Die seit anderthalb Wochen in Berlin gezeigte Neuauflage der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944" (s. Freitag 49/2001) steht bisher nicht unter dem gleichen publizistischen Trommelfeuer wie die Vorgängerin Mitte der neunziger Jahre. Allerdings sind am vergangenen Wochenende über 3.000 Anhänger der NPD gegen die Ausstellung am Rande des Berliner Scheunenviertels aufmarschiert - die größte neofaschistische Kundgebung in der Stadt seit 1945. Die Gestalter der Ausstellung um den Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma brechen mit dem zähesten Mythos der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, der Legende von einer "sauberen Wehrmacht". Diese Legende wird als das dargestellt, was sie war und ist - eine Lebenslüge und ein Passierschein für die Remilitarisierung der BRD im Kalten Krieg.
Jan Philipp Reemtsma hat sich erfreulicherweise von seiner Idee verabschiedet, die Verbrechen der Wehrmacht in die Zwangsjacke einer "historischen Anthropologie" zu stecken und sie damit zu verharmlosen. Ulrike Jureit, die Sprecherin des jetzigen Gestalterteams, antwortet denn auch auf die Frage, was die alte von der neuen Ausstellung unterscheide, mit dem lapidaren Satz: "Alles, außer der These", wonach die Wehrmacht eben nicht in Verbrechen "verstrickt" gewesen sei, sondern dabei in vielfältiger Form direkt und indirekt mitgewirkt habe. Die neue Ausstellung setzt im Unterschied zur alten mehr auf schriftliche Belege und Tondokumente. Insgesamt ist der Gestus der jetzigen Konzeption erkennbar einem analytischen Zugriff verpflichtet und federt emotionale Zuspitzungen diskursiv ab. Genau diese ätzende Sachlichkeit versetzt den Betrachter in ein aufwühlendes Nachdenken. Im hellen Licht kritischer Aufklärung erscheinen die Verbrechen, die Teile der Wehrmacht zu verantworten haben, noch monströser als zuvor. Das liegt auch an der gediegenen, unaufdringlichen Ausstellungsarchitektur von Andreas Heller.
Gleich im ersten Teil, der dem Verhältnis von Krieg und Recht gewidmet ist, wirft ein kleines Detail ein Schlaglicht auf die Dimension des Ganzen. Das Exemplar der Haager "Landkriegsordnung" von 1907, das zur Bibliothek eines "Oberkriegsgerichtsrats" gehörte, wurde bereits Ende 1940 "aus der Bibliothek ausgesondert". Hitler und die Wehrmacht hatten sich für eine Kriegführung im Osten entschieden, die sich bewusst über völkerrechtliche Normen hinwegsetzte. Walther von Brauchitsch, der Oberbefehlshaber des Heeres, propagierte den Schulterschluss von "Wehrmacht und Nationalsozialismus" seit 1938: Diese beiden "werden weiter Großes für die Nation leisten, wenn sie dem Vorbild und der Lehre des Führers folgen", hieß es bei ihm. Und Generalfeldmarschall Walter von Reichenau lehnte sich wörtlich an Hitler an, als er im Herbst 1941 vom "Feldzug gegen das jüdisch-bolschewistische System" sprach. An vielen Orten - so in Dubno - begann mit dem Einmarsch der Wehrmacht die systematische Verfolgung und Ermordung der Juden. Und wenn die Wehrmacht weiter marschierte, operierten in ihrem Rücken, unter ihrem Schutz und in "Absprache" oder mit ihrer "Amtshilfe" die vier "Einsatzgruppen" zu je etwa 1.000 Mann, die Tausende von sowjetischen Juden unter dem Vorwand umbrachten, es handle sich um "Partisanen".
Das Streit um die erste Wehrmachtsausstellung bewirkte unter anderem, dass Historiker durch sie einen differenzierteren Umgang mit Fotos erlernten. Die neue Ausstellung demonstriert das an den Bildern aus Tarnopol. Zusätzlich zu Exponaten aus einem Wiener Archiv werden Aufnahmen aus dem Militärhistorischen Archiv in Prag gezeigt, die die Interpretation des Doppelverbrechens plausibel machen: Juden wurden von der Wehrmacht gezwungen, Leichen von Menschen auszugraben, die der sowjetische Geheimdienst NKWD bei der überstürzten Flucht ermordet hatte. Diese Juden wurden anschließend - unter den Augen deutscher Soldaten - von Ukrainern erschlagen. Die Frage der Täter - beziehungsweise Mittäterschaft der deutschen Soldaten bleibt offen, aber dass sie unmittelbar dabei waren beim Pogrom, belegen die Fotos.
Zu den eindrücklichsten der elf Abteilungen der Ausstellung gehören jene über die Behandlung "sowjetischer Kriegsgefangener", über die "Deportationen" und den "Ernährungskrieg". Entgegen aller völkerrechtlichen Normen hatten nichtarbeitsfähige russische Kriegsgefangene nicht den Hauch einer Chance zu überleben. Generalquartiermeister Eduard Wagner ordnete am 13.November 1941 an: "Nichtarbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern." Durch die Konfiskation von Saatgut, Zug- und Zuchttieren schuf die Wehrmacht einen bis zu 300 Kilometer breiten "Gürtel, in dem völliger Kahlfraß" eintrat. Die gesamte Bevölkerung wurde zum Verhungern verurteilt. Die Ausstellung zeigt nicht nur die Mitwirkung der Wehrmacht bei Verbrechen, sondern an Beispielen auch, welche Handlungsspielräume Soldaten und Offiziere hatten, um den mörderischen Automatismus von Befehl und Gehorsam zu unterlaufen.
Die Ausstellung ist bis zum 13. Januar in den Kunst-Werken, Berlin-Mitte. Auguststr. 69 zu sehen.
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