Rentner in Uniform

Frankreich Ehemalige Generäle drohen mit Putsch, die Linke ringt um Einigkeit
Ausgabe 19/2021
Mehr als die Hälfte der Berufssoldaten und Polizeibeamten sympathisiert nicht mit Macron, sondern dem Rassemblement National
Mehr als die Hälfte der Berufssoldaten und Polizeibeamten sympathisiert nicht mit Macron, sondern dem Rassemblement National

Foto: Francois Mori/AFP/Getty Images

Die linken Parteien dieses Landes blicken ein Jahr vor der Präsidentenwahl in einen Abgrund, dem angesichts ihres zersplitterten Daseins schnell ein Absturz ins politische Nichts folgen kann. Da ein Bewusstsein für diese Gefahr existiert, haben sich in der zweiten Aprilhälfte gut 20 Gesandte von den Kommunisten (PCF) über die Grünen (EELV) und Sozialisten (PS) bis hin zu Jean-Luc Mélenchons La France insoumise (LFI) zu einer Debatte getroffen. Es ging um die Frage, wie die Linke bei der Abstimmung über den nächsten Staatschef im Frühjahr 2022 noch verhindern kann, dass sie beim fast sicheren Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen zuschauen muss. Schon die Tatsache, dass der Einladung von Grünen und Sozialisten alle linken Parteien folgten, galt als Erfolg.

Gegenseitiger Respekt

Formelle Beschlüsse wurden (noch) nicht gefasst, doch kam immerhin eine Einigung in vier Punkten zustande, die Ende Mai präzisiert werden sollen. Man verständigte sich auf einen „Pakt in gegenseitigem Respekt“, um Polemiken gegeneinander und Herabsetzungen zu vermeiden. Auch soll es eine gemeinsam Verteidigung gegen Angriffe der Regierung, der Rechten und Ultrarechten geben. Überdies besteht die Absicht, auf Reformprojekte des Präsidenten bei den Renten und der Arbeitslosenversicherung, bei Klimaschutz und Sicherheitspolitik im Konsens zu reagieren. Schließlich müsse von einem Treffen Ende Mai ein „klares Zeichen ausgehen, dass die beteiligten linken Parteien bereit seien, einen Regierungsvertrag, eine Koalition und ein Verfahren zur Wahl eines kollektiven Präsidentschaftskandidaten zu beschließen“, so Olivier Faure, Erster Sekretär des PS.

Nicht zu unterschätzen sind persönliche Ambitionen, die alles zum Platzen bringen können, etwa von Anne Hidalgo, der ehrgeizigen sozialistischen Bürgermeisterin von Paris, oder von Jean-Luc Mélenchon. Bei den Grünen hält sich Yannick Jadot für den geeigneten Präsidentenbewerber, muss aber im September erst eine Kampfabstimmung gegen mehrere innerparteiliche Rivalen gewinnen. Völlig unübersichtlich ist die Personallage der Sozialisten, bei denen neben Olivier Faure mindestens fünf Politiker Ansprüche anmelden, darunter der populäre Ex-Minister Arnaud Montebourg. Alle linken Aspiranten eint die Gewissheit, in der ersten Runde des Präsidentenvotums wohl kaum jenseits von 20 Prozent landen zu können, die man allerdings übertreffen sollte, um überhaupt in die Stichwahl zu gelangen. Gesucht wird demnach der eine aussichtsreiche Kandidat, der einen erneuten Zweikampf Macron versus Le Pen wie Anfang Mai 2017 verhindern könnte.

Auftrieb und zusätzliche politische Brisanz bekam die Debatte über eine linke Perspektive für die Wahlen 2022 durch einen dreisten Vorstoß von rechts. In der am äußersten rechten Rand agierenden Zeitschrift Valeurs Actuelles, seit 2015 mit dem rechtskonservativen Yves de Kerdrel als Herausgeber, erschien Ende April ein an Präsident Macron adressierter offener Brief von etwa 20 pensionierten Generälen, die vor dem „Zerfall“ des Landes und „politischem Chaos“ für den Fall warnten, dass dem „Islamismus und den Horden der Banlieue“ nicht mit militärischen Mitteln entgegengetreten werde. Besonders heikel war das sicher nicht zufällig gewählte Datum dieser Intervention: Am 21. April jährte sich zum 60. Mal der Putsch, mit dem eine Handvoll Hasardeure um Politiker Jean-Jacques Susini, General Raoul Salan und Anwalt Pierre Lagaillarde 1961 in Algier zum Staatsstreich mobilisierte, um die Unabhängigkeit Algeriens zu verhindern und die „Organisation de l’Armée Secrète“ (OAS) ins Leben zu rufen. Der Putsch scheiterte nach wenigen Tagen, weil die Bevölkerung und eine Mehrheit der Armeeangehörigen loyal zur Führung in Paris unter General de Gaulle stand.

In der Diktion alter Frontsoldaten verlangten die Obristen mit ihrem Brief eine „Umkehr zu Ehre und Pflicht innerhalb der politischen Klasse“, um „das Vaterland und die Ehre“ zu retten. Nur so seien die „tödlichen Gefahren, die Frankreich bedrohen“, noch abzuwenden. Heute redeten einige Leute von Begriffen wie „Rassismus“ und „Theorien der Entkolonialisierung“, so die Verfasser. Die Staatsführung unternehme nichts gegen den „Rassenkrieg, den die hasserfüllten und fanatischen Anhänger eines bestimmten Antirassismus führen“. Die Generäle appellieren deshalb „an unsere aktiven Kameraden“, mit ihrem Eingreifen „unsere zivilisatorischen Werte und den Schutz unser Mitbürger auf unserem Boden zu retten“. Damit wurde nichts Geringeres als ein „Bürgerkrieg“ gegen die nur eingebildete Gefahr eines „Rassenkrieges“ heraufbeschworen.

Le Pen frohlockt

Aufschlussreich sind die Reaktionen auf die nur notdürftig kaschierte Drohung mit einem Militärputsch. Marine Le Pen schwadronierte im Namen des Rassemblement National (RN) von „Auflösungserscheinungen der französischen Gesellschaft“ angesichts des „islamistischen Terrors und sozialer Spannungen“. Es handle sich um eine Initiative von „engagierten Männern, die zu ihrer Heimat stehen“. Tatsächlich spricht dieses Offizierscasino-Geraune nur für intellektuellen Grobianismus. Was derzeit in Polizei und Militär an politischen Trends zu beobachten ist, bezeugt weder „Auflösungserscheinungen der Gesellschaft“ noch „soziale Spannungen“, sondern eine bizarr rechtsradikale Gesinnung.

Nach neuesten Umfragen sympathisieren zwischen 52 und 55 Prozent der Berufssoldaten und Polizeibeamten mit dem Rassemblement National. Der solidarisierte sich mit dem offenen Brief der pensionierten Militärs, was eine Vorlage für die Regierung hätte sein können, die jedoch eher verhalten reagierte. Für Verteidigungsministerin Florence Parly repräsentierten die Urheber des Pamphlets „nur sich selbst“. Als Jean-Marie Le Pen, der Vater von Marine, 1972 den RN-Vorgänger Front National (FN) gründete, stützte er sich auf ehemalige Anhänger der OAS. Gewiss, die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, aber Kontinuitäten bei Mentalitäten und Präferenzen in Frankreichs Sicherheitsapparat sind belegt. Auch wenn die Teilnahme an einem Putsch nicht verwechselt werden darf mit der Stimmabgabe für eine ultrarechte Kandidatin.

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