So sank sie hin

Aufhaltsamer Abstieg Sollte die SPD der Macht entsagen, um sich als Partei zu regenerieren?

Schröder Fischer regieren nun schon fünf Jahre lang. Aber haben wir überhaupt eine Regierung? Doch eher eine Geschäftsführung, die das Volk mit Routine und ruhiger Hand durch die Zeitläufe führt, in denen Schicksalsfragen wie das Dosenpfand und das LKW-Mautsystem oder die Verschiebung der Rentenauszahlungstermine und die Geflügeleinfuhr ganz oben auf der "politischen Agenda" stehen. Politisch jedenfalls - verstanden als Ensemble dessen, was alle angeht - agierte diese Regierung nur ganz selten. Und wenn, dann scheiterte sie, wie im Fall der doppelten Staatsangehörigkeit, als die demagogische Kampagne des hessischen Winkeladvokaten genügte, um das Vorhaben auf halbem Wege abzubrechen.

Kurz danach begann das kommissionsbetriebene Trauerspiel mit allerlei "Reformen". Am nachhaltigsten wirkte bislang die Steuer"reform" - auf die Finanzämter. Die treiben jetzt unten Steuern ein, um große Teile davon dem Big Business, das kaum noch Steuern bezahlt, zurückzuerstatten. Nicht, dass es keinen Bedarf an Politik gäbe. Die sozialstaatlichen Versicherungssysteme bedürfen einer gründlichen Überholung. Zwei zentrale Probleme wären dabei zu lösen: Erstens müssen die immer weniger als Norm geltenden "normalen Lohnarbeitsverhältnisse" und die Finanzierung der Sozialversicherungen entkoppelt werden, und zweitens sollten alle Bevölkerungsgruppen und alle Einkommensformen in die Finanzierung einbezogen werden. Das eine läuft auf steuerfinanzierte Versicherungssysteme hinaus, das andere auf die Beseitigung von Privilegien für Aktionäre, Beamte und andere Gruppen.

Statt diese Strukturprobleme anzugehen, vertraute sich die Berliner Geschäftsführung diversen Expertengremien und Kommissionen an. Aus deren allesamt neoliberal imprägnierten Vorschlägen bastelten Schröder Fischer schließlich die "Agenda 2010" - ein reichlich konfuses Sammelsurium von Abbau-, Kürzungs- und Verschärfungsmaßnahmen von zweifelhafter Wirksamkeit. Sie folgen weder einem stringenten Konzept, noch ging der freihändigen Improvisation eine fundierte und breite Debatte in den Parteien oder gar der Öffentlichkeit voraus. Dem Widerstand gegen die allenfalls kurzfristig Luft gewährende Bastelei begegnet Schröder nicht politisch, in dem er die Notwendigkeit, Wirksamkeit und soziale Ausgewogenheit seines Maßnahmenkatalogs argumentativ verteidigt, sondern autoritär - mit Rücktrittsdrohungen und der Verleumdung von Kritikern, die seinen Kurs nicht mittragen wollen.

Warum sind zwei Parteien, die einst der gesellschaftlichen Veränderung verpflichtet waren, nicht einmal mehr in der Lage, Reformkonzepte, die diesen Namen verdienen, vorzulegen? Warum ersetzen dilettantische Flickschustereien auf der ganzen Linie politische Konzepte? Ob sich solche durchsetzen ließen, ist eine andere Frage - Schröder Fischer jedoch gelingt seit dem Rücktritt Lafontaines nicht einmal mehr der erste Schritt - nämlich etwas konzeptionell Überzeugendes jenseits neoliberaler "Lösungen" wenigstens zur Diskussion zu stellen.

So schrumpft politisches Denken zur geschäftsführenden Verwaltung des Status quo, wenn den Verantwortlichen schon die Idee, dass es anders sein könnte und anders sein müsste, abhanden gekommen ist. Wer nicht einmal mehr eine Vorstellung von einer "kommenden Demokratie" (Jacques Derrida) zu entwickeln vermag, der versumpft. Die gespenstische SPD-Debatte um die programmatische Orientierung an sozialer Gerechtigkeit macht dies deutlich. Natürlich wird im Detail immer strittig bleiben, was soziale Gerechtigkeit bedeutet. Aber wenn man auf diesen Begriff aus Defätismus oder Konformismus von vornherein verzichtet, muss man politisch abdanken, weil sich dann nur noch orientierungs- und konzeptionslos vor sich hin werkeln lässt. Der Zwiespalt zwischen pragmatischem politischem Handeln und der Orientierung der Politik an der unverzichtbaren Idee von sozialer Gerechtigkeit bleibt unaufhebbar, weil nicht abzusehen ist, welche Konturen letztere in der Zukunft haben wird. Soziale Gerechtigkeit bleibt immer unfertig. Wenn Politiker und Parteien ihr Handeln nicht wenigstens an dieser Idee messen, werden sie schlicht überflüssig. Eine ordentliche Geschäftsführung garantiert - im Prinzip - jede Verwaltung.

Es gibt Anzeichen dafür, dass in der Schröder-SPD und noch ausgeprägter bei den Fischer-Grünen die Erosion des politischen Denkens weit fortgeschritten und die Dominanz von Machterhalt und Karriereplanung übermächtig ist. Die SPD schlingert auf einem Kurs zur 25-Prozent-Partei, und die Grünen profitieren (noch) davon. Angesichts dieser desolaten Zustände und Aussichten nehmen die Spannungen in der SPD zu, und es ist durchaus noch offen, ob es Gerhard Schröder und Franz Müntefering zum 17. Oktober nochmals gelingt, eine präsentable Mehrheit für die "Agenda 2010" zusammenzuprügeln, auch wenn sich jetzt Kompromisse mit den Widersachern in der Fraktion abzeichnen.

Falls man an eine Zukunft der SPD als politische Partei - und nicht als Kanzler-Club - denkt, kann man nur hoffen, dass die Regierung Schröder Fischer möglichst bald scheitert. Ein schneller Machtverzicht ist einem noch drei Jahre andauernden Dahinsiechen vorzuziehen. Eigentlich kann man der SPD nur raten, sofort auf die Macht zu verzichten, sich in der Opposition auf ihre Tradition zu besinnen und als politische Partei zu regenerieren. Die Aussichten, nach einer solchen Erholungsphase 2010 eine konservative Regierung abzulösen, sind jedenfalls eher größer als die Chancen von Schröder Fischer, über 2006 hinaus an der Macht zu bleiben.

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