Junge Wölfe, alte Hasen

Frankreich Vor der Stichwahl wird bereits über eine künftige Regierung Macron gerätselt
Ausgabe 18/2017
An mancher Plakatwand jedenfalls hat sich Macron nicht durchgesetzt
An mancher Plakatwand jedenfalls hat sich Macron nicht durchgesetzt

Foto: Jeff Pachoud/AFP/Getty Images

Mehr noch als die französischen Medien hat der Aufstieg des Front National (FN) große Teile der deutschen Presse förmlich elektrisiert. Als ob der Teufel persönlich vor der Tür stünde, wird ein Wahlsieg von Marine Le Pen in der zweiten Runde am 7. Mai als durchaus möglich dargestellt. Nüchtern betrachtet blieb der FN jedoch im ersten Wahlgang wie bei vorherigen Voten klar unter 25 Prozent. Was auch am herausragenden Resultat der linken Wahlallianz France insoumise (Aufsässiges Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon lag, die 19,6 Prozent der Wähler – vorwiegend in den Städten – für sich mobilisiert hat. Wenn nun in der Stichwahl der liberale Ex-Banker Emmanuel Macron von der Lifestyle-Bewegung En marche! und Marine Le Pen von den Rechtsnationalisten antreten, wird zuweilen der Eindruck erweckt, es stehe ein letztes Gefecht für die Demokratie, die EU und den Rechtsstaat an.

In Frankreich wird buchstäblich Tag und Nacht für eine Einheitsfront gegen den FN getrommelt. Der Parti Socialiste (PS) und die konservativen Les Républicains, die klaren Verlierer des ersten Wahlgangs, überbieten sich gegenseitig mit Gratislektionen in Antifaschismus und Europa-Bekenntnis. Dagegen schreibt Laurent Joffrin, Chefredakteur des Blattes Libération: „Wir werden uns nicht lächerlich machen und Empfehlungen aussprechen.“

Auf dem Sprung

Genau dazu wurde Mélenchon genötigt, weil er sich am Abend nach Runde eins der Präsidentenwahl weigerte, seinen Anhängern eine Empfehlung für das Stechen zu geben. Seine Begründung, er habe dafür „kein Mandat“ und werde stattdessen die gut 430.000 Unterstützer seines Parti de Gauche bitten, eine Abstimmung im Netz abzuhalten. In den Pariser Zeitungen fand er damit nur wenig Gnade, sie nannten die Befragung der Basis ein Alibi und spekulierten darüber, ob Mélenchon vielleicht insgeheim Marine Le Pen stärken wolle. Dabei hat er stets die Wahl des FN einen „schrecklichen Irrtum“ genannt. Inzwischen liegt das Resultat der Befragung vor: Eine überragende Mehrheit im Parti de Gauche will am Sonntag durch Stimmenthaltung Nein zu Le Pen sagen, ohne Macron zu wählen.

So hysterisch die Kampagne gegen Mélenchon anmutet, so grotesk wird der Sieg Macrons mit ganzen 23,8 Prozent in Runde eins als „Kulturrevolution“ und „neue politische Ära“ überzeichnet. Die Rede ist vom „jüngsten Hausherrn im Elysée-Palast seit Napoleon“. Er werde als Banker den Euro-Turbo zünden. Auch kristallisiert sich ein mögliches Kabinett bereits heraus, geht man davon aus, dass mancher aus dem Beraterstab zu Ministerehren kommt. Da sind die „jungen Wölfe“, einstige Mitarbeiter von Dominique Strauss-Kahn, bis 2011 Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), und „alte Hasen“ wie der 74-jährige sozialistische Senator François Patriat. Einer der Jungen meinte selbstbewusst: „Nachdem wir die Sozialistische Partei zerhackt haben, werden wir die Konservativen zerschlagen.“ Das erinnert an Valéry Giscard d’Estaing, der nach seinem Triumph beim Präsidentenvotum 1974 verkündet hatte, die Gaullisten-Partei „zerschlagen“ zu wollen. Das scheiterte schon im Ansatz, und 1981 wurde der Sozialist François Mitterrand zum Staatschef gewählt.

Bevor sich Macron ans Parteienzerschlagen macht, müsste er bei der anstehenden Parlamentswahl am 11. Juni eine Mehrheit und einen Premierminister finden. Was die Aussichten für ein Übergewicht in der Nationalversammlung angeht, scheinen die Chancen für einen Präsidenten Macron nicht rosig zu sein. So will er in allen 511 Wahlkreisen einen Bewerber für seinen Wahlverein En marche! aufstellen. Die Hälfte soll aus erfahrenen Politikern bestehen, die andere aus der Zivilgesellschaft kommen. Macrons einzige Bedingung: Jeder Kandidat muss seine bisherige Parteizugehörigkeit aufgeben. Das dürfte den Konservativen nicht schwerfallen, hat doch deren Partei seit Ausrufung der V. Republik 1958 fünfmal das Firmenschild gewechselt. Einige ihrer Granden haben überdies bereits durchblicken lassen, eventuell den Macron-Zug zu besteigen, wollen aber ihre Partei erst nach den Parlamentswahlen verlassen – nicht vorher und nicht voreilig.

Wie Macron seine Kandidaten aus der Zivilgesellschaft rekrutieren will, steht in den Sternen. Schließlich liegen die Risiken auf der Hand. Debütanten sind in Parlamenten erstens unberechenbar, zweitens sind ihre Aussichten, gegen lokal verankerte Berufspolitiker im jeweiligen Wahlkreis unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts einen Sitz zu gewinnen, eher zu bezweifeln. Macron hätte nach einem Sieg über Marine Le Pen gerade einen guten Monat Zeit, sich all diesen Unwägbarkeiten zu stellen.

Fünf Flügel der Sozialisten

Zwar wird im Macron-Lager auf die Frage nach dem künftigen Ministerpräsidenten mit Schweigen reagiert, doch ist durchgesickert, dass der Kandidat bei führenden Konservativen vorstellig wurde. Beste Aussichten soll Ex-Premier Alain Juppé haben, aber auch François Bayrou vom liberalen Mouvement Démocratique (MoDem) und Jean-Louis Borloo von der Union des Démocrates et Indépendants (UDI) sind im Gespräch. Beide hätten freilich Mühe, als Chefs von Splitterparteien Rückhalt in der Nationalversammlung zu finden. Für wen sich Macron auch entscheidet – er wird Unzufriedene und Enttäuschte hinterlassen, aus denen Feinde werden können.

Ganz schwierig ist die Lage bei den Sozialisten, die derzeit als gerupfte Partei nur noch der Grundkonsens vereint, am 7. Mai Macron zu wählen, um Le Pen zu verhindern. Die Partei ist in mindestens fünf Flügel gespalten. Manuel Valls und die Seinen stehen für eine Quasi-Koalition mit Macrons En marche!. Benoît Hamon, der Präsidentschaftskandidat und Wahlverlierer, möchte ein Oppositionsbündnis mit den Grünen. Die Parteilinke wiederum sucht Gespräche mit der Linkspartei von Jean-Luc Mélenchon. Die Hollande-Anhänger möchten sich zunächst um den Wiederaufbau der Partei kümmern und „die sozialistische Identität neu definieren“, wogegen sich die Linken unter den „Hollandisten“ wie die Ex-Minister Najat Vallaud-Belkacem und Matthias Fekl wie die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sträuben, ohne eine Alternative vorzulegen. Fazit: Frankreich ist aufgewühlt und Marine Le Pen noch nicht geschlagen.

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