Schöne Seelen

1952 Vor 60 Jahren kommt es zum Bruch zwischen Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Der Streit über das Verhältnis zwischen Moral und Politik im Kalten Krieg entzweit sie

Jean-Paul Sartre und Albert Camus lernten sich in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1943 kennen. Sartre war seinerzeit Philosophielehrer am Lycée Condorcet und führte das Leben eines intellektuellen Bohemiens. Er gehörte zum Pariser Kulturleben und zum Kreis um Max Ernst, Picasso und Juan Gris. Irgendwann stieß Camus zu dieser illustren Gesellschaft.

Sartre hatte bereits seinen Roman Der Ekel und einige andere Werke, darunter das Drama Die Fliegen und die philosophische Studie Das Sein und das Nichts veröffentlicht. Bei Camus sorgte besonders dessen Roman Der Fremde für Aufsehen. Im Juni 1944 schließlich quittierte Sartre seinen Dienst als Lehrer und arbeitete auf Einladung von Camus an dessen Zeitung Combat mit. Ein durchaus freundschaftlicher Kontakt zwischen beiden täuschte über schroffe Gegensätze hinweg, die soziale wie politische Wurzeln hatten.

Soziales Gefälle

Der Historiker Jacques Julliard will in einem 1996 geschriebenen Essay von einer echten Freundschaft nichts wissen. Die geistere als „Mythos“ durch die Erinnerung, schreibt er und hat wohl recht. Camus stammte aus einer weißen Proletarierfamilie in Algerien – Sartre war gutbürgerlicher Herkunft und Absolvent der Elitehochschule École Normale d’Administration. Camus‘ Mutter war Putzfrau und Analphabetin, Sartre war mütterlicherseits verwandt mit dem elsässischen Clan der Schweitzers, einer Pastoren- und Lehrerdynastie. Camus arbeitete aktiv in der Résistance gegen die deutsche Besetzung des Landes, während Sartre es vorzog, eher so etwas wie ein Amateur-Résistant oder Sympathisant des Widerstandes zu sein. Sartre war ein „Königskind“, Camus ein „Armenkind“, wie es der französische Historiker Michel Winock formuliert.

Das soziale Gefälle der Herkunft wie die politischen Konflikte blieben in den Nachkriegsjahren unausgesprochen, obwohl Camus schon in dieser Zeit gern jene scharf anging, die nie etwas anderes getan hätten, als „ihren Fauteuil nach dem Geschichtsverlauf“ auszurichten. Dann aber änderte sich das Verhältnis zwischen Sartre und Camus schlagartig, nachdem Camus im Herbst 1951 seine Essay-Sammlung Der Mensch in der Revolte veröffentlicht hatte.

Sartre ärgerte sich derart über den verwegenen Ritt des Autors durch die Weltgeschichte, dass er das Buch in seiner 1945 gegründeten Zeitschrift Les Temps Modernes nicht besprechen wollte. Erst im Mai 1952 druckte das Blatt zu guter Letzt einen Totalverriss von Francis Jeanson. Der Verfasser – er sollte sich nach 1954 große Verdienste in der Opposition gegen den Kolonialkrieg der französischen Armee in Algerien erwerben – wählte eine ebenso einfache wie polemische Beweisführung gegen Camus. Weil in Frankreich die politische Rechte das Buch gegen die Moderne, gegen Sozialismus und Kommunismus begeistert begrüßte, etikettierte es Jeanson als „rechtes Buch“ und Elaborat einer geschichtsvergessenen „schönen Seele“. Dabei verstand sich Camus selbst als libertär, wollte „Anarchist“ wie „Syndikalist“ sein und ging stets zu den Wahlen, während Sartre diese Voten als „Idiotie“ verachtete und zeitweise glaubte, die KPF allein repräsentiere „das“ französische Proletariat.

In seiner langen Replik auf die Kritik nannte Camus weder den Rezensenten noch Sartre beim Namen und adressierte seinen Widerspruch nur an „Monsieur le Directeur“. Über weite Strecken verlegte er seine Polemik vom politischen auf das psychologische Feld und geißelte „jene bürgerlichen Intellektuellen, die ihre Herkunft abbüßen wollten, und sei es um den Preis der Widersprüchlichkeit und einer gewalttätigen Verabschiedung von ihrer Intelligenz“. Camus warf Sartre und Jeanson zudem vor, den Marxismus als „Religion der Geschichte“ zu verkleiden, mit der sogar die stalinistischen Zwangsarbeitslager gerechtfertigt würden. Camus sprach vom „KZ-Sozialismus“, den Sartre verteidige.

Ein ungerechter Vorwurf, außerdem verleumderisch. Sartre näherte sich zwar zwischen 1952 und 1956 – also anfänglich noch zu Lebzeiten Stalins – der Sowjetunion und der französischen KP an, aber er rechtfertigte niemals die Repressalien der dreißiger und vierziger Jahre. Er brach mit dem Kommunismus, als der ungarische Aufstand im Herbst 1956 niedergehalten wurde. Dass Sartres Schriften aus jenen vier Jahren – besonders die beiden Bände über Krieg und Frieden – zu dessen Lebzeiten in keinem einzigen Land des Ostblocks gedruckt wurden, spricht für den Urheber und gegen den Vorwurf, er sei „Kommunistenknecht“ gewesen. Einzig Sartres Buch über Henri Martin und dessen mutigen Widerstand gegen den französischen Kolonialkrieg in Indochina (s. Freitag vom 29. 9. 2011) konnte unter dem Titel Wider das Unrecht 1953 im Ostberliner Verlag Volk und Welt erscheinen.

Sartre kritisierte die Diktatur Stalins und dessen Herrschaftsmethoden, doch wandte er sich ebenso vehement gegen einen vulgären Antikommunismus, der viele Köpfe im Westen vernebelte. Die Konstellation Anfang der fünfziger Jahre bot einem linken Intellektuellen im Westen nur die Alternative des „relativen Einverständnisses“ mit der sowjetischen Politik oder einer resoluten Verurteilung derselben. In Korea herrschte Krieg, US-Senator McCarthy verfolgte die Linke in den USA, die Regierung in Paris beschnitt das Demonstrationsrecht und drohte mit dem Verbot der KP. Deren Generalsekretär Jacques Duclos wurde verhaftet und wegen Landesverrats in Haft genommen, weil er in seinem Auto Tauben transportiert hatte. Von denen behauptete der Staatsanwalt allen Ernstes, sie dienten der Übermittlung von Staatsgeheimnissen nach Moskau. Die Hysterie des Kalten Krieges tobte sich aus. In dieser Lage sah Sartre nur noch die Alternative, „sich die Hände nicht schmutzig“ zu machen und zu schweigen oder sich auf die Seite der französischen KP zu schlagen.

Es ist endgültig

Man darf daher die Ursache für den Bruch zwischen Sartre und Camus nicht als Folge persönlicher Animositäten sehen. „Die Zeiten sind hart und wirr“, meinte Sartre. Sie verlangten Entscheidungen für diese oder jene Seite im Kalten Krieg. Sartre trennte sich in dieser Situation auch von den Trotzkisten Claude Lefort und Pierre Naville sowie seinem wichtigsten Mitarbeiter Maurice Merleau-Ponty. Er befand, alle drei verbarrikadierten sich hinter moralisch sicheren, aber politisch sterilen, weil unverbindlichen Positionen.

Auch Camus wurde von Sartre des „Moralismus“ bezichtigt. Er schrieb: „Früher waren Sie der erste Diener Ihres Moralismus, und jetzt bedienen Sie sich seiner ... Wenn ich dächte, die Geschichte sei ein Schwimmbecken voll Dreck und Blut, dann würde ich wahrscheinlich genauso handeln wie Sie.“ Nach dem Zerwürfnis mit Sartre ließ sich Camus von der CIA einspannen und schrieb für die von ihr gesponserten und gesteuerten Blätter Preuves, Encounter und Der Monat.

Was sie beide auseinandertrieb, bedauerte Sartre mit einem langen Artikel und urteilte, Camus sei bedauerlicherweise ein Opfer „verletzter Eitelkeit“. Sicher müsse man die moralische Dimension von Politik anerkennen, nur sei Camus vorzuwerfen, bei diesem richtigen Ausgangspunkt einem Radikalismus zu verfallen, dessen reine Moral staatliche Gewalt und den Widerstand dagegen gleichermaßen als Terror verteufeln würde.

Sartre ließ schon 1952 keinen Zweifel daran, dass der Bruch mit Camus endgültig sei. Zu einer versöhnlichen Geste kam es erst nach Camus‘ tödlichem Autounfall am 4. Januar 1960. In Sartres noblem Nachruf heißt es: „Sein starrköpfiger Humanismus, eng und rein, streng und sinnlich, führte einen ungewissen Kampf gegen die missgestalteten Ereignisse dieser Zeit. Doch durch die Hartnäckigkeit seiner Weigerungen behauptete er mitten in unserer Epoche – gegen die Machiavellisten, gegen das Goldene Kalb des Realismus – immer wieder die Existenz der Moral.“

Rudolf Walther schrieb für die Zeitgeschichte zuletzt über die sowjetischen Noten von 1952 und die Neutralität eines wiedervereinigten Deutschlands

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