Dritter Mann

Interventionen Peter Handke versteht sich als Kämpfer gegen mediale Sprachnormen

Seit 1996 meldet sich der in Frankreich lebende Schriftsteller Peter Handke in unregelmäßigen Abständen zu den Bürgerkriegen, Interventionen von außen und politischen Machtverhältnissen auf dem Balkan zu Wort. Dem eintönigen Widerhall von den Meinungsschwerathleten im deutschen Feuilleton kann er sich sicher sein. Im jüngsten Fall gingen die französischen Kollegen voran. Der Nouvel Observateur (6. 4. 2006) reagierte auf die Meldung, Handke habe an der Beerdigung von Slobodan Milosevic teilgenommen mit einem Artikel, der Handke des "Revisionismus" bezichtigte und mutmaßte, der Autor habe "das Massaker von Srebrenica gutgeheißen."

Um Handkes Protest gegen diese Unterstellung zu drucken, brauchte das Blatt mehr als drei Wochen, weil der Redakteur der Leserbriefspalten in den Ferien war. Der Generaldirektor der Comédie Française - Marcel Bonzonnet - nahm die Aufgeregtheit zum Anlass, eine geplante Aufführung von Handkes Drama Das Spiel vom Fragen oder die Reise ins sonore Land aus dem Spielplan zu nehmen, was die Aufregung steigerte. Durch die Verzögerung der Veröffentlichung von Handkes Replik blieb auch Zeit genug, um das Empörungstheater über den Rhein zu transportieren. Soviel zum Ambiente und den Zuständen im Medienwesen.

Zwischenbemerkung in eigener Sache: Handke braucht keinen Verteidiger, und das Motiv für diesen Artikel ist auch nicht dessen pauschale Verteidigung. Ich möchte Handke und seine politischen Äußerungen und Handlungen verstehen, wie ich als Leser seine Prosa verstehen möchte. In beiden Fällen gelingt das nicht immer, schon gar nicht auf Anhieb. Am meisten Chancen, Handke zu verstehen, hat man jedoch, wenn man genau hinhört, genau liest und nochmals liest. Ich möchte nicht behaupten, dass ich alle seine politischen Wendungen und Interventionen verstanden habe. Da bleiben schon Unklarheiten, Unverständnis und Uneinsichtiges. Handke macht es einem nicht leicht, aber das habituelle mediale Geheul, das regelmäßig auf ihn herabprasselt, besagt mehr über die Heuler als über Handke.

Wer Handkes Rede am Grab Milosevics gelesen hat, kann nicht behaupten, er hätte Massaker gerechtfertigt. Er wollte ursprünglich gar nicht hinfahren und tat es nur, weil ihn die Familie - kein Staat und keine Partei - dazu eingeladen hat. Im unisono Echo der westlichen Medien erschien der tote Milosevic als "Diktator", "Henker", "Kriegsverbrecher", der vier Kriege entfesselt habe, als "Apparatschik", "Opportunist" und "Feigling" der sich der Strafe durch Selbstmord entzogen habe.

Handke, und damit beginnen die Schwierigkeiten, die seine Texte bereiten, lässt sich in der Regel nicht auf eine Diskussion darüber ein, ob und inwiefern diese Zuschreibungen auf den wirklichen Milosevic, sein Reden und Handeln, zutreffen. Er lehnt die Zuschreibungen rundweg ab. Für ihn ist bereits "die einstimmig feindliche" Reaktion in den westlichen Medien ein Indiz für Voreingenommenheit, Borniertheit und Ressentiments. Bestätigt sieht er das in der Sprache dieser Medien - und er nannte diese Sprache "nicht nur verlogen, sondern schamlos" und damit Grund genug für die Reise zur Beerdigung.

Die mediale Sprachnorm blendet die serbischen Opfer aus, über die Handke fast allein geschrieben und dabei die kroatischen und muslimischen Opfer nicht vergessen hat. Die Medien kennen eine Opfern angemessene Sprache nicht, sondern nur den auftrumpfenden Jargon von Richtern und Siegern. Nicht aus "Loyalität mit Slobodan Milosevic", sondern "aus Loyalität gegenüber dieser anderen Sprache, die nicht die von Journalisten ist und nicht die herrschende Sprache", schrieb und handelte Handke. Er sprach nicht "für die", sondern "mit den Serben und Serbien" und hielt deshalb Teile der Rede in deren Landessprache.

Als Jurist, der Handke auch ist, lässt er sich nicht zum Angeklagten machen, nur weil er die ihm zugedachte Rolle ablehnt, als Zeuge der Anklage aufzutreten. Er sieht sich aber auch nicht als Zeuge der Verteidigung, sondern als "der dritte Mann", der die Wahrheit nicht kennt, aber liest, beobachtet, hört, fragt, fühlt, mitleidet. Fähigkeiten, die den Meinungsschwerathleten fehlen.


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