Die linken Parteien dieses Landes blicken ein Jahr vor der Präsidentenwahl in einen Abgrund, dem angesichts ihres zersplitterten Daseins schnell ein Absturz ins politische Nichts folgen kann. Da ein Bewusstsein für diese Gefahr existiert, haben sich in der zweiten Aprilhälfte gut 20 Gesandte von den Kommunisten (PCF) über die Grünen (EELV) und Sozialisten (PS) bis hin zu Jean-Luc Mélenchons La France insoumise (LFI) zu einer Debatte getroffen. Es ging um die Frage, wie die Linke bei der Abstimmung über den nächsten Staatschef im Frühjahr 2022 noch verhindern kann, dass sie beim fast sicheren Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen zuschauen muss. Schon die Tatsache, dass der Einladung von Grünen und Sozialisten alle linken Parteien folgten, galt als Erfolg.
Gegenseitiger Respekt
Formelle Beschlüsse wurden (noch) nicht gefasst, doch kam immerhin eine Einigung in vier Punkten zustande, die Ende Mai präzisiert werden sollen. Man verständigte sich auf einen „Pakt in gegenseitigem Respekt“, um Polemiken gegeneinander und Herabsetzungen zu vermeiden. Auch soll es eine gemeinsam Verteidigung gegen Angriffe der Regierung, der Rechten und Ultrarechten geben. Überdies besteht die Absicht, auf Reformprojekte des Präsidenten bei den Renten und der Arbeitslosenversicherung, bei Klimaschutz und Sicherheitspolitik im Konsens zu reagieren. Schließlich müsse von einem Treffen Ende Mai ein „klares Zeichen ausgehen, dass die beteiligten linken Parteien bereit seien, einen Regierungsvertrag, eine Koalition und ein Verfahren zur Wahl eines kollektiven Präsidentschaftskandidaten zu beschließen“, so Olivier Faure, Erster Sekretär des PS.
Nicht zu unterschätzen sind persönliche Ambitionen, die alles zum Platzen bringen können, etwa von Anne Hidalgo, der ehrgeizigen sozialistischen Bürgermeisterin von Paris, oder von Jean-Luc Mélenchon. Bei den Grünen hält sich Yannick Jadot für den geeigneten Präsidentenbewerber, muss aber im September erst eine Kampfabstimmung gegen mehrere innerparteiliche Rivalen gewinnen. Völlig unübersichtlich ist die Personallage der Sozialisten, bei denen neben Olivier Faure mindestens fünf Politiker Ansprüche anmelden, darunter der populäre Ex-Minister Arnaud Montebourg. Alle linken Aspiranten eint die Gewissheit, in der ersten Runde des Präsidentenvotums wohl kaum jenseits von 20 Prozent landen zu können, die man allerdings übertreffen sollte, um überhaupt in die Stichwahl zu gelangen. Gesucht wird demnach der eine aussichtsreiche Kandidat, der einen erneuten Zweikampf Macron versus Le Pen wie Anfang Mai 2017 verhindern könnte.
Auftrieb und zusätzliche politische Brisanz bekam die Debatte über eine linke Perspektive für die Wahlen 2022 durch einen dreisten Vorstoß von rechts. In der am äußersten rechten Rand agierenden Zeitschrift Valeurs Actuelles, seit 2015 mit dem rechtskonservativen Yves de Kerdrel als Herausgeber, erschien Ende April ein an Präsident Macron adressierter offener Brief von etwa 20 pensionierten Generälen, die vor dem „Zerfall“ des Landes und „politischem Chaos“ für den Fall warnten, dass dem „Islamismus und den Horden der Banlieue“ nicht mit militärischen Mitteln entgegengetreten werde. Besonders heikel war das sicher nicht zufällig gewählte Datum dieser Intervention: Am 21. April jährte sich zum 60. Mal der Putsch, mit dem eine Handvoll Hasardeure um Politiker Jean-Jacques Susini, General Raoul Salan und Anwalt Pierre Lagaillarde 1961 in Algier zum Staatsstreich mobilisierte, um die Unabhängigkeit Algeriens zu verhindern und die „Organisation de l’Armée Secrète“ (OAS) ins Leben zu rufen. Der Putsch scheiterte nach wenigen Tagen, weil die Bevölkerung und eine Mehrheit der Armeeangehörigen loyal zur Führung in Paris unter General de Gaulle stand.
In der Diktion alter Frontsoldaten verlangten die Obristen mit ihrem Brief eine „Umkehr zu Ehre und Pflicht innerhalb der politischen Klasse“, um „das Vaterland und die Ehre“ zu retten. Nur so seien die „tödlichen Gefahren, die Frankreich bedrohen“, noch abzuwenden. Heute redeten einige Leute von Begriffen wie „Rassismus“ und „Theorien der Entkolonialisierung“, so die Verfasser. Die Staatsführung unternehme nichts gegen den „Rassenkrieg, den die hasserfüllten und fanatischen Anhänger eines bestimmten Antirassismus führen“. Die Generäle appellieren deshalb „an unsere aktiven Kameraden“, mit ihrem Eingreifen „unsere zivilisatorischen Werte und den Schutz unser Mitbürger auf unserem Boden zu retten“. Damit wurde nichts Geringeres als ein „Bürgerkrieg“ gegen die nur eingebildete Gefahr eines „Rassenkrieges“ heraufbeschworen.
Le Pen frohlockt
Aufschlussreich sind die Reaktionen auf die nur notdürftig kaschierte Drohung mit einem Militärputsch. Marine Le Pen schwadronierte im Namen des Rassemblement National (RN) von „Auflösungserscheinungen der französischen Gesellschaft“ angesichts des „islamistischen Terrors und sozialer Spannungen“. Es handle sich um eine Initiative von „engagierten Männern, die zu ihrer Heimat stehen“. Tatsächlich spricht dieses Offizierscasino-Geraune nur für intellektuellen Grobianismus. Was derzeit in Polizei und Militär an politischen Trends zu beobachten ist, bezeugt weder „Auflösungserscheinungen der Gesellschaft“ noch „soziale Spannungen“, sondern eine bizarr rechtsradikale Gesinnung.
Nach neuesten Umfragen sympathisieren zwischen 52 und 55 Prozent der Berufssoldaten und Polizeibeamten mit dem Rassemblement National. Der solidarisierte sich mit dem offenen Brief der pensionierten Militärs, was eine Vorlage für die Regierung hätte sein können, die jedoch eher verhalten reagierte. Für Verteidigungsministerin Florence Parly repräsentierten die Urheber des Pamphlets „nur sich selbst“. Als Jean-Marie Le Pen, der Vater von Marine, 1972 den RN-Vorgänger Front National (FN) gründete, stützte er sich auf ehemalige Anhänger der OAS. Gewiss, die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, aber Kontinuitäten bei Mentalitäten und Präferenzen in Frankreichs Sicherheitsapparat sind belegt. Auch wenn die Teilnahme an einem Putsch nicht verwechselt werden darf mit der Stimmabgabe für eine ultrarechte Kandidatin.
Kommentare 6
Beachtet solche Tendenzen in den "Sicherheitsbehörden" auch in der BRD.
soweit hier aus presse-stimmen zu entnehmen war:
sind die energischen aufrüttler aus dem kern
der französischen, militärisch-zugriffs-bereiten "nation",
mit lax-heiten des rechts-extremen RN keineswegs
zu versöhnen: sie wollen "reinen tisch machen" !
Kann man genau sagen, worum es den Militärs geht? Das ist mir zu wenig Analyse. Es geht doch um die Gespaltenheit der französischen Gesellschaft, um die soziale Ungleichheit. Folge ist Gewalt, Rassismus, Anschläge. Die Rechten nutzen das. Die Linken sind uneinig, erklären die Gesellschaft nicht, haben nur einfache Machtinteressen. Wagenknecht spricht hier von Linksliberalen. Die weder links noch freiheitsliebend sind. Linksilliberal.
Die Verhandlungen der involvierten Linksparteien im Hinblick auf eine gemeinsame Vorgehensweise bei der Wahl sind sicherlich zu begrüßen. Strategisch ist die Chose eine Zwickmühle, in der ich nicht stecken möchte. Kandidiert die Linke (mit egalwem), wird sie vermutlich auf Platz drei landen und steht im Anschluss vor dem Problem, am Ende zur Wahl von Macron aufzurufen, um die Faschisten zu verhindern. Kandidiert sie nicht und votiert (geschlossen) für ein taktisches Votum für Macron, gibt sie politische Partizipationsansprüche bereits im Vorfeld auf – mit dem Nebeneffekt, dass die Regel »Links votiert im Ernstfall für Neoliberal« so lange wiederholt werden muß, wie eine ansehnliche faschistische Gefahr droht.
Die Putsch-Aspirationen in hohen Militär- und Polizeikreisen verstärken diese Schieflage zusätzlich – zumal sie nicht nur das vage Schreckensbild einer »out of control« geratenen Banlieue bemühen (im Kern also ein offen rassistisches Argumentationsschema), sondern sich implizit auch gegen die Gilets jaunes und ähnlich intendierte sozialpolitische Bewegungen richten. Aufrollen könnte man diese Konstellation im Grunde nur Stück für Stück: indem einerseits die neoliberale Regierung auf konsequentes Vorgehen gegen neofaschistische Aspirationen verpflichtet wird, andererseits genügend Gegenmacht aufgebaut wird, um ebendiese Regierung auch zu sozialpolitischen Zugeständnissen zu nötigen.
Jedes dieser zwei Basics ist allerdings klar VOR einer Eigenkandidatur der Linken angesiedelt. Die Gefahr: Überspringt man einen oder beide dieser Punkte, wird die linke Kandidatur schnell zu Leerlauf. Wird der Leerlauf zusätzlich zum (stimmenanteilstechnischen) Desaster, ist die Niederlage, in die hinein man sich begeben hat, noch größer.
Zum Rest: Rein von der Intuition her würde ich sagen, dass Anne Hidalgo die beste Linkskandidatin wäre. Politisch linksstehend ist sie genug. Mit ihr als Kandidatin wäre jedoch ein eindeutiges Zeichen gesetzt im Hinblick auf die urbanen Regionen sowie den (linken) Kommunalismus, der unbedingt zu schützen ist – auch gegen Zentralisten der Sorte Macron. Doch, wie gesagt: Alles nützt alles nichts, wenn die faschistischen Artilleriegeschosse in den Reihen der bewaffneten Kräfte nicht entschärft werden. – Eine Diagnose, die sich zwar sehr auf Frankreich gemünzt anhört, in Deutschland jedoch ebenso nicht ganz falsch ist.
Nun, wir alle wissen, dass die Mehrheit der Franzosen von einem Typus Präsidenten à la de Gaulle schwärmt. Ja, eben, einem General de Gaulle! Macron hat kein gutes Verhältnis zur "Grande Armée", auch bekannt, dieser junge Sparfuchs aber auch. Madame le Pen, wie kann es anders sein, setzt voll den Armée Joker. Soweit, so bekannt. Was allerdings neu ist, speziell an den beiden Militärs Briefen ist die Paranoia, die ihnen zugrunde liegt. Nicht zu verwechseln,bitte, mit der berühmten "Geschichte mit dem Hammer" von Paul Watzlawick. Pikant indes ist die dadurch offenkundig gewordene Lage der "Grande Nation": Eliten vs Eliten. Militärische Eliten gegen Politische Eliten. Faites vos jeux, rien ne va plus!
Eines ist klar, für Deutschland ist ein Frankreich, das nach rechts rückt ein Geschenk!