Tag des Volkszorns

Generalstreik Gegen Sarkozys Krisenmanagement wird in Frankreich mit einem Generalstreik des öffentlichen Dienstes protestiert. Die Regierung befürchtet "griechische Verhältnisse"

Zu diesem Generalstreik gibt es drei Meinungen. Erstens, es handelt sich um ein verspätetes Geburtstagsgeschenk für Nicolas Sarkozy einen Tag nach seinem 54. Geburtstag, ein Dank dafür, dass er angesichts der realen Krise in mediale Hyperaktivität flüchtet. Zweitens, es geht um eine Provokation des harten Kerns gewerkschaftlicher Aktivisten gegen die Regierung. Drittens, die schweigende Mehrheit protestiert aus Unzufriedenheit mit ihrer ökonomischen und sozialen Lage. Einige Indizien sprechen dafür, dass es heute um mehr geht als um einen Zufall oder politische Spielereien von Gewerkschaftsfunktionären.

Opportunismus des virtuellen Dabeiseins

Am Streik beteiligen sich alle Gewerkschaften mit der freilich eher vagen Forderung: „Für Beschäftigung und Kaufkraft, gegen die Krisenpolitik“ der Regierung. Es kursiert auch die Parole vom „Tag des Volkszorns“, immerhin hat sich auch der Parti Socialiste (PS) solidarisiert. Aber schon, wie sich die PS-Granden beteiligen, wirft Fragen auf. Sie marschieren nicht an der Spitze der Demonstration mit, nicht mitten drin und auch nicht am Schluss. Um alle Gerüchten zu unterlaufen, die Partei wolle den sozialen Protest der Unzufriedenen instrumentalisieren, hat man sich darauf verständigt, Solidarität dadurch zu bekunden, dass sich die Parteiführung auf einer Bühne präsentiert, an der die Streikenden wie Soldaten beim Defilée vor dem Generalstab vorbei marschieren. Eine defensive Taktik, die manche als Opportunismus des virtuellen Dabeiseins auslegen, um – wenn es schief geht – dem Vorwurf des Mitgegangen-Mitgefangen ausweichen zu können.

Deutungsschwierigkeiten gibt es gleichfalls bei den Gewerkschaften. Was heißt Generalstreik? Wer streikt? Was bedeutet es faktisch, wenn 70 Prozent der Franzosen in Umfragen beteuern, der Streik sei „gerechtfertigt“, die wenigsten aber wirklich den ganzen Tag streiken? Die Arbeit niederlegen werden besonders die Beschäftigen im öffentlichen Dienst – bei der Bahn und Post, im Nahverkehr, in der Verwaltung und vor allem in Schulen und Universitäten. Wer bei privaten Unternehmen (Automobilbau, Banken, Börse) arbeitet – dort liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad gerade noch bei drei Prozent –, wird nur in Ausnahmefällen mit streiken.

Die Regierung hat Angst vor griechischen Verhältnissen

Trotz der relativen Schwäche des heutigen Protests – die Regierung hat kalte Füße. Der Präsident verschob seine Afrika-Reise und beklagte in einem Interview an seinem Geburtstag, Frankreich sei „nicht das am leichtesten zu regierende Land der Welt“, und seit der Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793, sei es auch ein „königmörderisches Land“. Eine sentimentale Phrase, weil Ludwigs Todes- und Sarkozys Geburtstag nur eine Woche – und 162 Jahre – auseinander liegen. Ernster zu nehmen ist die Angst der Regierung vor griechischen Verhältnissen. Sie nahm schon Wochen vor dem angekündigten Streik eine höchst unpopuläre Gymnasialreform zurück, weil sie befürchtete, das soziale Aufbegehren der Gewerkschaften und die Empörung von Schülern, Lehrern und Eltern könnten sich gegenseitig hochschaukeln.

In dieselbe Richtung deutet auch die Aufforderung Sarkozys an seine Partei, sich die Begriffe „Arbeitnehmer“, „Arbeiter“ und „Fabriken“ wieder anzueignen und sich denen zuzuwenden, die „aufgegeben wurden und sich den Extremen zugewandt haben.“ Sarkozy war zwar 1968 erst 13 Jahre alt, aber „das Trauma von 68“, wie es die Zeitung Le monde gerade genannt hat, prägt ihn wie die gesamte politische Elite seit General de Gaulle, der damals für einige Tage nach Baden-Baden flüchtete.


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