Der Widerstand von Eisenbahnern, Arbeitern und Angestellten in den staatlichen Gas- und Elektrizitätswerken sowie der Bühnenarbeiter in der Oper und der Comédie Française richtet sich gegen eine als überaus ungerecht empfundene "Reform". Frankreich erlebt derzeit den sechsten Anlauf einer Regierung seit 1991, die Sonderregelungen bei den Altersbezügen für rund 478.000 Beschäftige abzuschaffen: Die Eisenbahner - das ist die größte Gruppe unter ihnen - können zwischen 50 und 55 in Rente gehen und erreichen die Höchstrente bisher nach 37,5 Beitragsjahren. Nun soll die Zahl der Beitragsjahre auf 40 heraufgesetzt werden, was auf eine Rentenkürzung um zehn bis zwanzig Prozent hinausliefe, weil niemand bereits mit 15 zu arbeiten beginnt.
Die Rede von Eisenbahner-"Privilegien" ist demagogisch, denn Eisenbahner erhalten nur 61 Prozent des Gehalts der letzten zehn Monate im Gegensatz zum privaten Sektor in Frankreich, aus dem Pensionäre hervorgehen, die im Schnitt 78 Prozent des Durchschnittsverdienst der letzten 25 Jahre als Rente beziehen. Obendrein gibt es in Staatsunternehmen noch jede Menge harter und ausgesprochen schlecht bezahlter Schichtarbeit.
Der vorletzte "Reform"-Versuch dieser Art liegt zwölf Jahre zurück und kostete einen gewissen Alain Juppé (damals Gaullist) das Amt des Premierministers. Er trat arrogant auf und hetzte unentwegt gegen die "Privilegierten" und die "Besitzenden". Er half damit einer großartigen Solidaritätsbewegung auf den Weg, die Frankreichs Intellektuelle seither spaltet. Pierre Bourdieu stellte sich damals mit einer berühmt gewordenen Rede auf die Seite der Streikenden, während alle Medienintellektuellen und viele Sozialisten in den Chor der Konservativen und Neoliberalen einstimmten.
In der vergangenen Woche beteiligten sich 73,5 Prozent der Eisenbahner am Streik, deutlich mehr als 1995 (67 Prozent), es verkehrten landesweit nur 46 von 700 Hochgeschwindigkeitszügen und zum Pariser Flughafen Charles de Gaulle in Roissy fuhr kein einziger Express. Drei von acht Gewerkschaften sorgten dafür, dass in Paris auch einen Tag später noch kaum die Hälfte der Métro-Züge fuhr und sich der Betrieb auf dem nationalen Netz nur schleppend normalisierte. Trotzdem ist heute vieles anders als vor zwölf Jahren. Sarkozy und sein Premier Francois Fillon treten viel geschickter auf als Juppé 1995 und kündigen Verhandlungsbereitschaft an. Schon im Vorfeld traf sich der Präsident mit Bernard Thibaut, dem Chef der CGT (Confédération Génèrale du Travail), der ehedem kommunistischen, mittlerweile autonom agierenden Gewerkschaft. Der CGT gehören 35 Prozent der Eisenbahner und 37 Prozent des Pariser Métro-Personals an. Die Machtdemonstration vom 18.Oktober verlief eindrücklich, aber Thibaut steht unter dem Druck von der drei kleineren Gewerkschaften, die radikalere Forderungen stellen und der Regierung eine Niederlage beibringen möchten wie vor zwölf Jahren.
Dass dies geschieht, ist unwahrscheinlich, denn Sarkozy beschwört unentwegt den "sozialen Dialog", bekräftigt aber zugleich, dass dies nicht zum "Alibi für das Nichtstun" werden dürfe. Die größten der acht beteiligten Gewerkschaften wollen verhandeln, wenn auch nicht auf der Basis der vorgelegten Reformpläne. Für Bernard Thibaut diente der Streik dazu, "zu mobilisieren und die Basis der Reform zu verändern" und war insofern ein erster Schritt: "Die heutige Botschaft lautet, dass die Regierung zur Kenntnis nehmen soll, dass die Basis der Rentenreform von den davon Betroffenen nicht akzeptiert wird."
Noch ist nicht abzusehen, wie der Arbeitskampf ausgehen wird. Falls die für nächste Woche angekündigten Gespräche nicht in ernste Verhandlungen übergehen, könnte der Streik bald weitergehen. Im Großraum Paris streikten zu Wochenbeginn die Gewerkschaften SUD-Rail und Force Ouvrière (FO) immer noch, so dass nur ein Drittel der S-Bahnzüge verkehrte - die Pariser Métro fuhr dagegen nach Fahrplan.
Auf jeden Fall haben die Streikenden eine rundum beachtliche Demonstration ihrer Kraft gezeigt und ihren Willen bekräftigt, dass man ihnen soziale Errungenschaften nicht einfach wegnehmen kann - selbst wenn in der Staatskasse Löcher klaffen. Die Neubalancierung der staatlichen Budgets bedarf der sozialen Symmetrie, die politisch ausgehandelt werden muss. Soziale Gerechtigkeit kann in Frankreich - dies belegt die Resonanz auf den Streik gegen das mediale Trommelfeuer - noch nicht als "anachronistisches Relikt" (Le Figaro und FAZ) abgetan oder "hartzmäßig" beerdigt werden wie hierzulande. Die viel beschworene Methode Sarkozys, alles persönlich und schnell zu erledigen, ist an ihre Grenze gestoßen. Sein Wahlkampf-Slogan, "mehr arbeiten, um mehr zu verdienen", erweist sich schon jetzt als leeres Versprechen. Obwohl die meisten Medien den Streik nach Kräften als "unpopulär" und die Streikenden als "privilegiert" hinstellten, wurde der 18. Oktober ein Erfolg. "Läge die Linke nicht im Koma" - so der Kommentator von Libération - "fehlte es jetzt nicht an Gelegenheiten, wieder ins Spiel zu kommen."
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