Die blutigen Anschläge auf zwei Synagogen in Istanbul und der Anschlag auf eine jüdische Schule in Paris wie schon zuvor die indiskutablen Äußerungen von CDU-Abgeordneten über Juden als "Tätervolk" oder über Moslems, denen "eher die Hand abfaulen" soll, bevor sie für die aller christliche Unionspartei stimmen, lösen Debatten über tatsächlichen und manchmal nur vermeintlichen Antisemitismus und tatsächliche oder nur vermeintliche Islamfeindschaft aus. Ulrich Beck mixte alles mit allem und entdeckte "den neuen europäischen Antisemitismus" als Produkt der "Globalisierung der Emotionen" (Süddeutsche Zeitung, 17. 11. 2003). Manchmal verlaufen diese Debatten anderswo etwas weniger berechenbar-stereotyp, in Frankreich etwa zeigen sich dabei Gelassenheit und vernagelte Apologie.
Tariq Ramadan wurde 1962 in Genf geboren und zwar als Sohn des Schwiegersohns von Hassan al-Banna, dem Gründer der ägyptischen Muslimbruderschaft, die bis zum Sechstagekrieg von 1967 mit Terror und Gewalt so viel zu tun hatte wie die Franziskaner mit Börsenspekulation. Ramadan ist Gymnasiallehrer an einem Genfer Gymnasium und Dozent für Philosophie an der durch und durch katholisch geprägten Universität Fribourg in der Westschweiz. Seine Wochenenden verbringt der eloquente Philosoph am liebsten in Frankreich, wo er in Moscheen über das predigt, was ihn umtreibt: einen aufgeklärten, mit Demokratie und Menschenrechten versöhnten europäischen Islam. In Frankreich ist Ramadan ein prominenter Imam (Vorbeter) und in den Schweizer Medien ein eher argwöhnisch beobachteter Medienstar. Unklarheiten kann man ihm allemal vorwerfen, aber keinerlei Zweideutigkeit bei seiner prinzipiellen Ablehnung von Islamismus, Gewalt und Terror.
Im Oktober veröffentlichte Ramadan auf seiner Netzseite einen Text, der sich unter anderem mit Gewalt befasste und die nur noch peinliche Tatsache registrierte, dass den französischen Medienintellektuellen Bernard-Henri Lévy, Pierre-André Taguieff, Alain Finkielkraut und André Glucksmann - die prinzipiell über alles in der Welt reden - zur repressiven, Menschen wie Infrastrukturen zerstörenden Politik der Scharon-Regierung gar nichts einfällt. Ramadan nannte Lévy Co. schroff "pro-israelische Kommunitaristen", aber etwas unglücklich auch "jüdische Intellektuelle". Er bezeichnete deren "Kommunitarismus" als ebenso verabscheuungswürdig wie jede Form von vulgärem arabischem Antisemitismus.
Umgehend wurde Ramadan daraufhin des Antisemitismus bezichtigt. Im Namen des modischen Pariser "Antitotalitarismus" sprach eine Gruppe von Intellektuellen ihm sogar das Recht ab, die Politik Scharons zu kritisieren. Einige Politiker aus der zweiten Liga forderten in Le Monde, dass Ramadan auf dem Europäischen Sozialforum (s. Seite 4) in Paris nicht auftreten dürfe. Die Organisatoren gaben dem jedoch nicht nach.
Dann passierte etwas in Frankreich wie hierzulande Ungewöhnliches: Leute, die ihren Verstand nicht an der Garderobe abgeben, wenn der Vorwurf des "Antisemitismus" erhoben wird, stellten sich hinter den Angegriffenen. Die grünen Spitzenpolitiker Noël Mamère, Alain Lipietz und Yves Contassot gehörten dazu wie die Sprecher von Attac, die den Internet-Text von Ramadan zwar kritisierten, aber nicht, weil er antisemitisch sei.
Die Medienintellektuellen ließen nicht locker. Lévy nannte Ramadans Artikel "ekelerregend", Glucksmann raunte von einer "antisemitischen Obsession" des Philosophen und Predigers. Richtig aufgedreht hat jedoch erst das liberal-konservative Magazin Le Point. Deren Chefkolumnist Claude Imbert, zugleich Mitglied einer Expertenkommission, die sich mit der Integration von Einwanderern beschäftigt, holte zum populistischen Rundumschlag aus. Er denunzierte nicht etwa politisch extremistische und sektiererische Islamisten, sondern explizit "den" Islam schlechthin als eine "seit dem 13. Jahrhundert verkalkte Religion", die nur "den Schwachsinn verschiedener Rückständigkeiten" enthalte. Als Beleg für sein Verdikt zitierte er - in einem Atemzug - den aufgeklärten Religionskritiker Voltaire und den unsäglichen Michel Houellebecq. Das war dann den Mitredakteuren von Le Point zu viel. Sie forderten eine Redaktionskonferenz, in der die "islamophoben Ausfälle" des Kolumnisten Imbert diskutiert werden sollten.
Dagegen sprang die FAZ den attackierten Pariser Intellektuellen bei. In einem langen Interview bot die Zeitung am 12. November Alain Finkielkraut die Möglichkeit, Ramadan, die Globalisierungskritiker und das Pariser Sozialforum pauschal des Antisemitismus zu bezichtigen. Finkielkraut sagt von sich selbst, er sei "Zionist, aber kein Anhänger von Scharon", was ihn aber nicht daran hindert, dessen Mauerbau mit der absurden Behauptung zu verteidigen, "Israel" handle "nicht als ein Eroberer", sondern befinde sich "in einem Zustand der Belagerung". Er sieht in dem menschen- und völkerrechtswidrigen Monstrum "eine Mauer der Angst, auch der Schande, aber keine Mauer der Apartheid... Israel ist eine moderne Demokratie, die sich zur Gleichheit aller Menschen bekennt." Wie es die israelische Regierung und große Teile der israelischen Gesellschaft tatsächlich mit der Gleichheit und Gleichbehandlung von arabischen Israelis - und erst recht Palästinensern - hält, sagt dieser Apologet nicht. Den Globalisierungsgegnern unterstellt er pauschal, sie würden "Hakenkreuz und Davidsstern" gleichsetzen und stilisiert sich selbst als Opfer einer Ausgrenzung, nur weil Ramadan die Rechtfertigungen der israelischen Politik scharf kritisierte. Mit notorischem Pathos beschwört Finkielkraut gern "die Gedankenfreiheit", am liebsten für sich selbst, und die Apokalypse fürs Ganze: "Die Welt ist zu einem einzigen Tribunal geworden."
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.