Noch hält jeder schön still

Frankreich Bei der Sozialistischen Partei stehen mindestens fünf ­Bewerber bereit, um Nicolas Sarkozy bei der Präsidentschaftswahl 2012 herauszufordern

Seit der Mitgliederbefragung zur „Renovation“ des Parti Socialiste (PS) im Oktober herrscht in der Partei eine fast schon gespenstische Ruhe. Für die Erste Sekretärin Martine Aubry war die Aktion ein Erfolg. Rund 45 Prozent der Mitglieder beteiligten sich. Die Parteichefin kann sich nicht beklagen, sie erhielt eine überzeugende Mehrheit für zwei Vorhaben: offene Vorwahlen bei der Suche nach einem sozialistischen Bewerber für die Präsidentenwahl 2012 und eine Gesetzesinitiative, die darauf zielt, künftig die in Frankreich übliche Akkumulation öffentlicher Ämter (Bürgermeisteramt plus Ministersessel) abzuschaffen. Auch der Parteivorstand gab für beides grünes Licht. Aubry darf sich zudem autorisiert fühlen, mit anderen Parteien und Gruppierungen über eine programmatische Plattform zu verhandeln. An der Wahl eines geeigneten Präsidentschaftskandidaten könnten nun theoretisch alle teilnehmen, „die 2012 durch einen Sieg der Linken einen Wechsel herbeiführen wollen“ (Aubry).

Doch die Ruhe trügt, längst nicht alle innerparteilichen Konkurrenten Aubrys haben die Absicht begraben, in zwei Jahren gegen den Konservativen Sarkozy anzutreten. Am wenigsten Ségolène Royal, die unterlegene Bewerberin von 2007. Steht Martine Aubry für die herkömmlichen Werte der Linken – Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität – und insofern für einen gewissen Traditionalismus, gibt Royal bei jeder Gelegenheit die Visionärin und beruft sich auf den Beifall der „Basis“, die sie ebenso geschickt für sich einzuspannen weiß wie Teile der Medien. Ihre Aussichten, 2012 wieder die Kandidatin der Sozialisten zu werden, stehen und fallen mit ihrem Ergebnis bei den Regionalratswahlen im März.

Unterm Regenbogen

Royal ist derzeit Präsidentin der Region Poitou-Charentes und plädiert dort für eine Regenbogenkoalition aus Kommunisten, Globalisierungskritikern, Sozialisten und den Zentristen des Mouvement Démocratique (MoDem) von François Bayrou. Sie empfiehlt sich als Galionsfigur der gesamten Opposition gegen Sarkozy, was Bayrou nur in Maßen entzückt. Sein politisches Überleben hängt davon ab, dass ihm seine Unabhängigkeit geglaubt wird. Er lehnt daher das mutmaßlich vergiftete Angebot der Konkurrentin bisher ab.

Die übrigen innerparteilichen Gegner von Martine Aubry, denen wie Dominique Strauß-Kahn, Laurent Fabius, François Hollande und Bertrand Delanoё eine Präsidentschaftskandidatur vorschweben könnte, halten sich ebenso zurück wie Manuel Valls, Arnaud Montebourg oder Vincent Peillon, die Ehrgeizigen unter den Nachwuchstalenten.

Einzig Ex-Parteichef Hollande drängt auf eine schnelle Entscheidung, weil er hofft, enttäuschte Royal-Wähler nach den Regionalratswahlen für sich zu gewinnen. Strauß-Kahn und Delanoë aber schweigen, und Fabius polemisiert verhalten gegen Ségolène Royal, wenn er in einem Interview meint, „spektakulär vorgetragene individuelle Ansprüche“ erschienen „lächerlich angesichts der wirklichen Probleme Frankreichs“.

Soviel steht fest, 2012 will der Parti Socialiste im ersten Wahlgang mit einem Kandidaten antreten, der sicher in die Stichwahl kommt. Deshalb ist eine Wahlallianz mit Bayrous Zentristen wahrscheinlicher als mit den Grünen (Les Verts) sowie Daniel Cohn-Bendits Europe écologie.

Ohne Trotzkisten!

Auf die Schlüsselfrage allerdings, wie ein gemeinsamer Kandidat der Linken gekürt werden soll, gibt es keine verbindliche Antwort. Erstaunlich deutlich artikuliert hat sich erst einer, der selbst nichts mehr anstrebt, aber in der Partei hohes Ansehen genießt: Lionel Jospin, 1997 bis 2002 Premierminister und am 21. April 2002 im ersten Wahlgang hinter Jacques Chirac und dem Rechtsradikalen Le Pen nur Dritter. In einem Gespräch Anfang Januar mit der Zeitung Le Monde übernahm er ausdrücklich die Verantwortung für eine eklatante Niederlage, die von den Sozialisten bis heute nicht verkraftet wurde. Er sei – so Jospin seinerzeit – „nicht die einzige Ursache“ des Desasters gewesen. Eine in sich zerstrittene Partei habe ihn behindert und sei 2007 durch einen „Mangel an Einheit und Glaubwürdigkeit“ auch für das vergleichbar schwache Abschneiden von Ségolène Royal verantwortlich gewesen. Um 2012 ein ähnliches Debakel abzuwenden, hält Jospin dreierlei für notwendig: einen unbestrittenen und anerkannten Kandidaten (also nicht Ségolène Royal), einen klaren Kurs (also eine Abgrenzung nach rechts) und eine Wahlallianz mit klarer Koalitionsaussage (also eine Absage an Bayrou). Anders als mancher Parteilinke möchte Jospin Trotzkisten und militante Globalisierungskritiker aus dem Wahlbündnis einer „pluralistischen Linken“ kategorisch heraushalten. Damit kommen als Partner des PS nur noch die marginalisierten Kommunisten und unberechenbaren Grünen in Betracht. Das wäre eine Kampfansage an den linken Flügel der Sozialisten, denn der favorisiert eine Front mit den radikalen Linken. Die momentane Ruhe im PS wirkt wie eine Ruhe vor dem Sturm, der nach den Regionalratswahlen ausbrechen könnte.

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