Satanische Gazette

Dänische Cartoons in Frankreich Offene Rechnungen, machiavellistische Manöver, manipulierte Leidenschaften

Das Gezänk um die dänischen Karikaturen belegt vor allem eines - die fundamentale Verkommenheit des medialen Betriebs. Es dauerte lange, bis einige Medien begriffen, was hier gespielt wurde, wer wen instrumentalisiert und vor allem - wer den Konflikt mit welchen Absichten emotionalisiert. Beim Bayerischen Rundfunk und bei konservativen Blättern bastelt man aus Meldungen über Demonstrationen da und dort nach wie vor Spitzennachrichten, als ob überall gegen dasselbe und mit denselben Motiven demonstriert würde. Ein Blick nach Frankreich zeigt dasselbe Bild wie in Deutschland, allerdings mit einigen Besonderheiten.

Die Zeitung Le Monde und Islam-Experten wie Olivier Roy wiesen darauf hin, dass ausgerechnet das syrische Regime, dem die Religion gleichgültig ist und das seit den siebziger Jahren Tausende von strenggläubigen Muslim-Brüdern umbringen ließ, eine Kampagne im Namen der Religion anstachelte. Ein reines Ablenkungsmanöver, die Regierung Assad versuchte, damit die peinliche Situation zu überspielen, in die sie nach dem Mord an dem ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri und mit der Untersuchung des Falles durch die Vereinten Nationen geraten war. Mit anderen Worten, Le Monde deutete an, wie die strammen Verteidiger von Toleranz, Presse-, Religions- und Meinungsfreiheit im Westen geflissentlich übersehen wollten, welche Ziele die rechte dänische Tageszeitung Jyllands-Posten und die rechtsradikale Dänische Volkspartei verfolgten, so übersah man der spektakulären Bilder wegen, warum und wie die muslimischen Proteste in etlichen Ländern inszeniert wurden. Man übersah auch, dass Pia Kjaergaard, die Chefin der Volkspartei, seit geraumer Zeit der Motor einer rigiden Politik gegen Ausländer und Einwanderung ist - bezeichnete sie doch jüngst Muslime als "Unkraut, dessen Samen nach Dänemark geweht" sei (s. Neue Zürcher vom 11./12. 2. 2006).

In Frankreich gibt es zwei muslimische Vereinigungen - eine religiöse und eine laizistische, in der auch Nicht-Muslime vertreten sind. Der religiös orientierte Conseil Français du Culte Musulman (CFCM) wurde vor zwei Jahren vom damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy zusammengerufen. Das war fast ein Sakrileg, denn seit 1905 gilt in Frankreich die prinzipielle Trennung von Kirche und Staat und der Laizismus als säkulare Staatsreligion. Dessen Dogma durchbrach Sarkozy, weil er gemerkt hatte, dass der Staat einen muslimischen Verhandlungspartner braucht. So half er bei der Gründung eines muslimischen Dachverbandes mit. Der CFCM ließ sich zunächst von den Karikaturen nicht ins Bockshorn jagen. Er erklärte diese zwar für "rassistisch" und "islamfeindlich", goss aber kein Öl ins Feuer.

Als der konservative France-Soir vergangene Woche einige der Karikaturen nachdruckte, brannten dagegen beim laizistischen und linken Mouvement contre le Racisme et pour l´Amitié entre les Peuples (MRAP) die Sicherungen durch. Am 4. Februar strengte die Organisation eine Strafanzeige gegen die Zeitung an - wegen "Aufreizung zu Hass und Gewalt gegen alle Muslime". Die Begründung las sich verwirrend, denn einerseits wurde das Recht eingeräumt, "Religionen, einschließlich des Islams" zu kritisieren, andererseits behauptete der MRAP, mit den Karikaturen würde "die Schuld für die monströsen Verbrechen der Terroristen allen Muslimen" zugeschoben. Zwei Tage nach der widersprüchlichen Erklärung des Vorstandes der MRAP meldete sich ein Dutzend Mitglieder mit der Forderung zu Wort, die Klage solle zurückgezogen werden. Die Kritiker befürchten einen "Bumerang-Effekt", könnte doch die Organisation von konservativer Seite als "freiheits- und demokratiefeindlich" hingestellt werden.

Parallel dazu erschien die satirische Wochenzeitung Charlie Hebdo, die zuvor schon angekündigt hatte, alle Karikaturen des dänischen Blattes nachzudrucken und ein paar eigene hinzuzufügen. Die Ankündigung allein genügte, den bislang gelassen reagierenden, religiösen CFCM in Hektik zu versetzen. Die Organisation hat kein eigenes Klagerecht, da sie noch keine fünf Jahre existiert. Sie beauftragte deshalb eine Gruppe von Anwälten, gegen die Auslieferung von Charlie Hebdo zu klagen. Die Anwälte arbeiteten so schlampig, dass der Antrag wegen Formfehlern abgewiesen wurde. Den juristisch-medialen Rummel um die Auslieferung nutzte Charlie Hebdo, druckte 160.000 Exemplare (statt der üblichen Auflage von 140.000) und verkaufte die innerhalb von 24 Stunden vollständig - ein Nachdruck war umgehend in Auftrag gegeben. Die größere Satire-Zeitung Le canard enchaîné (Auflage 400.000) hingegen gab sich mit den Karikaturen nicht ab ("nicht besonders unterhaltsam und vor allem nicht originell"), tauschte aber den Blatt-Titel aus und nannte sich "Satanische Gazette".

Mit fast den gleichen Worten wie zuvor Wladimir Putin ("unzulässige Provokation") mahnte nun Jacques Chirac zu Ruhe und Gelassenheit. Er verurteilte "alle offensichtlichen Provokationen, die auf gefährliche Weise die Leidenschaften zum Überschäumen bringen". Wenn überhaupt um "Leidenschaften", dann ging es überall und von Anfang an um manipulierte "Leidenschaften", also um offene Rechnungen, politische Interessen und machiavellistische Manöver.


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