Ein ausgetrockneter Brunnen

Frankreich Der Parti Socialiste (PS) scheint am Ende, eine Erneuerung bleibt an der ungelösten Führungsfrage hängen
Ausgabe 47/2017
Nachfolge dringend gesucht! Parteichef Christophe Cambadélis ging am 30. September in den Ruhestand
Nachfolge dringend gesucht! Parteichef Christophe Cambadélis ging am 30. September in den Ruhestand

Foto: Jacques Demarthon/AFP/Getty Images

Emmanuel Macron profiliert sich mit medialen Selbstdarstellungspirouetten, diplomatischen Theatercoups und seichter Europa-Rhetorik. Zwischendurch lässt er mit Christophe Castaner seinen Regierungssprecher per Akklamation und ohne Gegenkandidaten zum Chef der Bewegung ausrufen. So läuft, was Macron „effiziente Demokratie“ nennt. Fragt man danach, was außer der Arbeitsrechts- und Steuerreform zugunsten der Reichen gewesen ist, stößt man auf genau ein Resultat: Macron hat mit seiner Bewegung En Marche das französische Parteiensystem plattgemacht und den Parti Socialiste (PS) dezimiert, sind doch der Partei nur noch 28 Mandate in der Nationalversammlung geblieben.

Keine Frage, die Sozialisten stecken in einer tiefen Krise – personell, finanziell, politisch. Parteichef Christophe Cambadélis verabschiedete sich am 30. September in den Ruhestand, aber Name und Funktion waren auf der Website der Partei noch Mitte November zu lesen. Unter den auf die Hälfte reduzierten Mitarbeitern in der Parteizentrale hatte offenbar niemand Zeit, das zu korrigieren. Dazu passt, dass die Parteizentrale an der Rue de Solférino veräußert werden muss, damit der PS solvent bleibt. Ein Verkauf der herrschaftlichen Villa mit 3.000 Quadratmetern Bürofläche im 7. Pariser Arrondissement soll die tote Partei durch einen Erlös von 50 Millionen Euro wiederbeleben.

Krisen gehören zur Geschichte der französischen Sozialisten. Für die Section Française de l’Internationale Ouvrière (SFIO), die von 1905 bis 1969 existierte und seither unter dem Namen PS firmiert, gewann Gaston Defferre bei den Präsidentenwahlen 1969 ganze 5,01 Prozent. Ab 1972 führte François Mitterrand den PS, begann buchstäblich bei null und bescherte der Partei 1981 die Präsidentschaft ebenso wie 2012 François Hollande.

Aber nach der Totalniederlage gegen den Businesspräsidenten Macron Anfang Mai steht es für die Partei schlechter denn je. Es fehlt die Führungsfigur vom Format eines Mitterrand, programmatisch und strategisch gleicht der PS einem ausgetrockneten Brunnen. Christophe Cambadélis hatte sich mit dem frommen Wunsch verabschiedet, die „Linke von morgen“ möge auf dem für Februar vorgesehenen Parteitag einen Weg finden jenseits der „passiven Hinnahme der Globalisierung und des kurzatmigen Widerstands“ dagegen. Ob das gelingt, bleibt eine offene Frage und wird selbst in linksliberalen Medien bezweifelt. Viele befürchten Zustände wie in Italien, wo Linksparteien nur noch ein marginales Dasein fristen.

Benoît Hamon, letzter PS-Präsidentenbewerber, sucht sein Glück mit der Bewegung Mouvement du 1er Juillet und Anhänger unter Kommunisten, Grünen wie den Linkssozialisten von Jean-Luc Mélenchon. Seine Selbstaussage, wonach außer 30.000 Mitgliedern bereits 500 lokale Gruppen existieren, sind nicht überprüfbar. Wie schon im Wahlkampf mit der Forderung nach dem garantierten Grundeinkommen bringt Hamon zumindest neue Ideen für eine sozialistische und ökologische Perspektive in die Debatte. Für ihn steht fest: „Die Epoche der europäischen Sozialdemokratie ist zu Ende.“ 28 sozialistische Politiker, mehrheitlich Abgeordnete und Bürgermeister, bilden eine kollektive Parteiführung mit Senator Rachid Temal als Primus inter Pares. Dieses Gremium, das für die Öffentlichkeit unsichtbar ist, bereitet den Parteitag vor und nimmt Wortmeldungen wie jüngst von François Hollande zur Kenntnis, der vorschlug, eine neue Generation müsse „die Verantwortung in der Partei übernehmen“, etwa sein einstiger Agrarminister Stéphane Le Foll und Olivier Faure, Gründer der „Neuen Linken“ in der Nationalversammlung.

Als Aspiranten für ein Parteiamt bringen sich auch Ex-Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem und Ex-Innenminister Matthias Fekl ins Gespräch. Unter denen, die es mit der Erneuerung der Partei ernst meinen, haben diese beiden Zöglinge Hollandes allerdings so gut wie keine Anhänger. Nicht weniger als drei Frauen – Ex-Staatssekretärin Carole Delga, dazu Johanna Rolland und Nathalie Appéré, beide Bürgermeisterinnen – kämpfen gegen den Nachteil, dass sie überregional kaum bekannt sind sowie gegen den Makel, im Präsidentschaftswahlkampf Hamon unterstützt zu haben, der jetzt eigene Wege geht. Ein Ausweg aus der Krise, in der sich die französischen Sozialisten befinden, ist nicht in Sicht.

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