Ego non

Linksbündig Joachim Fest war der Grandseigneur des deutschen Konservatismus

Die Frage, was Konservatismus heute bedeutet und wer dazu zählt, ist allein deshalb nicht so leicht zu beantworten, weil strittig ist, ob es den intellektuell anspruchsvollen Konservatismus überhaupt noch gibt. Cicero, Merkur und Welt, die sich gelegentlich als authentische Organe des Konservatismus aufspielen, sind eher blasse Nachlassverwalter. Mit den Namen Gertrud Höhler, Paul Nolte, Eva Herman und Arnulf Baring ist ein Schrumpf-Konservatismus umrissen, der sich mangels Profil überlebt hat.

Da war der 1926 geborene und vergangenen Montag verstorbene Joachim Fest von seiner intellektuellen Statur und von seiner politischen Haltung her doch von ganz anderem Format. Das FAZ-Feuilleton, das er als Herausgeber zwanzig Jahre lang (1973-1993) verantwortete, ist nicht vergleichbar mit dem heutigen Blatt, in dem der zuständige Herausgeber in regelmäßigen Abständen seine medialen Knaller platziert und sonst seine Jungschützen ihre Mätzchen treiben und Ressentiments ausleben lässt. Was Fests Statur und Haltung betrifft, so wurde sie - wie seine eben erschienene Autobiographie verrät - stark vom katholischen und konservativen Elternhaus und insbesondere seinem Vater geprägt. Dieser war Oberschulrat und wurde schon kurz nach der Machtübergabe 1933 vom Dienst suspendiert, weil er nicht bereit war, dem neuen Regime gegenüber auch nur die kleinste Konzession zu machen.

Der Titel der Autobiographie war auch Joachim Fests Lebensmaxime: Ich nicht. Fest spielt damit auf eine Bibelstelle (Markus 14, 29) an: In der Nacht vor seiner Verurteilung und Hinrichtung versprachen die Jünger Jesus auf dem Ölberg, ihn nicht zu verraten. Besonders kräftig legte sich Petrus ins Zeug: "Wenn alle es tun, ich nicht" ("etiamsi omnes - ego non"). Die Sentenz spielt aber auch auf den Verrat des größten Teils des deutschen Konservatismus an. Angesichts der Herausforderung durch den Nationalsozialismus kapitulierten zahlreiche deutsche Konservative bereits vor 1933 und verfielen danach in einen beispiellosen Opportunismus und Konformismus. Von dieser kompromittierenden Kapitulation hat sich der Konservatismus nie mehr erholt. Insofern ist seine heutige Schwäche eine Folge des Verrats an der Weimarer Demokratie.

Fests Bücher über Adolf Hitler (1973) und Albert Speer (1999) bewegen sich auf einem schmalen Grat, denn der Autor war stets mehr bemüht, historische Prozesse einfühlend zu verstehen als kühl und distanziert darzustellen. Außer an der klaren Sprache liegt es sicher auch an diesem Bemühen zu verstehen, dass die beiden Bücher ebenso große Verkaufserfolge wurden wie das Buch über den Widerstand (Staatsstreich 2003). Durch seine Mitarbeit an zwei Hitler-Filmen (zuletzt Der Untergang, 2002) wurde Fest auch einem Publikum bekannt, das keine historischen Bücher liest.

Mit seinem trotzigen "Ich nicht" stellte er sich selbst hinter einen Ernst Nolte, dessen Artikel (Vergangenheit, die nicht vergehen will) 1986 den "Historikerstreit" auslöste. Gegen Widerstände aus der Redaktion hatte Fest den Artikel in der FAZ abgedruckt, obwohl Noltes Thesen auf eine Verharmlosung des Nationalsozialismus hinausliefen. Erst zwanzig Jahre später und kurz vor seinem Tod distanzierte sich Fest in einem Spiegel-Artikel (21. 8. 2006) teilweise von Noltes kuriosen Ansichten, verteidigte aber auch dessen Recht, diese öffentlich zu diskutieren.

Weniger liberal und weniger versöhnlich war Fest im Umgang mit linken Intellektuellen. Jürgen Habermas unterstellte er 1986, "einen wissenschaftlichen und womöglich persönlichen Rufmord" an Nolte und sprach polemisch von "Gesinnungswedelei" und "Bezichtigungsgeschrei". Dabei übersah er, was den Streit auslöste: Zum energischen Schlagabtausch kam es, weil deutsche Historiker im Windschatten der "geistig-moralischen Wende" (Helmut Kohl) jene Grenze zu überschreiten im Begriff waren, die Fest selbst in seinen Büchern immer beachtete - die Grenze zwischen aufgeklärtem und deutschnational eingetrübtem Konservatismus.

Wer sich ins politische Handgemenge begibt, wie das der meinungsfreudige Kolumnist Fest tat, greift manchmal auch daneben. In Rainer Werner Fassbinders Collage gegen die in Frankfurt blühende Häuserspekulation (Der Müll, die Stadt und der Tod, 1976) vermochte der Historiker nichts anderes zu erkennen als "Faschismus von links" und "Antisemitismus". Damit ging der letzte Grandseigneur des deutschen Konservatismus ausnahmsweise unter sein intellektuelles Niveau.


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