Das Ansehen Emmanuel Macrons nähert sich dem seines Vorgängers François Hollande, als dessen Präsidentschaft der Agonie verfiel. 71 Prozent der Franzosen beurteilen seine Amtsführung „negativ“, nur 29 Prozent halten ihn für einen „guten Präsidenten“. Überraschend ist das nicht, in der Sommerpause verabschiedeten sich gleich drei Minister aus der Regierung. Umweltminister Nicolas Hulot – charismatischer Star der ökologischen Bewegung – resignierte, weil er im Kampf gegen die Atomlobby in einer aussichtslosen Position war und von Macron keinen Beistand erhielt. Sportministerin Laura Flessel kündigte ebenfalls, und Innenminister Gérard Collomb erklärte, im Mai 2019 in Lyon wieder als Bürgermeister kandidieren zu wollen. Seine Ankündigung per Interview verpackte er in eine verklausulierte Mitteilung an den „Monarchen“ im republikanischen Kostüm. Der ehemalige Gymnasiallehrer für Latein und Griechisch beklagte einen „Mangel an Demut“ und ließ wissen, im Griechischen gäbe es das Wort „Hybris“. „Das ist die Verfluchung der Götter, wenn jemand sich selbst und seiner Sache zu sicher wird.“
Am 13. Juni erheiterte Macron die Besserverdienenden mit der Aussage, man stecke „einen Haufen Zaster“ in die Sozialhilfe, aber die Zahl der Armen wachse. Drei Monate später – unter dem Eindruck des dramatischen Schwunds seiner Beliebtheit – ging er auf Distanz zu sich selbst und seinem Effizienz-Credo: Wer behaupte, der Staat stecke zu viel Geld in die Sozialsysteme, „vergiftet den Zusammenhalt der Nation“. Nur noch Berufsmacronisten wie der Autor Philippe Besson, der Macron eine Eloge unter dem Titel Un personnage de roman („Eine Romanfigur“) widmete und mit einem Diplomatenposten in den USA entschädigt wurde, werten die wechselnde Sichtweise als Zeichen gewachsener Einsicht. Der Rest sieht in Macrons „sozialer Wende“ ein opportunistisches Manöver, das sein Image polieren soll. Ob dabei ein auf vier Jahre verteiltes Acht-Milliarden-Euro-Programm zum Kampf gegen die Armut reicht, ist fraglich.
Selbst die vier Ökonomen, die Macrons Wahlprogramm mitformulierten, bedauern jetzt, dass sich der Staatschef zu wenig um „soziale Fragen“ kümmert, und verlangen mehr „soziale Ausbalancierung“. Längst hat sich Macrons Ruf als „Präsident der Reichen“ verfestigt, nach einer Steuerreform zugunsten der Besserverdienenden und einer Arbeitsrechtsreform auf Kosten von Arbeitern und Angestellten. Die propagierte „République contractuelle“ (Sozialvertrags-Republik) blieb eine Schimäre: Ganze 364 Verträge zwischen Patron und Mitarbeitern in Betrieben unter 20 Beschäftigten wurden seither geschlossen. In größeren Unternehmen gab es 50 Verträge zwischen Direktion und Gewerkschaften.
Ernüchterung statt Aufbruch
Die Übernahme eines Teils der Schulden der Staatsbahn SNCF durch den Staat steht vorerst nur auf dem Papier, während die Aufweichung des Eisenbahnerstatuts auf Kosten künftiger Bahnbeschäftigter durchgezogen wird. Erfolgreich war Macron mit „Reformen“, die für medialen Wirbel sorgten, aber nichts kosteten, wie die Tilgung des Worts „Rasse“ in der Verfassung. Der so ehrgeizige wie teure Plan zur Rekonstruktion der maroden Infrastrukturen in den Banlieues der Metropolen verschwand dagegen sang- und klanglos – wie alle seine Vorgänger – in Schubladen des Elysée.
Aber nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in seiner Bewegung La République en Marche (LRM) sinkt Macrons Ansehen. Die Fraktion ist gespalten in „Vertikalisten“ (Anhänger des Präsidenten) und „Horizontalisten“, die mehr Demokratie wollen. Der von Macron geförderte Fraktionschef Richard Ferrand, gegen den die Justiz ermittelt, wurde neuer Parlamentspräsident gegen nicht weniger als zehn Bewerber aus den eigenen Reihen und erhielt 100 Stimmen weniger, als seine Fraktion über Sitze verfügt. Offenbar ist bei LRM der Euphorie des Aufbruchs vor einem Jahr Ernüchterung gewichen. Von den einst etwa 400.000 Anhängern ist nur noch ein Fünftel aktiv, in der Stadt Nantes mit etwa 10.000 LRM-Mitgliedern schrumpfte die Zahl der Aktiven auf unter 100. Abgeordnete bescheinigen einer abgehobenen Führung, „amateurhaft“ zu agieren. Im Moment wird Macrons Schwäche nur noch von jener der Opposition übertroffen.
Kommentare 9
lieber herr walther,
wenn sich schon realiter wenig an sozialer wende beobachten läßt,
scheint sich doch auf der semantischen ebene,
der wort-kunst-entwicklung/kunst-wort-entwicklung einiges zu tun.
eine "sozial-vertrags-republik", die "auf dem vor-marsch" ist:
sind pathetische parolen, die mobilisieren können oder als
"bloße worte" der kritik verfallen.
mit der sprache der diplomatie hat das französische uns
manche klarheit, aber auch manche verkleidung des modus vivendi
gebracht.
also: was gibts neues von der front der wörter aus F.?
sie reden über das "konzept des managers"
als wenn sie wirklich keinen blassen schimmer davon hätten!
erstmal nur soviel:
es geht um erfolreiche erreichung von definierten zielen.
dabei ist das umsetzungs-management zentral.
der output(das was hinten rauskommt) sollte meßbar sein...
phantasien stecken dabei in einem engen, kalkulatorischen korsett.
--->wikipedia: management
die un-abhängigkeit der französischen justiz ist eine spezielle,
nicht einfach egalitäre, streng libertäre,
eher eine brüderliche...
Dass der Mann scheitern würde, war von Anfang an klar. Weil er nie auch nur im Ansatz den Willen hatte, die realen Probleme Frankreichs anzupacken. Die Situation in den Banlieues ist ein Beispiel. Das ist Sprengsatz, der irgendwann hochgehen wird, je länger dort noch Perspektivlosigkeit und Frustration herrschen, umso verheerender wird die Explosion. Auch die Gefahr, die von einem deregulierten Finanzmarkt ausgeht, kann er naturgemäß nicht erkennen. Aber einen erneuten Zusammenbruch des Finanzsektors kann sich ein ohnehin auf der Kippe stehendes Land wie Frankreich nicht mehr leisten. Sollte es im Laufe seiner Amtszeit tatsächlich zu einer Wirtschaftskrise inklusive Massenarbeitslosigkeit kommen, dürfte die nächste Präsidentin in der Tat Le Pen heißen. Dieser Gefahr sind sich die linksliberalen Macron-Fans auch in Deutschland freilich nicht bewusst. Sie beschwören europäische Werte und verlieren sich in peinlicher pro-Europäischer Gefühlsdusseligkeit (siehe Pulse of Europe), während das vereinte Europa seinem Untergang entgegen wankt.
Kennzeichnend für Herr Macron ist zudem sein schwacher Charakter. Klar, er ist ein Gewinner, er ist erfolgreich. Erfolg zu verkraften, ohne dabei weite Teile seiner Menschlichkeit zu verlieren, erfordert aber eine gewisse innere Stärke. Die hat der Mann ganz offensichtlich nicht. Er gleicht damit denjenigen, die im Misserfolg ihren Anstand verlieren.
Macron der Präsident der Reichen? Ein Fake
Zitat: „Längst hat sich Macrons Ruf als „Präsident der Reichen“ verfestigt.“
Dem widerspricht vehement Frankreichs Ex-Präsidenten Francois Hollande: Auf die Frage des Fernsehmoderators Yann Barthès in der TMC-Sendung „Quotidien“ vom 25. April 2018 „Ist Macron der Präsident der Reichen?“ lautete die prompte Antwort: „Das ist nicht wahr. Das ist der Präsident der SEHR Reichen.“ („Macron est-il le président des riches ? Et François Hollande répond du tac au tac : "Ce n'est pas vrai. C'est le président des TRÈS riches.", Quelle: Le Figaro, 25.04.2018)
Man hat den Eindruck, Collomb, der väterliche Freund und Förderer Macrons, der bei dessen Inthronisierung heiße Freudenzehren weinte und auch gern mit dem Amt des Innenministers belohnt wurde, bei der Ausübung dieses wichtigen Amtes aber eher durch starke Sprüche, violente Repression von Squattern, Studenten, Schülern sowie Flüchtlingen und durch unglaubliche Blackouts in der Benalla-Macron-Affaire auffiel, seinen Abschied genüßlich (für ihn) und schmerzlich (für die Macronie) zelebriert.
Bei der "Transmission des pouvoirs" genannten Amtsübergabe an, man mag es kaum glauben, den neuen transitorischen Innenminister, den Regierungschef himself, heute morgen, sprach die Körpersprache Philippes Bände. Während der ganzen Abschiedsrede Collombs schaute er seinen Kollegen nicht an, selbst, als dieser sich ihm direkt zuwandte, starrte er mit unbewegter Miene vor sich hin. Dafür wusste er nicht, wohin mit seinen Händen. Seine kurze Rede war reine Pflichtübung. Die Macronie scheint momentan Schwierigkeiten zu haben, den sicher eingeübten Schein zu wahren.
Vieles hängt nun vom Präsidenten ab. Der begibt sich ab dem 4. November für eine Woche auf eine kommerative Erinnerungstour in die vom Ersten Weltkrieg heimgesuchten Departements im Norden und im Nordosten. Er hofft auf die Kraft der Bilder (Erinnerungsstätten, Massenfriedhöfe, Treffen mit Staatsmännern- und Frauen, wohl inszenierte Reden, Bäder in der Menge). Aber hat er noch die Kraft für die Bilder? Und wenn ja, wer glaubt noch diesen Bildern?
Du hast Recht, denn von den Rechtsextremisten wird das bestehende Wirtschaftssystem nicht infrage gestellt. Aber vor Melenchon haben DIE Angst.