Geld schmiert die Sozialpartnerschaft

Frankreich Weitere Streiks gegen Sarkozys Reformwut - allerdings behindern Zersplitterung und schwarze Kassen die volle Entfaltung gewerkschaftlicher Macht

In Frankreich ist man stolz auf die Höhe der Kulturausgaben und spricht deshalb gern von der "kulturellen Ausnahme". Das ist im wesentlichen Rhetorik. Eine wirkliche Ausnahme bildet jedoch das französische Gewerkschaftswesen. Verglichen mit den Verhältnissen in anderen EU-Ländern sind die Gewerkschaften in Frankreich traditionell arm, zersplittert und schwach an Mitgliedern, aber ausgesprochen militant und streikwillig. Im privaten Sektor sind rund fünf, im öffentlichen acht Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert.

Beim Streik am 18. Oktober gegen die Rentenreformvorhaben bei der Bahn, der Metro, der Gas- und Elektrizitätsversorgung hatte es allein die staatliche Eisenbahngesellschaft SNCF mit acht Gewerkschaften zu tun. Da die Regierung das Verlangen nach neuen Verhandlungen bisher nicht erfüllt hat, wurde in dieser Woche erneut und unbefristet gestreikt. Nach anfänglichem Zögern nimmt nun auch der Gewerkschaftsverband (CFDT) teil, allein die kleine Gewerkschaft der Lokführer (FGAAC) - sie vertritt nur drei Prozent der Mitarbeiter der SNCF, aber ein Drittel der Lokführer - legt sich quer und wird deshalb von den sechs streikwilligen Gewerkschaften des "Verrats" und der "Kollaboration" mit dem Arbeitgeber bezichtigt.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der französischen Gewerkschaftslandschaft, dass man hier ein sehr viel weniger dicht geregeltes Arbeits- und Streikrecht vorfindet als in Deutschland. Während hier Gesetz und Arbeitsgericht klar regeln, wer, wann wofür streiken darf, herrscht in Frankreich weitgehend Aktionsfreiheit: Es wird nicht unterschieden zwischen Lohnkämpfen und politischen Streiks. Überhaupt erst seit 1968 gibt es Verträge zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die Präsenz und Befugnisse von Gewerkschaften in Betrieben sowie andere institutionelle Formen der so genannten Sozialpartnerschaft regeln. Auch die Arbeitgeber haben keine Mechanismen des kollektiven Aus- und Verhandelns von Tarifverträgen, sondern schließen solche mit einzelnen Gewerkschaften ab. Viele Betriebe blieben so von Streiks verschont. Der Mangel an Mitteln zur friedlichen Konfliktregulierung fördert die Streikbereitschaft im öffentlichen Dienst und die Militanz der Aktionen.

Ein jüngster Skandal könnte nicht nur den Arbeitgeberverbänden, sondern auch den Gewerkschaften den Rest ihrer Legitimation kosten. Gerade erst wurde bekannt, dass sich der Präsident des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie (UIMM) - Denis Gautier-Sauvagnac - innerhalb von sieben Jahren von einem Konto fast sieben Millionen Euro, von einem anderen 15 Millionen Euro in bar auszahlen ließ. Zwar sind Barauszahlungen über 150.000 Euro schon seit vier Jahren meldepflichtig, aber beim großbürgerlichen Präsidenten eines Arbeitgeberverbandes nahm es der Chef einer Bankfiliale nicht so genau. Es spricht für die Beamten, die im Finanzministerium für Geldwäscherei zuständig sind, dass ihre umfangreichen Ermittlungen politisch weder behindert noch unterdrückt wurden. Als der Skandal vor einer Woche aufflog, rechtfertigte sich Gautier-Sauvagnac mit dem Satz, das Bargeld hätte dazu gedient, "soziale Beziehungen zu verflüssigen".

Tatsächlich wurde jetzt nur ein mafiotisch anmutendes Schweigen durchbrochen. Kenner wissen, dass französische Arbeitgeber seit mindestens 100 Jahren zuweilen Gewerkschaften "unterstützen". Dem staatlichen Gas- und Elektrizitätsunternehmen werden seit 1946 gute Beziehungen zur ehemals kommunistischen Gewerkschaft CGT nachgesagt. Diese soll jährlich 500 Millionen Euro erhalten haben zum Betrieb von Kantinen, Feriendörfern und anderen Sozialeinrichtungen. Andererseits wurden in der Metallindustrie jahrelang drei Miniatur-Gewerkschaften zusammen gespannt, um bei den Betriebsratswahlen den Einfluss der CGT zu mindern.

Überraschend ist die Dimension der 1972 gegründeten Arbeitgeber-Kriegskasse für den Kauf von Gewerkschaften und für die Hilfe an bestreikte Unternehmen. In dieser Kasse sollen sich momentan 600 Millionen Euro befinden. Seit die Blase geplatzt ist, sind auch die Gewerkschaften im Gerede und stehen im Verdacht, "gekauft" zu sein. Die Finanzierungsquote aus Mitgliederbeiträgen liegt bei allen Gewerkschaften zwischen 20 und gut 50 Prozent. Für ihre Bildungsarbeit erhalten sie zwar auch staatliche Subventionen, aber die reichen nicht, um die Löcher zu stopfen. Das Gutachten eines Regierungsbeamten zur Finanzierung und Rechnungslegung der Gewerkschaftsverbände konstatierte 2006 vornehm zurückhaltend "eine große Undurchsichtigkeit".

Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen haben also nicht nur der Arbeitgeberverband, sondern auch die Gewerkschaften zu erwarten. Und vielleicht müssen sich außer diesen bald auch Politiker und politische Parteien warm anziehen. Sicher ist bislang nur, dass die Bargeldbezüge Gautier-Sauvagnacs als Schwarzgeld gelten und deshalb zusätzlich zu einer Steuerbuße nachversteuert werden müssen. Und das könnte auch Gautier-Sauvagnacs Portokasse sprengen, aus der er eben schlappe 1,2 Millionen Euro für eine 190 Quadratmeter große Wohnung entnommen hat.

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