Krawall als Markenzeichen

Regionwahl Mit seinen populistischen Tiraden macht Georges Freche Frankreichs Sozialisten bei den Regionalwahlen an diesem Wochenende heftig zu schaffen

Fast jede Prognose sieht die sozialistische Opposition als Gewinner der französischen Regionalratswahlen am 14. und 21. März. Immerhin regieren die Sozialisten mit grünen oder linken Koalitionären bereits in 20 von 22 Regionen. Nichts wäre jedoch verwegener, als diese günstige Ausgangslage auf die Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen hochzurechnen. Bei Abstimmungen in den Regionen liegt die Wahlbeteiligung in der Regel sehr niedrig und wird außerdem von mancherlei lokalen Besonderheiten bestimmt, die auf nationaler Ebene irrelevant sind. Dennoch wäre es schon ein Paukenschlag, würden Sozialisten mit ­ihren Alliierten bei diesem Votum alle 22 Regionen gewinnen und Präsident Nicolas Sarkozy wie seiner Regierungspartei UMP eine schmerzhafte Niederlage bescheren.

Ob Martine Aubry, die Vorsitzende des Parti Socialiste (PS), davon so profitiert, dass sie 2012 als Bewerberin um die Präsidentschaft antreten kann, bleibt offen. In der gerade von Unwettern heimgesuchten Atlantik-Region Pitou-Charentes tritt ihre telegene Rivalin ­Ségolène Royal an und empfiehlt sich augenblicklich in Feuerwehrmontur und Gummistiefeln als tatkräftige Deichgräfin wie 2002 Gerhard Schröder beim Hochwasser an der Elbe.

Beistand vom rechten Rand

Ein bizarrer Sozialist allerdings könnte der Parteiführung und Martine Aubry einen Strich durch alle Rechnungen machen – Georges Freche. Der 1938 geborene, hoch gebildete Professor für Rechtsgeschichte in Montpellier ist Enfant terrible und politischer Haudegen obendrein. Er war 24 Jahre lang (1973 bis 1997) Abgeordneter in der Nationalversammlung, 27 Jahre (1977 bis 2004) parallel dazu Bürgermeister von Montpellier und seit 2004 Präsident der Region Languedoc-Roussillon in Südfrankreich. Bei Pressekonferenzen liebt er es, vor den Mikrofonen kleine Büsten von Charles de Gaulle, Marx, Lenin, Mao, Jaurès, Léon Blum und Mendès-France aufzureihen. Der selbstbewusste Macho mag den verbalen Krawall als sein Markenzeichen.

2007 wurde Frêche aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen, nachdem er öffentlich erklärt hatte, neun Schwarze unter elf französischen Fußballnationalspielern seien entschieden zu viele. Jean-Marie Le Pen vom Front National (FN) äußerte sich ähnlich. Zu den Regionalwahlen tritt der Verfemte nun mit der Liste Frêche an und gewann dafür nicht nur die Unterstützung von 90 Prozent der Sozialisten im Languedoc-Roussillon, sondern auch den Beistand der am rechten Rand marodierenden Splitterpartei Jagd, Fischfang, Natur, Tradition. Die sozialistische Parteizentrale in Paris sah sich gezwungen, für Languedoc-Roussillon mit Spitzenkandidatin Hélène Mandroux eine konkurrierende Liste zu nominieren, was freilich die Position von Frêche eher stärkte als schwächte. Zu verdanken war das auch der zögerlichen Haltung der Grünen von Europe Écologie (Daniel Cohn-Bendit, José Bové) – sie zierten sich, mit den Sozialisten und einer gemeinsamen rot-grünen Liste gegen Frêche anzutreten.

Viele Sozialisten im Languedoc-Roussillon halten dem sich zum linken Parteiflügel rechnenden Frêche die Treue, obwohl der sich Ende 2009 mit einem rüden Angriff auf Laurent Fabius, einer der Galionsfiguren des linken PS-Milieus, schadlos hielt. Er wisse nicht, so Frêche, ob man als Wähler seine Stimme Fabius geben könne. Der habe ein „nicht gerade katholisches Gesicht“. Man muss dazu wissen, Fabius stammt aus einer jüdischen Familie und nennt sich einen überzeugten Laizisten. Monate zuvor pries Frêche Präsident Sarkozy und Außenminister Kouchner ausgerechnet in Israel als Juden an, obwohl beide weder aus eigener noch aus Sicht der religiösen Orthodoxie als Juden gelten.

Damit noch nicht genug: „Harkis“ – Soldaten nordafrikanischer Herkunft, die für Frankreich im Zweiten Weltkrieg, in Indochina und Algerien kämpften, aber 1962 von der V. Republik fallen gelassen wurden – sind für Frêche „Untermenschen ohne Ehrgefühl“. Für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. gilt das nicht, den stuft der Hasardeur lediglich als „Blödmann“ ein.

Lenin in Montpellier

Parteichefin Martine Aubry steckt in einer Zwickmühle: Schweigt sie zu den verbalen Ausfällen des Populisten, wird ihr das in den Medien als wahltaktischer Opportunismus vorgehalten. Greift sie Frche wegen seiner antisemitischen und rassistischen Ausfälle an, stärkt sie dessen Position und macht ihn zu einer Art Märtyrer bei seinem Anhang. Zwar erklärte Aubry mehrfach, sie wolle lieber eine Region bei den Wahlen verlieren, als „die Ehre der Linken“ zu verraten; nur hat ihr das bislang wenig geholfen.

Die Beliebtheit Frches im Languedoc-Roussillon ist nach wie vor hoch, weil er eine große Hausmacht im Parteiapparat besitzt und sich als Baron und Beschützer des Südens gegen das mächtige Paris zu profilieren weiß. Bislang scheiterte er nur mit zwei Projekten. Bei den Römern hieß die Region Languedoc-Roussillon Septimanien, dies wollte Frêche 2004 reaktivieren, blieb aber erfolglos. Auch für die Errichtung einer Lenin-Statue in Montpellier fand der Ex-Maoist keine Mehrheit.

Bei den Sozialisten mehren sich Stimmen, die sagen, man habe Frêche zu lange nach Belieben schalten und walten lassen, als dass man ihn jetzt stoppen könne. Wie auch immer die Regionalwahlen ausgehen, der Populist ist jedenfalls nicht nur für die Pariser Parteiführung, sondern die ganze Partei zur Belastung geworden.

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