Konzeptualisten in Frankfurt

Ausstellung Die Kunsthalle Schirn widmete 1992 in Frankfurt der revolutionären russischen Avantgarde unter dem Titel Die große Utopie eine Retrospektive. 2003 ...

Die Kunsthalle Schirn widmete 1992 in Frankfurt der revolutionären russischen Avantgarde unter dem Titel Die große Utopie eine Retrospektive. 2003 folgte eine Dokumentation der offiziellen Staatskunst (Traumfabrik Kommunismus), und jetzt ist in der Schirn die Ausstellung über den Moskauer Konzeptionalismus 1960-1990 zu sehen. Sie versammelt rund 130 Werke von 30 Künstlern (darunter eine Frau: Elena Elagin). Dieser Künstler Werke bilden das Fundament der nonkonformistischen sowjetischen Kunst. Konzeptkunst wurde vom sowjetischen Staat geduldet, hatte aber keinen Zugang zum Kunstbetrieb und zu den staatlich kontrollierten Medien und blieb somit außerhalb von Künstlerateliers weitgehend unbekannt.

In der Sowjetunion wurde Kunst nach dem Kriterium bewertet, wie genau sie politisch-ideologischen Vorgaben folgte oder anders gesagt: wie sowjetisch-konform sie war. Die Moskauer Konzeptkunst definiert sich durch die Gleichsetzung und Gleichberechtigung von Bild- und Textelementen und unterlief das rustikale Bewertungsschema mit List, Ironie und offener Kritik. Die Künstler persiflierten die sprachlichen und ästhetischen Mittel der politischen Propaganda oder übersetzten sie in die Alltagssprache und gaben sie so der Lächerlichkeit preis. Insofern führt der Haupttitel, den der Gastkurator Boris Groys der Ausstellung gab - Die totale Aufklärung - in die Irre. Die Aufklärung, der sich der Moskauer Konzeptualismus verschrieb, war nicht total und schon gar nicht totalitär, sondern subversiv.

Gleich im Eingangsbereich der Ausstellung hängt ein Bild von Vitaly Komar und Alexander Melamid, das den subversiven Charakter der Konzeptkunst verdeutlicht. Das Bild zeigt ein rotes Transparent. Der Propagandaslogan mit obligatem Ausrufezeichen freilich wird ersetzt durch leere, weiße Quadrate, und der Titel des Bildes lautet: Ideale Parole (1984). Nach dem gleichen Muster verfährt Alexander Kosolapov, der ein Reklameposter für Coca Cola mit einem Porträts Lenins und dem Slogan "It´s the real thing" versieht. Leonid Sokov präsentierte 1976 sein Projekt zur Konstruktion einer Brille für jeden Sowjetbürger. Statt Gläsern besitzt das klobige Objekt aus bemaltem Holz zwei rote, fünfzackige Sowjetsterne. Komar und Melamid persiflierten Warhols makellose Suppendose schon 1973 mit einer völlig verrotteten, vom Rost zerfressenen Dose und dem ironischen Titel Post-Art No. 1 (Warhol).

Ilya Kabakov kopierte 1981 ein Bild des Staatskünstlers Ilya Alechin, der 1938 - auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors - die Szene einer Parteisäuberung im Dserschinskijsaal am Lubjankaplatz gemalt hatte. Unter den Augen Lenins, Stalins und des Geheimpolizeichchefs Dserschinskij, der später selbst dem Terror zu Opfer fiel, empfängt eine blonde Frau aus der Hand eines servilen Apparatschiks mit den Gesichtszügen Lenins und unter dem Beifall des Auditoriums das Parteibuch mit dem Stempel "Geprüft". Der "historische Moment" der Parteisäuberung, der für viele zum Opfergang wurde, wird durch die süßliche Farbgebung ironisiert.

Ebenso überzeugend wirkt eine Installation von Andrei Filipov mit dem Titel Totes Wasser (1988). An eine weiß bemalte Staffelei wurden zwei schwarze Messer einer Guillotine und ein blutrote Fahne montiert, womit der Künstler auf die prekäre Lage der Künstler anspielt.

Zu den Konzeptkünstlern gehörte auch eine informelle Gruppe, die unter der Losung "Kollektive Aktion" an abgelegenen Orten inner- und außerhalb Moskaus Aktionen und Performances durchführte und fotografisch dokumentierte. Zur Kerngruppe zählten außer Kabakov und den anderen genannten Künstlern Leonid Sokov, Yuri Albert, Andrei Monastyrski, Boris Mikhailov und Dimitri Prigov. Sie bildeten nach 1991 die Keimzelle für eine neue Kunstöffentlichkeit in Russland. Insgesamt bietet die Ausstellung einen guten Überblick über eine bislang nur bruchstückhaft bekannte Kunst aus dem sowjetischen Untergrund. Eine echte Entdeckung.

Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptualismus 1960-1990, Kunsthalle Schirn, Frankfurt, noch bis 14. September, Katalog 29,80 EUR

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