Mit dem "Manifest der 12" protestierten Intellektuelle am 5. September 1960 gegen die Folterpraktiken der französischen Kolonialarmee in Algerien und forderten die Soldaten zur Befehlsverweigerung auf. Das Manifest war mutig, politisch und intellektuell brillant, obendrein effektiv. Vom "Manifest der 12", das jetzt gegen den "neuen Totalitarismus" mobilisiert, wird man das nicht sagen können. Dieser Aufruf, den außer Salman Rushdie, Bernard-Henri Lévy, Taslima Nasreen, Ayaan Hirsi Ali auch weniger bekannte Intellektuelle unterzeichneten, ist gratis, politisch diffus, außerdem völlig wirkungslos. Um zu erkennen, dass es nichts mehr kostet, einen Aufruf zu unterzeichnen, braucht man nicht lange.
Beachtlich ist am "Manifest der 12" dagegen die intellektuelle Konfusion. War schon "Totalitarismus" ein völlig ausgefranster Begriff, so erst recht der "neue Totalitarismus" - ein Synonym für "Islamismus". Der wieder reimt sich auf den "religiösen Totalitarismus". Um die Konfusion zu vervollständigen, ziehen die Unterzeichner auch noch eine historische Stütze in den Text ein. Nachdem "der Faschismus, der Nazismus und der Stalinismus" besiegt seien, stehe jetzt der "Islamismus" vor der Tür - und zwar vor jeder, denn es handle sich um eine "neue globale Bedrohung". Was als historische Stütze gedacht war, bringt den ganzen Text zum Einsturz. Oder wollen die Unterzeichner ernsthaft behaupten, Faschismus, Nazismus und Stalinismus lägen auch nur in einer Hinsicht auf der gleichen Ebene und könnten das gleiche Gewicht auf die Waage bringen wie der Schaumbegriff "neuer Totalitarismus"?
Irgendwie scheinen die Unterzeichner die Inkohärenz des Textes geahnt zu haben, denn einmal nennen sie den Islamismus eine "reaktionäre Ideologie". Das trifft die Sache nicht schlecht, versetzt aber dem pompösen verbalen Popanz schon fast den ultimativen Schlag. Diesen verpassen sich die Aufrufer selbst mit dem Hinweis, die Karikaturen aus Dänemark hätten "die Notwendigkeit des Kampfes für diese universellen Werte (Freiheit, Gleichheit, Laizismus) verdeutlicht". Damit machen die Unterzeichner sich selbst und ihren heroischen "Kampf auf dem Terrain der Ideen" endgültig lächerlich. Und Lächerlichkeit tötet fast so nachhaltig wie Waffen.
Diese Lektion hat der südwestdeutsche Lokalphilosoph Peter Sloterdijk 1999 gelernt, als er mit seinem oberflächlichen Gerede über "Regeln für den Menschenpark" zum letzten Mal überregional auffiel, in putschartiger Panik Jürgen Habermas attackierte und die Kritische Theorie für mausetot erklärte. Nun - Habermas hat seither ein paar der weltweit renommiertesten Wissenschaftspreise erhalten, und Sloterdijk hält Vorträge bei der Jahreshauptversammlung des Deutschen Landmaschinenherstellerverbandes, wenn er nicht gerade Leserbriefe schreibt.
Sloterdijk hat das "Manifest der 12" nicht unterzeichnet - sei es, weil er sich nicht nochmals lächerlich machen wollte, sei es, weil die zwölf Apostel des Anti-Totalitarismus keinen dreizehnten neben sich haben wollten. Implizit kritisierte er das "Manifest der 12" kürzlich im Focus; er nennt das Manifest jedoch genauso wenig beim Namen wie Botho Strauß, der im Artikel als einer der "Zeitkritiker" auftritt, "die aus ihrem Heimweh nach epischen und tragischen Weltverhältnissen kein Geheimnis machen. Ihnen erscheint die Bewegung der Modernen wie ein einziger langer Marsch in die Vulgarität."
Da Sloterdijk den Namen von Botho Strauß nicht nennt, bastelt er sich einen Pappkameraden in der Gestalt "des deutschen Feuilletons". Diesem Kollektivsingular unterstellt er pauschal "exzessive Panikbereitschaft" angesichts des "sakralen Totalitarismus" des Islam. Das ist nicht sehr witzig, denn von wenigen Ausnahmen abgesehen, reagierte "das deutsche Feuilleton" auf den vermeintlichen "Kampf mit dem Islam" weder panisch noch mit "Lust an der Unterwerfung", sondern ausgesprochen gelassen.
Die Instant-Diagnose verpackt Sloterdijk in die aufgeschäumte Globalisierungspoesie, wie er sie im Gemurmel seiner Sphären-Trilogie (1998-2004) und zuletzt in einer Kurzfassung unter dem Titel Weltinnenraum des Kapitals (2005) vorgelegt hat. Mit "ideenfeindlicher Spezialisierung auf Detailgeschichten aus entlegenen Archiven" mochte sich der Guru dort nicht herumschlagen. Er ging wie gewohnt aufs "Ganze" und "Übermäßige" und hatte für Aufklärung nur billige Kalauer übrig. Im Focus dagegen beschwört er den "Säkularismus der Aufklärung" als "unser Erbe" und zählt "Ganzheitsdarsteller" zu den Fanatikern. Der "Übermäßige", der Fanatiker und die Gegenaufklärung sind nahe Verwandte.
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