Selbstabdankung

GRÜNER KONFORMISMUS Rostock und die Schäbigkeit des ultimativen Zwangs

Was ist eine "Bundesdelegiertenkonferenz", wie die Parteitage von Bündnis 90/Die Grünen offiziell heißen? Papiermäßig gesehen das Organ, das die Leitlinien der Politik der Öko-Partei bestimmt. In Rostock sollte die Stellung der Partei zu Krieg und Frieden definiert werden - also keine Kleinigkeit, sondern eine "historische Entscheidung", wie Annelie Buntenbach feststellte. Die Führungsriege von Claudia Roth bis Joschka Fischer dagegen wollte über alles reden, nur nicht darüber, warum im Namen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ausgerechnet in Afghanistan Krieg geführt wird, obwohl jedem Zeitungsleser klar ist, dass die mörderischen Anschläge in europäischen und amerikanischen Metropolen geplant und über finanzielle und technische Netzwerke verwirklicht wurden, die im verarmten Afghanistan nicht zur Verfügung stehen.

So wenig es eine Woche zuvor im Bundestag um Gewissensentscheidungen ging, so wenig drehte sich die Debatte auf dem Parteitag der Grünen ernsthaft um Krieg und Frieden. Der Bundeskanzler brauchte am 16. November für sich selbst und den Kriegseinsatz eine eigene Mehrheit. Weder hat der Bundeskanzler genial gezockt, noch hat er die Grünen vorgeführt oder diese gedemütigt mit seiner taktischen Verquickung von Kriegs- und Vertrauensfrage. Selbstabdankung war das Eintrittsbillett der Grünen, um in der Regierung des Auto-, Arbeitslosen- und Atomkanzlers mitspielen zu dürfen. Als der die Zustimmung zum Krieg mit der Vertrauensfrage vermengte, wurden nicht Grüne gedemütigt, sondern das Parlament und der Parlamentarismus. Was lernten die Grünen daraus?

Die Lehrlinge folgten in Rostock dem Meister und stellten zwischen Kriegsbeteiligung und Regierungsverbleib ein Junktim her. Für den grünen Konformismus stellt sich die Kriegsfrage in der Preislage von Dienstwagen und Versorgungsansprüchen. Mitregieren heißt auch Kriegführen, Kriegführen heißt Bombardieren. Wozu? Für die Nordallianz, für Bush, für das seelische Gleichgewicht der Amerikaner, für die afghanischen Frauen, für die Kinder, für die Flüchtlinge?

Vom Verfassungstext her gesehen, ist das Parlament der Ort, an dem ein demokratisch legitimiertes, politisch verantwortliches Gesetzgebungsorgan nach sachgerechten Beratungen Beschlüsse fasst. Für die innerparteiliche Demokratie spielen Parteitage eine analoge Rolle. Im Parlament wird, wie Jürgen Habermas formuliert, "der Pluralismus der Überzeugungen und Interessen nicht unterdrückt, sondern entfesselt und in revidierbaren Mehrheitsentscheidungen wie in Kompromissen anerkannt". Und emphatisch fährt der Philosoph fort, dass erst "auf der Grundlage anarchisch entfesselter kommunikativer Freiheiten" demokratisch legitimierte Beschlüsse zustande kommen. Mehr als von entfesselter Freiheit war im Bundestag und in Rostock etwas von der Schäbigkeit des ultimativen Zwangs zu spüren.

Indem der Kanzler und das grüne juste milieu die Frage der Kriegs- mit jener der Regierungsbeteiligung koppelten, zwangen sie die Abgeordneten und Delegierten, ihre prinzipiell unbeschränkte kommunikative Freiheit im strategisch abgeschirmten Horizont von winkeladvokatorischen Koalitionskalkülen auszuüben. Fischer forderte, "die Basis muss Verantwortung übernehmen" und meinte damit nur, sie soll die längst getroffene Entscheidung des koalitionspolitischen Klüngelbetriebs abnicken. Legal mag es in der Verknüpfung von Sach- und Vertrauensfrage im Bundestag wie auf dem Parteitag allemal zugegangen sein. Aber der rustikale Charakter des Verfahrens verletzt die einfachste Grundregel demokratisch verstandener Legitimität.

Natürlich kann man Legitimitätsfragen immer als Fragen des politischen Geschmacks abtun. Doch die Rigidität, mit der die sozialdemokratische und die grüne Führungsriege die im Prinzip gleichberechtigten Abgeordneten wie Delegierten für ihre durchsichtigen Kalküle instrumentalisierten, geht an die Substanz. Das Verfahren untergräbt im einen Fall das Ansehen des Parlaments, im andern ruiniert es den Rest an Glaubwürdigkeit einer Partei, der die Wähler scharenweise davon laufen.

Schröder übersetzte Carl Schmitts Parlamentarismuskritik - alle reden, keiner entscheidet - ins Sozialdemokratische: Ich entscheide, danach dürfen alle darüber reden. Es war das Gespenstische der Parlaments- wie der Parteitags"debatte", dass sie genau so aussahen, wie Schmitt 1923 den Parlamentarismus der Weimarer Republik denunziert hat: "Das Wesentliche des Parlaments ist also öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion, Parlamentieren" - und er meinte das in dem abwertenden Sinne, dass im Parlament alle über Fragen reden, die anderswo längst entschieden worden sind. Dem ebenso langwierigen wie folgenlosen Reden des Parlaments setzte Schmitt das entgegen, was er "Staatlichkeit" nannte. Die sei charakterisiert durch "das Monopol politischer Entscheidung". "Dieses Glanzstück okzidentalen Rationalismus" beruhte angeblich darauf, Politik - also die Definition von Feinden und damit den Bezug auf "die reale Möglichkeit der physischen Tötung" - im Innern durch Polizei zu ersetzen und das Politische auf das antagonistische Verhältnis zwischen Staaten zu beschränken.

Es geht hier nicht darum, Schröder und Fischer zu unterstellen, sie hegten polizeistaatliche Homogenisierungsträume wie der Staatsrechtler Schmitt, der "Andersdenkende, Andersempfindende und Andersgeartete" polizeilich disziplinieren, entrechten und ausbürgern wollte. Aber beide machten durch die Verquickung von Kriegs- und Vertrauensfrage die parlamentarischen Mehrheitsfraktionen wie den Parteitag zu Akklamationsmaschinen für Beschlüsse, die ernsthaft nicht mehr zur Debatte standen. Sie wurden zu jener jämmerlichen Farce und zu jener scheindemokratischen Alibiveranstaltung, als die Schmitt einst den Parlamentarismus und die Parteiendemokratie hingestellt hatte. Diesem antiparlamentarischen Ressentiment haben Schröder Fischer kräftig Auftrieb verschafft.

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