Krähenmoral von Hehlern

Schweiz/Deutschland Das Steuer-Abkommen gleicht dem Ablasshandel in der katholischen Kirche und widerspricht dem Rechtsgrundsatz, dass Offizialdelikte verfolgt werden müssen
NRW-Finanzminister Walter-Borjans hält nichts von modernem Ablasshandel
NRW-Finanzminister Walter-Borjans hält nichts von modernem Ablasshandel

Foto: Caroline Seidel/dpa

Die Kernsätze für das schweizerische Selbstverständnis hat der Schwabe Friedrich Schiller erfunden. Die Pointe: Schwabe ist im Schweizerdeutschen auch die abschätzige Bezeichnung für Deutsche, in etwa so wie Preiße in Bayern für Nicht-Bayern. Was Schillers kernige Sätze betrifft, so stehen sie in seinem Drama Wilhelm Tell: „Der brave Mann denkt an sich zuletzt.“ Oder: „Beim Schiffbruch hilft der Einzelne sich leichter. Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst. Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Viele Schweizer nehmen das bis heute gern ernst und vor allem wörtlich.

Ein Satz Schillers, der auch im Wilhelm Tell steht und der für die Demokratie ein solides Fundament bildet, wird weniger oft zitiert: „Ein jeder wird besteuert nach Vermögen.“ Genau dagegen erfand die Schweizer Politik im Bündnis mit den Banken das Bankgeheimnis, das Codewort für das kriminelle Geschäftsmodell Steuerbetrug. Den okkulten Kern des Bankgeheimnisses – die scholastische Unterscheidung zwischen dem strafbaren Steuerbetrug und der nur mit relativ geringen Bußgeldern bedrohten Steuerhinterziehung – hüten Politik und Rechtsprechung wie Religionswächter ihre Reliquien. Der aus der Steuer-oase Zug stammende Schriftsteller Thomas Hürlimann verteidigte jüngst Bankgeheimnis und Steuerbetrug mit dem Hinweis, diese gehörten zum Land wie die Alpenluft und seien Leuten aus dem Flachland so fremd wie den Heiden die göttliche Offenbarung.

Seit Jahren steht das bananenrepublikanische Geschäftsmodell „Steuern sparen“ unter Dauerbeschuss und zwingt die Schweizer Politik zum Handeln. Sie stellte von der Schwarz-geld- auf die Weißgeld-Strategie um und handelte mit einzelnen EU-Staaten Abgeltungssteuer-Abkommen aus. Dasjenige mit Deutschland ist zwar unterzeichnet, muss aber noch ratifiziert werden.

Diplomatisches Staatstheater

Das Abkommen gleicht dem Ablasshandel in der katholischen Kirche: Gegen eine Beteiligung an den Erträgen der in der Schweiz geparkten Vermögen deutscher Staatsbürger verzichtet der deutsche Staat auf juristische Schritte gegen die Steuerbetrüger und will deren Namen nicht erfahren. Sollte das Abkommen so in Kraft treten, wie es paraphiert wurde, könnte der deutsche Fiskus – nach der Schweizer Lesart des Vertrages – nicht einmal dann gegen Steuerbetrüger vorgehen, wenn er vom Betrug erführe. Das widerspricht zwar dem Rechtsgrundsatz, dass Offizialdelikte verfolgt werden müssen, wenn die Behörden über sachdienliche Informationen ver-fügen. Aber solange Betrug am Gemeinwesen noch als „Sünde“ verharmlost wird, wollen Bern und Berlin gern alle Fünfe gerade sein lassen. In diesem Geiste ist der Abgeltungsdeal ausgemauschelt worden.

Doch dabei wollen ein paar deutsche Sozialdemokraten nicht mitspielen, die ihren politischen Verstand und ihr Rechtsbewusstsein nicht an der Garderobe zum diplomatischen Staatstheater abgegeben haben. So kaufte nun der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans eine CD mit Daten mutmaßlicher deutscher Steuerbetrüger. Das ist erlaubt, denn das paraphierte Abkommen ist eben noch nicht ratifiziert. Und das ist gut. Walter-Borjans verzichtet damit auf Abgeltungsgelder von Betrügern und ihren Helfern in der Zürcher Bahnhofsstraße und den Berner Ministerien.

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