Hollandes linker Cocktail

Porträt Jean-Marc Ayrault soll als neuer Außenminister Frankreichs helfen, die Chancen für eine Wiederwahl Hollandes zu wahren
Ausgabe 07/2016
Ayrault versteht sich als Vertrauter und rechte Hand des Präsidenten
Ayrault versteht sich als Vertrauter und rechte Hand des Präsidenten

Foto: Jacques Demarthon/AFP/Getty Images

Man könnte die Berufung von Jean-Marc Ayrault zum Nachfolger von Laurent Fabius im französischen Außenministerium als Fanal zur „Rückkehr zu den Wurzeln“ der französischen Sozialisten deuten. Nur trägt das ganze Regierungsrevirement nur allzu offensichtlich die Züge eines banalen Wahlkampfmanövers. Der Arbeitersohn und Gymnasiallehrer Ayrault aus der französischen Provinz folgt dem aus der Großbourgeoisie stammenden Fabius, der wie fast der gesamte französische Staatsadel an Elitehochschulen ausgebildet wurde. Aber Präsident François Hollande ersetzte den Großbürger Fabius nicht aus linker Nostalgie durch den einstigen Pädagogen aus dem katholischen Arbeitermilieu, sondern allein mit dem Blick auf die Verbesserung seiner Chancen bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017.

Wenn Hollande seine Restchancen wahren will, muss er die Parteilinke und die Grünen für sich gewinnen. Die konservative Zeitung Le Figaro nannte Ayrault schlicht „einen Trumpf für 2017“, denn auf den stets loyalen Parteisoldaten Ayrault kann Hollande zählen. Ob er auch die grünen Wähler der Partei Europe Écologie-Les Verts (EELV) für sich gewinnt, weil er jetzt gleich drei Grüne zu Ministern und Staatssekretären machte und damit die Ministerzahl auf 38 erhöhte, bleibt jedoch ungewiss; ebenso unklar ist, ob er die Grünen damit zum Verzicht auf einen eigenen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen bewegen kann. Vorerst hat die grüne Partei gegen den Eintritt von drei ihrer Mitglieder in die Regierung von Manuel Valls protestiert: „Die Regierungspolitik ist unvereinbar mit den Orientierungen der Grünen und mit dem Ziel, eine befriedete Gesellschaft zu schaffen.“

Mit seinem abenteuerlichen Plan, die Keule des Notstandsartikels in die Verfassung aufzunehmen und verurteilten Terroristen die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, ist Hollande zwar das Kunststück gelungen, die eigene Partei und die konservativen Republikaner um Nicolas Sarkozy zu spalten, aber eine Drei-Fünftel-Mehrheit für die Verfassungsänderung ist gerade deshalb außer Reichweite geraten.

Ayrault ist für die Parti Socialiste (PS), was etwa ein Hans Matthöfer (1925–2009) für die deutschen Sozialdemokraten war: ein aufrechter und intelligenter demokratischer Sozialist ohne Machtallüren und Schickeria-Gehabe, dazu ein entschiedener Gegner der weichgespülten Sozialliberalen. Auch der Klatsch- und Boulevardpresse liefert der zurückhaltende Ayrault kein Futter. Mit anderen Worten – er ist das Gegenteil eines konformistischen Salon-Politikers, wie sie unter französischen Sozialisten, deutschen Sozialdemokraten und deutschen Grünen stark vertreten sind. In Frankreich heißen sie „Bobos“ oder „Kaviar-Linke“, hierzulande sind es rosarote Großkoalitionäre und schwarz-grün lackierte „Realpolitiker“.

„Jean-Marc fehlt mir“

Als der 1950 geborene Ayrault nach dem Studium und den Jahren als Gymnasiallehrer für Deutsch (1973 bis 1986) in die Politik einstieg, war er von 1989 bis 2012 Bürgermeister in Nantes und parallel dazu von 1997 bis 2008 Fraktionschef der Sozialisten in der Nationalversammlung. Als solcher arbeitete er vertrauensvoll mit dem damaligen Parteichef Hollande zusammen. Der ernannte ihn im Mai 2012, nachdem er die Präsidentenwahl gewonnen hatte, zum Premierminister. Anders als es Brauch ist in Frankreich, verzichtete Ayrault darauf, zur Jobabsicherung sein Mandat als Stadtoberhaupt von Nantes zu behalten. Ayraults erste Amtshandlungen als Regierungschef sprachen denn auch für sein politisches Format: Er holte in sein Kabinett so viele Frauen wie Männer: Und damit alle gleich erfuhren, woran sie mit ihm waren, kürzte er seine eigenen und die Ministerbezüge um 30 Prozent. Der konservative Hyperpräsident Sarkozy lebte da in anderen Welten – gleich nach dem Amtsantritt im Mai 2007 erhöhte er seine Bezüge um 172 Prozent.

Ebenso schnell wie Hollande Ayrault seinerzeit ernannt hatte, ließ er ihn als Bauernopfer nach den verlorenen Kommunalwahlen vom Februar 2014 wieder fallen. Aber anders als die meisten entlassenen Minister beklagte sich Ayrault nicht öffentlich darüber, sondern schwieg eisern auch dann, als Hollande den Nachfolger Manuel Valls als „Kämpfer“ lobte, als ob Ayrault zuvor nicht viel von den Schlägen eingesteckt hätte, die eigentlich Hollande galten. Immerhin ließ der Staatschef einmal öffentlich den Satz fallen, „Jean-Marc fehlt mir“. Das Pikante beim Wechsel am Pariser Quai d’Orsay ist die Tatsache, dass Ayrault zu Manuel Valls, seinem Nachfolger als Premier, ein eher gespanntes Verhältnis hat und sich sicher nicht als dessen Minister versteht, sondern als Vertrauter und rechte Hand des Präsidenten. Ayrault vertrat in der Vergangenheit immer wieder dezidiert linke Positionen in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen, insofern bildet er als zweiter Mann hinter Valls ein Gegengewicht zum sozialliberalen Flügel der Regierung. Zu diesem werden außer dem Regierungschef Finanzminister Michel Sapin und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron gerechnet. Aber zu einer Linkswende wird die Regierungsumbildung deshalb noch lange nicht führen.

Die momentan vor allem in deutschen Medien gestrickten Spekulationen über eine Annäherung von Paris und Berlin gründen einzig auf der hauptsächlich von der boulevardisierten Presse verkündeten Weisheit, dass Ayrault als Deutschlehrer gut Deutsch spreche und verstehe. 1969/70 hat er ein Jahr in Würzburg studiert. Das aber wird mit Sicherheit nicht reichen, um die tiefen Gräben in der Flüchtlings-, Wirtschafts-, Finanz- und Europapolitik zwischen der Regierung Merkel und Staatspräsident Hollande zu überbrücken.

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