Die Prognosen für den ersten Wahlgang zur französischen Nationalversammlung entsprachen so ganz dem Programm von Nicolas Sarkozy: "Meine Pflicht als Präsident ist es, eine Mehrheit zusammenzuführen - die Pflicht der Mehrheit ist es, sich zu öffnen." Was den zweiten Satzteil betrifft, so ging der Staatschef mit der Regierungsbildung und Berufung von drei Sozialisten in die Offensive. Und mit seinen energischen Auftritten in den Niederungen des verbalen Wahlkampfhandgemenges - bislang völlig undenkbar für alle gewählten französische Präsidenten der V. Republik von Charles de Gaulle bis Jacques Chirac - zeigte er, was er auf jeden Fall vermeiden wollte: Eine "cohabitation" - eine Konstellation also, in der er als Konservativer wie zuvor Chirac einen Sozialisten als Premierminister berufen müsste, um die Maschinerie der Republik mit ihrem allmächtigen Präsidenten und dem ohnmächtigen Parlament nicht stocken zu lassen.
Laut Umfragen sind zwei Drittel der Franzosen mit ihrem neuen Präsidenten zufrieden. Die Prognosen sagten denn auch vor dem 10. Juni ein entsprechendes Resultat voraus. Demnach sollte die Präsidentenpartei UMP 380 bis 460 Sitze erringen (von insgesamt 577). Den Sozialisten prophezeiten die Demoskopen ein mittleres bis schweres Debakel: Vielleicht nur 80 Sitze bei bisher 141 Mandaten.
Parteizentrale bedroht
Nach dem ersten Wahlgang erscheint für Sarkozys Union pour un Mouvement Populaire (UMP/Bündnis für eine Volksbewegung) und ihre Alliierten eine Zweidrittel- bis Dreiviertelmehrheit möglich, sprich: mindestens 400 Sitze. Damit könnten auch Verfassungsänderungen durchgesetzt werden. Gerade ein einziger Sozialist wurde im ersten Wahlgang direkt gewählt. Die UMP erreichte rund 40, mit ihren Verbündeten 45,6 Prozent der Stimmen, die Sozialisten 24,7 Prozent, Bayrous Mouvement Démocrate (Demokratische Bewegung) 7,6 Prozent und die Kommunisten 4,3 Prozent (s. Übersicht). Die Sozialisten dürfen demnach künftig mit etwa 120 Sitzen rechnen, also mit 20 weniger, Bayrou mit vier und die Kommunisten mit nur noch 12 statt bisher 21 Sitzen.
Für die Kommunistische Partei (PCF) ergibt sich daraus eine dramatische Lage. Die Partei gilt als "klinisch tot" - so Arnaud Leparmentier von Le Monde. Während des Wahlkampfs wurde publik, dass der PCF aus Finanznöten sogar erwägt, die architektonisch bedeutende Parteizentrale des berühmten Oscar Niemeyer an der Place du Colonel Fabien zu verkaufen. Das ist ungefähr so, als würde der Kölner Erzbischof den Dom im Winter übers Wochenende für Hallenfußball- und im Sommer für Tennisturniere vermieten müssen.
Die Tatsache, dass der Front National (FN) nur 4,3 Prozent erreichte und es einzig Le Pens Tochter Marine in die Stichwahl schaffte, zeigt, dass Sarkozy erfolgreich um rechtsradikale Stimmen geworben hat mit seinem Gerede über die "Rettung nationaler Identität" und die Gefahren, die angeblich von Einwanderern ausgehen.
Premierminister François Fillon hatte alle UMP-Minister zur Kandidatur in einem Wahlkreis verdonnert - im Kabinett sollte nur bleiben, wer auch ein Mandat in einem Wahlkreis zu erringen verstand. Über diese selbst aufgestellte Hürde stolperte Alain Juppé insofern, als er in die Stichwahl muss. Fillons Anspruch belebte zwar den Wahlkampf, aber offenbar nicht die Wählerschaft, denn die Beteiligung war bei rund 60 Prozent eher schwach.
Das Wahlresultat wird Sarkozy als Freibrief für die weitere "Präsidialisierung" des Regierungssystems deuten und die längst fällige Aufwertung des Parlaments abblocken. Ein faires Verhältniswahlrecht, das kleinere Parteien nicht mehr so diskriminiert, wie das im Augenblick der Fall ist, könnte einen Demokratisierungsschub bewirken. Frankreichs Nationalversammlung ist nach der Intention von De Gaulles Verfassung aus dem Jahr 1958 eine dem jeweiligen Präsidenten ergebene Abnickkammer, zusammengesetzt aus lokalen Honoratioren - meistens Bürgermeister oder Regionalratsmitglieder. Alles Wichtige entscheidet letztlich der Präsident, der seinen Premierminister nach Belieben auswechseln kann. Die soziale Zusammensetzung des Parlaments war bisher ein Witz: 87 Prozent Männer mit einem Durchschnittsalter von 58 Jahren, drei Arbeiter und 29 Angestellte. Das "bunte" Frankreich - also die naturalisierten Einwanderer - blieb gänzlich ausgeschlossen.
Ein frommer Wunsch
Wie auch immer, der zerstrittenen sozialistischen Parteiführung um Ségolène Royal, François Hollande, Laurent Fabius und Dominique Strauss-Kahn bleibt mit Blick auf den zweiten Wahlgang am 17. Juni nur der fromme Wunsch: "Demokratie braucht eine starke Linke, um Machtmissbrauch zu verhindern" (Ségolène Royal). Eben dies verhindern das Mehrheitswahlrecht und die quasi bonapartistische Stellung des Präsidenten, der - entgegen der Lehre von der Gewaltenteilung - direkt in die Exekutive, die Legislative und notfalls auch die Judikative hinein regiert. Wohin steuert das Regime Sarkozy mit seinen angekündigten "Reformen"? Die Antwort ist ernüchternd: Dieses Regime wird sich irgendwo zwischen konstitutioneller Monarchie und dem autoritären Zweiten Kaiserreich Napoleons III. (1852-1870) einrichten. Auf jeden Fall ist Sarkozy schon mal in das Jagdschlösschen von Versailles eingezogen, das eigentlich dem Premierminister als Gästehaus dient.
Wahlergebnis vom 10. Juni 2007
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