.
In der Atmosphäre des Kalten Krieges musste der Starrsinn, mit dem man in Bonn an einem durch seine politische Vita schwer belasteten Beamten festhielt, zu Gegenreaktionen reizen. So wurde Globke in der DDR zum „intellektuellen Judenmörder“ hochgeschrieben. Das war sachlich gesehen so wenig gerechtfertigt wie die bis in die jüngste Zeit reichenden Versuche von Historikern, Globke „wirksame Opposition im Modus der partiellen Mitwirkung“ (Erik Lommatzsch) zu attestieren. Die dürftigen Belege für diese Korrekturbemühungen beruhen ausschließlich auf Erklärungen, die dem Umfeld eines nach 1945 flächendeckenden Entnazifizierungsgeschehens entstammen. Seinerzeit dienten sie dazu, Tätern und Mittätern des NS-Regimes mithilfe von Zeugnissen Unbescholtener eine Zukunft im Adenauer-Staat zu ermöglichen.
Einen Höhepunkt erreichte der Propagandakrieg um Globke 1963 durch einen Prozess in Ostberlin, geführt in Abwesenheit Globkes. Die DDR-Justiz sah in diesem Verfahren „eine Fortsetzung des Eichmann-Prozesses, weil beide Angeklagte – auf verschiedene Art – die gleiche Schuld tragen“. Das am 27. Juli 1963 gesprochene Urteil lautete auf lebenslängliche Haft. Der Historiker Ernst Engelberg hatte im Prozess ein Gutachten vorgelegt, das „die Wesensgleichheit des Bonner Regimes“ und des Hitler-Staates belegen sollte. Im gleichen Jahr trat Globke in den Ruhestand und Adenauer zurück.
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