Savoir survivre

Frankreich Bei der Europawahl sollen neue Allianzen die Sozialisten retten
Ausgabe 14/2019
Oliver Faure von den Zentrumssozialisten im März bei einem Klimaprotestmarsch in Paris
Oliver Faure von den Zentrumssozialisten im März bei einem Klimaprotestmarsch in Paris

Foto: Thomas Samson/AFP/Getty Images

Fast der einzige, der den Wahlsieg seiner Bewegung La République en marche (LRM) als „Revolution“ etikettiert, ist Emmanuel Macron selbst. Als bedeutendste Folge gab es den Aderlass bei anderen Parteien, denen der Präsident anfangs buchstäblich das Blut abzapfte. Sozialisten, Liberale und Konservative bevölkerten wie anämische, nur noch röchelnde Kadaver die politische Landschaft. Und falls die Krankheit der europäischen Linken, sich nach Niederlagen durch Parteiabspaltungen zu „retten“, voranschreitet, droht die Linke in Frankreich zu verschwinden. Derzeit zerfleischen sich fünf „Familien“ im „Krieg der Zwerge“: Die Grünen (Europe Écologie-Les Verts/EELV), Jean-Luc Mélenchons La France Insoumise, Benoît Hamons Ökosozialisten („Génération.s“), Olivier Faures Zentrumssozialisten (Parti Socialiste) und die Kommunisten – alle fünf können mit je zwei bis sieben Prozent bei der Wahl zum EU-Parlament rechnen.

Dieses Bild wirkt etwas weniger trostlos, blickt man auf die jüngste Entwicklung. Der Parti Socialiste (PS) unter Olivier Faure ist eine Listenverbindung eingegangen mit der neuen Partei Place Publique (PP). Deren Gründer sind der Journalist und Filmregisseur Raphaël Glucksmann (39), Sohn des Philosophen André Glucksmann (1937-2015), dazu die Umweltaktivistin und Filmemacherin Claire Nouvian (45). Ersterer steht auf Platz 1 der paritätisch besetzten Liste PP/PS. Der Versuch, noch zwei andere Parteien, die grüne EELV und Hamons Ökosozialisten, für die Liaison zu gewinnen, scheiterten, obwohl Glucksmann und Nouvian dezidiert ökologisch-soziale Positionen vertreten. Für Glucksmann droht bereits 2030 eine „Klimakatastrophe“ von globalem Ausmaß. Es müsse eine Kurswende hin zu ökologischer, sozialer und solidarischer Politik gelingen, solle das Schicksal Italiens vermieden werden. Man hofft, Wähler zurückzugewinnen, die von Macrons ausgelaugtem Liberalismus mit seiner neoliberal-autoritären Note enttäuscht sind. Vertraut man Umfragen, sind für die Liste PP/PS mehr als zehn Prozent denkbar?

Yannick Jadot von den Grünen wollte mit der Liste PP/PS keine Allianz, weil man damit die Sozialistische Partei nur vor dem politischen Untergang retten helfe, während die eigene Partei für den Kampf für das Klima, gegen Pestizide und Steuerparadiese stehe. Er lehne Kompromisse mit dem „Ökonomismus von rechts“ ebenso ab wie mit dem „Ökonomismus und Nationalismus von links“, denn angesichts der Zustände in der Welt und in der Natur gebe es global nur noch die Entscheidung zwischen „Ökologie oder Barbarei“.

Mit ähnlichem Pathos argumentiert der Ökosozialist Benoît Hamon gegen den erodierenden Rechtsstaat für ein freies Europa, für Pressefreiheit und das Asylrecht. Als Kandidat der Sozialisten bei der Präsidentenwahl 2017 kam Hamon nur auf sechs Prozent. Gehen ihm Wähler verloren, spricht er von einer „Moralkrise“, ausgelöst von „Leuten ohne Ehre.“ Da bewegt sich der Sozialist und Ex-Premier Bernard Cazeneuve auf einem anderen intellektuellen Niveau, wenn er seiner Partei „Hoffnung vermitteln“ will. Cazeneuve genießt selbst bei zwei Dritteln der Macron-Wähler den Ruf eines „treuen Staatsdieners“ ohne narzisstische Allüren, weshalb ihn Gefolgsleute Macrons wie der Ex-Sozialist und Parlamentspräsident Richard Ferrand als gefährlichsten Gegenkandidaten des jetzigen Staatschefs bei der Präsidentschaftswahl 2022 erkannt haben.

Ferrand ventilierte bereits den Plan, Cazeneuve in den Verfassungsrat wegzuloben, um ihn für die Wahlperiode von neun Jahren zu neutralisieren, da Mitglieder dieses Gremiums zu politischer Zurückhaltung verpflichtet sind. Doch arbeitet Cazeneuve beharrlich weiter daran, vom Parti Socialiste zu erhalten, was noch lebendig ist. Mehr als die vage Chance, von Macron massenhaft enttäuschte Wähler für den PS zurückzugewinnen, ist auf kurze Sicht kaum denkbar – trotz des durch die Proteste der „gilets jaunes“ mittelschwer angeschlagenen Präsidenten.

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