Brandstellen und Brandbeschleuniger

Integration mangelhaft Ludwigshafen zeigt, wie wenig belastbar das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken ist

Wie nicht nur Ausländer die Stimmung im Land einschätzen, erwies sich nach dem Brand in einem Ludwigshafener Wohnhaus, der neun Türkinnen und Türken das Leben kostete: Viele Deutsche und fast alle Türken erinnerten sich an die Brandanschläge rechtsradikaler Deutscher in Mölln (1992) und Solingen (1993). Der Rhein-Neckarraum ist ein Zentrum rechtsradikaler "freier Kameradschaften". Hier agiert Malte Redecker als Chef der Hammerskins Westmark, die rechtsradikalen Rock spielen. Das in Ludwigshafen ansässige "Aktionsbüro" machte sofort nach dem Brand "die antideutschen Pseudo-Gutmenschen" und "linke Medien" für den Anschlag verantwortlich.

Den Rest besorgten die türkischen Boulevardblätter, allen voran Hürriyet, mit Schlagzeilen wie Wieder verbrennen sie uns! Das Blatt betrieb eine nationalistische Hetzjagd. Innenminister Schäuble fühlte sich beleidigt und las dem türkischen Botschafter nach deutscher Art die Leviten. Das deutsche Pendant Bild erinnerte - mit sicherem Gespür für die Gunst der Stunde - an das Schicksal des minderjährigen Deutschen Marco W., der wegen eines vagen Verdachts wochenlang in einem türkischen Gefängnis gesessen habe.

Zur Beruhigung der Lage trug zunächst einzig der türkische Ministerpräsident Erdogan bei, als er in Ludwigshafen erklärte: "Wir mögen verschiedene Religionen haben, verschiedene Sprachen sprechen, verschiedene Völker sein, verschiedenen Nationen angehören, trotzdem eint uns eines: Wir sind alle Menschen." Er lobte die deutsche Feuerwehr für ihre tadellose Arbeit und sprach den Kriminalbeamten, die nach der Ursache des Infernos suchten, sein Vertrauen aus. Die Boulevardblätter Bild und Hürriyet mäßigten ihre Sprache, bliesen die ultimative Schlammschlacht ab und brachten am Freitag einen gemeinsamen Leitartikel, in dem sie sich der gegenseitigen Anteilnahme versicherten.

Als Erdogan vergangenen Sonntag in Köln Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" denunzierte, verwässerte er den guten Eindruck, den er in Ludwigshafen machte, denn ob sich hierzulande jemand nur integriert oder ganz assimilieren möchte, ist weder Sache der Regierenden in Berlin noch in Ankara.

Zu so viel Einsicht wie das deutsche und das türkische Boulevardblatt mochte sich das deutsche Intelligenzblatt nicht durchringen. Frank Schirrmachers FAZ-Feuilleton mobilisierte die Scharfschützin Necla Kelek für einen weiteren Angriff auf "den" Islam unter dem Titel Gehorsam und Erziehung zur Gewalt, so als ob "Gehorsam" und "Erziehung zu Gewalt" türkische beziehungsweise islamische Spezialitäten wären. Die Soziologin bezieht sich auf ein paar Einzelfälle, von denen sie gesprächs- und gerüchteweise erfuhr, und bastelt mit diesen "Erfahrungen" an ihrem Feindbild "des" Islam. Kein Mensch weiß, wie fromm, koranfest und religionstreu "die" Türken sind, aber die Soziologin weiß angeblich haargenau: Es sind "die religiös geprägten Erziehungsziele der Eltern", die Kinder gewalttätig werden lassen: "Das muslimische Weltbild in Kombination mit den archaisch-patriarchalen Traditionen großer Teile der türkischen Community widerspricht durch seine Orientierung an Gehorsam den Anforderungen einer emanzipierten und auf mündige Bürger angewiesenen Gesellschaft."

Kelek schwadroniert von einer spiralförmigen Bewegung, die angetrieben werde von einem "religiös legitimierten Lebenskonzept" und von "archaisch-patriarchalischen Strukturen". Mit diesen beiden Legosteinchen aus der Simpel-Soziologie blendet sie die entscheidenden strukturellen Defizite des deutschen Bildungswesens aus, die maßgeblich und viel stärker als die Religion dafür verantwortlich sind, dass die soziale Integration und reale Partizipation vieler Ausländer gescheitert ist.

Für die Platzierung dieses empiriefreien Herumfuchtelns und -spekulierens in der FAZ - unmittelbar nach dem Brand in Ludwigshafen - ist natürlich nicht die Soziologin zuständig, sondern Frank Schirrmacher. Im Vergleich mit den Chefredakteuren der beiden Boulevardblätter bewährte er sich einmal mehr als intellektueller Brandbeschleuniger.

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