Das Gesetz anbeten, nicht den Koran

Frankreich Im Kampf gegen den islamistischen Terror setzt Präsident Macron auf die Werte und Prinzipien der Republik
Ausgabe 06/2021
Was er mit einer Verbeugung vor den republikanischen Werten erreichen wolle, richte sich nicht pauschal gegen „den“ Islam oder „die“ Muslime, sondern „nur“ gegen den terroristischen Islamismus. Das beruhigte die neun wichtigsten Vereinigungen der Muslime in Frankreich nicht wirklich
Was er mit einer Verbeugung vor den republikanischen Werten erreichen wolle, richte sich nicht pauschal gegen „den“ Islam oder „die“ Muslime, sondern „nur“ gegen den terroristischen Islamismus. Das beruhigte die neun wichtigsten Vereinigungen der Muslime in Frankreich nicht wirklich

Foto: Abdulmonam Eassa/Getty Images

Nach den Anschlägen islamistisch inspirierter Täter vom 13. November 2015 an mehreren Orten in Paris und 130 Toten rief der damalige Präsident François Hollande den „Krieg gegen den Terror“ aus. Seither werden Attentäter, die sich noch am Tatort wirklich oder vermeintlich mit dem Ruf „allahu akbar“ zu erkennen geben, von der Polizei nicht mehr kampfunfähig gemacht, sondern – à l’américaine – behandelt. Das heißt, sie werden in der Regel erschossen.

Der Terror ging in Frankreich trotzdem weiter. Auf den gegen ihn gerichteten „Krieg“ folgt nun der für republikanische Werte. Er wird nicht mit Schusswaffen, sondern Gesetzen geführt. Das neueste Dekret trägt die Überschrift „Gesetz zur Stärkung des Respekts vor den Prinzipien und Werten der Republik“. Die seither heftig diskutierte Vorlage dazu ist am 18. Januar in die Nationalversammlung eingebracht worden, auf den Tag genau 150 Jahre nachdem es im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles eine für die Franzosen demütigende Zeremonie gegeben hatte. Sie galt der Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Daran möchte sich in Frankreich heute niemand mehr als unbedingt nötig erinnern. Auch in Deutschland ist der Jahrestag eher verhalten begangen worden, obwohl es durchaus Tendenzen zur Rehabilitation des Kanzlers Bismarck gibt, der wenige Jahre nach der Staatsgründung drakonische Ausnahmegesetze gegen sogenannte Reichsfeinde – sowohl Katholiken wie Sozialdemokraten – durchsetzte.

Noch vor der spektakulären Ermordung des Geschichtslehrers Samuel Paty am 16. Oktober 2020 und dem Anschlag in der Basilika Notre-Dame-de-l’Assomption in Nizza am 29. Oktober, als es drei Tote gab, verkündete Emmanuel Macron bei einer Rede in Mureaux (Département Yvelines) den „Kampf gegen den Separatismus“. Dabei räumte er ein, dass man leider eine „Ghettoisierung“ der migrantischen Vorstädte zugelassen habe. Das freilich war nur die halbe Wahrheit, denn die staatliche Städtebau-, Verkehrs-, Bildungs- und Sozialpolitik hat jene „Ghettoisierung“ – sprich: den „Separatismus“, den Macron attackieren will – nicht nur zugelassen, sondern seit über 50 Jahren wie in einem Treibhaus gehegt und gepflegt. Den Begriff „Republikfeinde“ für die Ghettoisierten hat der derzeitige Staatschef zwar stets vermieden, doch wird sein Gesetzesprojekt im aufgeheizten politischen Klima des Landes genau so gedeutet. Wen sonst sollte es im Visier haben?

Bedeutet ein Kopftuch Gefahr?

Macron versicherte daraufhin: Was er mit einer Verbeugung vor den republikanischen Werten erreichen wolle, richte sich nicht pauschal gegen „den“ Islam oder „die“ Muslime, sondern „nur“ gegen den terroristischen Islamismus. Das beruhigte die neun wichtigsten Vereinigungen der Muslime in Frankreich nicht wirklich. Dennoch folgten sie Macrons barschem Ultimatum vom 18. November, bis zum 18. März eine Charta vorzulegen, die über ihr Religionsverständnis wie das Verhältnis zum republikanischen Wertekanon Auskunft gibt. Bereits am 17. Januar stellten sie dem Präsidenten vor, was sie als gesetzestreue Bürger auswies.

Bisher sind zu Macrons Gesetzesvorlage etwa 1.700 Änderungsvorschläge eingereicht, die reflektieren, dass die sich abzeichnenden Einschränkungen für die Religionsfreiheit muslimischer Gemeinschaften sehr weit gehen. Tatsächlich werden der Islam und seine Religionsgemeinschaften unter den unzulässigen Generalverdacht gestellt, den Terror zu begünstigen. Das Argument der Regierung lautet, man müsse islamischen Parallelgesellschaften entgegentreten. Es sei nicht hinnehmbar, dass sie in den Plattenbausiedlungen der Großstädte ihr Nischendasein kultivieren.

Doch wird in der Debatte über diesen „Separatismus“ völlig ausgeklammert, was die Opposition von links als „Separatismus der Reichen“ bezeichnet. Hardliner in Macrons Partei und bei den konservativen Republikanern bringen den „Laizismus“ als Kampfparole so in Stellung, dass schon ein Kopftuch die „Werte“ der Republik untergräbt und angeblich in Gefahr bringt. Besonnenere Stimmen unter Macrons Anhängern warnen davor, erneut wie in den 1990er Jahren in die Falle zu gehen, mit religiös motivierten Kleiderordnungen Staatsgefährdungen erst heraufzubeschwören. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein Buch mit Anekdoten aus dem Leben eines pensionierten Schulaufsichtsbeamten, der in jeder Kopftuchträgerin eine clever versteckte Terroristin wittert.

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