Präsident und Priester

Hochamt im Elysée Nicolas Sarkozy will den Finanzkapitalismus "moralisieren"

Vor Wochenfrist rief der Staatschef die Journalisten zu seiner ersten Pressekonferenz in diesem Jahr. 712 kamen in den Festsaal des Elysée und erlebten zunächst eine Stunde lang die Einmann-Show des Hyperpräsidenten. Der drehte mächtig auf und sprach von Frankreich als "Seele einer neuen Renaissance". Als deren Oberpriester will Sarkozy "die Ordnung mit der Bewegung und die Identität mit der Modernität versöhnen" sowie "die Gesellschaft rehumanisieren". Das ehrgeizige Vorhaben stellte Sarkozy unter die Parole "Politik der Zivilisation" - ein Begriff, den er beim 87-jährigen Linksintellektuellen Edgar Morin auslieh. Der meint damit die Verteidigung und Bewahrung ethischer und moralischer Minimalstandards gegen die kapitalistische Instrumentalisierung und marktgerechte Zurüstung der Menschen.

In Sarkozys PR-Show wurde dem Begriff freilich der gesellschaftskritische Stachel gezogen. Sein Gerede von Solidarität, Vereinsamung und Renaissance gleicht einer fettigen Sauce, mit der verdorbene Speisen überzogen werden. Er spricht von Liebe, Humanismus und Integration, meint aber eine konzertierte Abschiebeaktion von afrikanischen Flüchtlingen und Asylbewerbern. Er will "Gerechtigkeit im ökonomischen System" und glaubt, dies durch eine "Moralisierung des Finanzkapitalismus" und mit Appellen an die Unternehmer und Aktionäre, die Profite mit den Arbeitenden "gleichmäßiger" zu teilen, erreichen zu können. Sarkozys bescheidener Beitrag dazu: Er will das Bruttosozialprodukt, also den zu verteilenden Wohlstand, schon mal anders messen.

Auch vom sparsamen Umgang mit Steuergeldern hat Sarkozy eine aparte Vorstellung. Dass er seine Ferienausflüge am liebsten auf Yachten oder mit Privatflugzeugen milliardenschwerer Freunde unternimmt, verkauft er als Steuersparmodell. Neben solcherart Vernebelung gab es jedoch auch Konkreteres sowie "Ernsthaftes" (Sarkozy) über seine inzwischen vollzogene Heirat.

Spätestens bis Ende 2008 möchte der Präsident die gesetzlich verankerte 35-StundenWoche kippen, denn diese (einzig nennenswerte) Reform der sozialistischen Regierung sei für alle Defizite verantwortlich. Zwar punktete er im Wahlkampf hauptsächlich mit dem Versprechen, die Kaufkraft der Arbeitenden stärken zu wollen. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Auf den Widerspruch angesprochen, antwortete er mit rhetorischen Rückfragen: "Wollen Sie, dass ich die Kassen leere, die schon leer sind? Oder soll ich den Unternehmen etwas vorschreiben, was ich ihnen nicht vorzuschreiben habe?"

Das Verfahren hat Premier Fillon inzwischen perfektioniert, der sich die Fragen gleich selbst stellte. Mit seinen Floskeln umgeht Sarkozy das auch in Deutschland virulente soziale Problem, dass es generell an Kaufkraft fehlt, weil zu wenig verdient wird, besonders am unteren Ende der Lohnpyramide. Zwar gibt es in Frankreich einen gesetzlichen Mindestlohn, doch ist der viel zu niedrig.

Über das zweite konkrete Vorhaben des Präsidenten freuen sich einige Leute, weil es in deren Kasse klingelt. Als kulturelle Revolution kündigte Sarkozy eine "beispiellose Renovation des öffentlichen Fernsehens" an, das ganz ohne Werbung auskommen und die Programmqualität steigern soll. Zunächst einmal keine schlechte Idee, die im Übrigen zuerst von der Linken vorgeschlagen wurde. Sehr vage blieb Sarkozy indes bei der Frage, wie und in welchem Ausmaß das neue öffentliche Qualitätsfernsehen über Steuern finanziert werden könnte. Gefreut haben sich auf jeden Fall die Besitzer der Privatsender TF1 und M6. Deren Aktien stiegen über Nacht um 9,9 beziehungsweise 4,5 Prozent. Beide Kanäle gehören zur Firmengruppe des Baulöwen Martin Bouygues, der hauptsächlich von öffentlichen Aufträgen lebt. Bouygues telefoniert angeblich täglich mit dem Hausherren im Elysée, war 1996 Trauzeuge bei Sarkozys letzter Heirat und ist Patenonkel von dessen Sohn Louis. Der zweite Trauzeuge war damals Bernard Arnault, der außer Luxusartikelfirmen auch Zeitungen und Zeitschriften besitzt, die über Sarkozy nur Hofberichterstattung liefern. Zu den Aktionären bei TF1 zählt nicht zuletzt der Unternehmer Vincent Bolloré, der Sarkozy seine Yacht für den Ausflug mit Ex-Frau Cécilia und sein Privatflugzeug für die Nahostreise mit Jetzt-Frau Carla lieh.

Während die Aktionäre der privaten Sender schon von der bloßen Ankündigung der kulturellen Revolution profitierten, kursiert bei den öffentlichen die Angst, sie könnten kaputt gespart werden und unter direkten staatlichen Einfluss geraten.

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