Tod eines Vorkämpfers

Intellektuelle Francis Jeanson ist tot. Der Wegbegleiter Jean-Paul Sartres war einer der führenden französischen Intellektuellen gegen den Algerienkrieg

"Jeanson stellt seine Koffer ab", lautete der Titel des Nachrufs in der TageszeitungLibération. Eine Anspielung: "Kofferträger" nannte man in der Zeit des Algerienkriegs (1954-62) jene mutigen Franzosen, die die algerische Befreiungsfront ("Front de Libération Nationale" FNL) ideell und materiell unterstützten.

Der am 7. Juli 1922 in Bordeaux geborene Francis Jeanson schloss sich 1943 den französischen Truppen in Nordafrika an und arbeitete als Kriegsreporter. Nach dem Krieg studierte er und wurde Mitarbeiter beim renommierten Verlag du Seuil. Als Redakteur der Zeitschrift Les Temps Modernes kam er in den Wirkungskreis von Jean-Paul Sartre. 1952 schrieb Jeanson den geharnischten Artikel gegen L’homme révolté (1951) von Albert Camus. Dieser Verriss besiegelte die Trennung Sartres von Camus, die Trennung von politischer und existentialistischer Perspektive. Die Sartre-Biografin Annie Cohen-Solal meint, die Schärfe von Jeansons Kritik hätte Sartre eher missfallen, aber dieser distanzierte sich nicht von seinem Mitarbeiter, sondern nützte Camus’ weinerliche Eitelkeitspirouetten für einen Gegenangriff: "Aber sagen Sie doch, Camus, wie soll das zugehen, dass man nicht über ihre Bücher diskutieren kann, ohne dass man der Menschheit ihre Gründe zu leben nimmt?"

Schon früh, 1955, schrieb er zusammen mit seiner Frau Colette eines des wichtigsten Bücher gegen den Algerienkrieg: L’Algérie hors la loi ("Algerien jenseits des Gesetzes"). Das Buch inspirierte die algerischen Revolutionäre ebenso wie die innerfranzösische Opposition gegen den verbrecherischen Kolonialkrieg. 1957 ging Jeanson in den Untergrund und wurde Begründer und Kopf des "Netzwerkes Jeanson" ("Réseau Jeanson"), zu dem neben Kommunisten auch zwei Priester gehörten. Das "Netzwerk Jeanson" spezialisierte sich auf den Transport und die Unterkunft von FLN-Angehörigen, von Geld, Waffen und andern Hilfsgütern. Im September 1958 erschien Jeansons Kampfschrift mit dem Titel Wahrheiten über, in der er erklärte, worum es ging: "Breite und präzise Informationen suchen, sammeln, prüfen und verbreiten, um zu zeigen, was ein schwieriger Kampf gegen einen entschlossenen, gut organisierten und finanziell potenten Gegner benötigt."

Schauprozess

Nach einer geheimen Pessekonferenz von Jeanson am 15. April 1960 wurde einer der Journalisten, der darüber berichtete, verhaftet. Es begann eine regelrechte Verhaftungswelle, was Jeanson aber nicht daran hinderte, einen weiteres Pamphlet mit dem Titel Unser Krieg zu veröffentlichen. Der diente bei der nachfolgenden Gerichtsverhandlung dem Ankläger als Begründung für die Straftatbestände "Aufruf zum Ungehorsam" und "Landesverrat". Jeansons kompromisslose Solidarität mit dem FLN und dem algerischen Volk spaltete zunächst die links-liberale und die linke Opposition gegen den Algerienkrieg.

Teilweise wurde der Vorwurf laut, Jeanson "sakralisiere" den FLN. Im September 1960 wurde der abgetauchte Jeanson von einem Militärgericht in Abwesenheit zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, aber 1966 amnestiert - vier Jahren nach dem Ende des Algerienkriegs, der in der Unabhängigkeit des nordafrikanischen Landes mündete. Der Schauprozess des französischen Militärs gegen das "Netzwerk Jeanson" entwickelte sich jedoch Bumerang: Am ersten Prozesstag, es war der 5. September 190, erschien das Manifest der 121 gegen den Algerienkrieg, die Foltermethoden und andere Kriegsverbrechen. In Frankreich erschien das Manifest nur in homöopathischen Dosen; von Simone de Beauvoir und André Breton über Marguerite Duras und Nathalie Sarraute, Alain Robbe-Grillet und Simone Signoret bis zu Jean-Paul Sartre und Claude Simon unterzeichneten alle wichtigen Künstler und Intellektuellen den Protest.

Nach der Amnestierung 1966 machte André Malraux Jeanson zum Direktor der "Maison de la Culture" in Chalon-sur-Saône, die er von 1967-1971 leitete. Danach engagierte er sich für neue Formen psychiatrischer Betreuung außerhalb geschlossener Anstalten. Am 1. August 2009 ist Jeanson im Alter von 87 Jahren in der Nähe von Arcachon in Südwestfrankreich gestorben.

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