Die Rosen-Kavaliere

Frankreich Der Kongress in Reims dürfte die Spaltung des "Parti Socialiste" in die vier großen Familien bestätigen

Der Parti Socialiste (PS) entstand 1971 aus einem Konglomerat von sozialistischen Parteien und Gruppen. Erst als François Hollande 1997 zum Ersten Sekretär aufgestiegen war, gab es das Versprechen, "unsere innerparteilichen Strukturen und Verfahrensweisen zu erneuern und unsere Organisationsformen zu überdenken". Auf dem anstehenden Parteitag in Reims (14.- 16. November) tritt der Erneuerer von seinem Amt zurück. Die Partei mit ihren rund 230.000 Mitgliedern bleibt in viele Strömungen zerrissen, die in Frankreich "Familien" heißen. Der PS, dessen Symbol die Rose ist, gleicht daher mehr einem Familienverband, in dem Loyalitäten nicht nach politischen Interessen, sondern familiären Bindungen und Präferenzen artikuliert werden.

Wie es die Tradition verlangt, formulieren die Aspiranten auf das Amt des Ersten Sekretärs (beziehungsweise deren Familienoberhäupter) Plattformen und Wahlziele, über die vor einem Parteitag die Mitglieder konsultativ und die Delegierten auf einem Parteitag definitiv abstimmen. Die Frist, um derartige Manifeste einzureichen, war diesmal am 23. September 2008 verstrichen, so dass es nun vier Programme und zwei chancenlose Außenseiterpositionen gibt, über die in Reims abgestimmt wird. Die aussichtsreichen Plattformen stammen vom Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë (unterstützt von François Hollande), von Martine Aubry, Bürgermeisterin von Lille (unterstützt von ihrem Vater Jacques Delors sowie Ex-Premier Fabius), von Ségolène Royal (Verliererin der Präsidentenwahl 2007) und von dem Parteilinken Benoît Hamon, den Henri Emmanueli unterstützt.

Drei der vier Plattformen (Delanoë, Aubry, Royal) unterscheiden sich nur in Nuancen und folgen in etwa der allgemeinen Parteilinie, die seit 30 Jahren "ein Projekt der radikalen sozialen Transformation" hofiert. Alle wollen den "Wechsel", huldigen aber einer Programmatik, wie sie seit 1971 hergebetet wird. Von daher trennen Delanoë, Aubry und Royal nicht politische, sondern persönliche Ansprüche. Das wird noch verschärft durch die derzeitige "Hyperpersonalisierung" von Politik, wie sie Nicolas Sarkozy betreibt. Im Kern geht es in Reims deshalb nicht um Strategien - es wird (vor-)entschieden, wer gegen Sarkozy bei der Wahl 2012 die besten Chancen hat.

Ex-Premier Michel Rocard bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, man brauche "jetzt nur eine Partitur und einen Dirigenten". Als Erste hat das Segolène Royal schon im September begriffen, als sie sich bei einem Pop-Konzert vor 4.000 Anhängern in einer Light-Show als weibliches Pendant zu Barack Obama präsentierte. Die Worte "Parti Socialiste" blieben ausgespart, dafür gab es zeitgeistiges Gerede über "das neue Frankreich". Welches Stück - sprich: Programm - dem Wahlvolk geboten wird, ist den Familienoberhäuptern des PS offenbar nicht so wichtig - Hauptsache, wir lösen den Dirigenten Sarkozy ab.

Der einzige Einwand, der Delanoë zum eher peinlichen Auftritt seiner Rivalin einfiel, bezog sich auf deren Anregung, neben Parteimitgliedern - die im Französischen in Anlehnung an die Résistance "Militante" heißen - eine neue Kategorie von Mitgliedern zu schaffen. Die sollten "Unterstützer/Sponsoren" heißen, sich nicht in die Parteiarbeit einmischen, aber monatlich wenigstens 20 Euro Mitgliedsbeitrag zahlen.

Linke Parteien sind nun einmal nur glaubwürdig, wenn sie der klassischen, neoklassischen oder neoliberalen Markt-Dogmatik, wonach jedes Produkt, das einen Käufer findet, "nützlich" ist, weil es zum Wachstum beiträgt, etwas Konsistentes entgegen setzen. Außer in der Plattform des Parteilinken Benoît Hamon wird davon in Reims nicht der Hauch eines Konzepts zu spüren sein. Vor dem Kongress stimmte gerade einmal die Hälfte der "Militanten" über die Plattformen ab, was die Spaltung des PS in "Familien" vollauf bestätigt hat. Für Ségolène Royal votierten 29 Prozent der Mitglieder, für Delanoë und Martine Aubry je 25 und für den Parteilinken Hamon rund 19 Prozent - die demokratische Bestätigung des desaströsen Zustands der Partei. Außer den Clanchefs können diese Ergebnisse niemanden erfreuen, faktisch sind alle Kandidaten Verlierer.

Wer soll eine Partei wählen, die höchstens ein Drittel der eigenen "Verwandten" beziehungsweise Mitglieder überzeugend finden? Ségolène Royal beansprucht für ihren Quasi-Sieg eine "besondere Legitimität", aber ihr Ex-Lebensgefährte Hollande replizierte trocken: "Royal hat keine Mehrheit in der Partei." Das Resultat war zudem eine Ohrfeige für den Parteiapparat, denn der setzte auf Delanoë. Der freilich kam selbst in Paris nur auf 38 Prozent der Stimmen und sprach noch am Wahltag davon, "eine mehrheitsfähige Synthese" zu bilden. Als "Siegerin" hat Ségolène Royal jetzt nicht einmal halb so viel Stimmen erhalten wie seinerzeit bei ihrer Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin (60 Prozent).

Als "Sieger" könnte sich auch Hamon fühlen, für dessen klar antikapitalistische Plattform fast ein Fünftel der Parteimitglieder stimmte. Seine Freude dürfte allerdings begrenzt sein, denn zwei prominente Linke - Jean-Luc Mélenchon und Marc Dolez - traten aus der Partei aus und schlossen sich dem Projekt Pour une République sociale an, dessen Vorbild ebenso die Linkspartei in Deutschland wie der vom Trotzkisten Olivier Besancenot gegründete Nouveau Parti Anticapitaliste ist. Ségolène Royal will mit allen Familienchefs reden, aber wie in Reims "eine kohärente Führung und sozialistische Einheit" (Royal) hergestellt werden sollen, weiß niemand. Vermutlich wird Royal einen ihr genehmen Ersten Sekretär durchsetzen und für sich das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur 2012 offen halten.

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