Verdächtiges Raster

Polizei Ethnische Gesichtschecks der Polizei sind EU-weit Standard geworden, aber nicht effektiv, belegt eine Studie. Sie heizen Konflikte an, auch in den Banlieues um Paris

Eben begann in Pontoise der Prozess gegen zehn Angeklagte, die Ende 2007 im Pariser Vorort Villiers-le-Bel die Polizei heftig attackiert hatten. Die Anklage lautet auf "Körperverletzung". In den Pressekommuniqués damals hieß es, die vom Scheitel bis zur Sohle buchstäblich gepanzerten Ordnungskräfte seien "leicht verletzt" worden. Was das heißt, bleibt ein Rätsel. Wie er überhaupt wenig sinnvoll erscheint, unmittelbar vor dem Nationalfeiertags am 14. Juli, der schon oft Anlass für Krawalle war, Bagatelldelikte zu ahnden.

Exemplarisch sind die Vorgänge in der Nacht zum 28. Juni 2009 in Tremblay-en-France, im Norden von Paris. Dort gerieten zwei Jugendgangs aneinander, die sich gegenseitig mit Steinen und Feuerwerkskörpern bewarfen. Als die Gendarmerie auftauchte, verbrüderten sich die Kombattanten, es kam zu den üblichen Scharmützel bis in den frühen Morgen. Zwei Tage später begab sich Henri Guaino – ein enger Berater von Nicolas Sarkozy – um ein Uhr nachts auf Inspektionstour mit einer Polizeipatrouille in ein "sensibles" Quartier der Stadt Montfermeil. Als Jugendliche den Konvoi entdeckten, fühlten sie sich provoziert bewarfen die Autos mit Feuerwerkskörpern. Die lokale Gendarmerie weiß in der Regel um derartige Reaktionen und dosiert ihre Präsenz. Insofern wirkte Guianos Rechtfertigung, er habe sich "nur" ein Bild der Lage verschaffen und den Polizei-Alltag kennen lernen wollen, wie reine Heuchelei.

Dieser Eindruck wird durch eine Studie des Open Society Institute (OSI) erhärtet, das von der Soros-Stiftung finanziert wird. Die Wissenschaftlicher untersuchten in mehreren EU-Ländern die polizeiliche Strategie bei "Kontrollen nach dem Gesicht" ("ethinic profiling" oder "contrôles au faciès"). Die Ergebnisse sind niederschmetternd.

Diskriminierend und kontraproduktiv

Sidique Khan, Kopf der Bombenleger, die am 7. Juli 2005 in London einen Anschlag verübten, der 52 Menschen das Leben kostete, war den Sicherheitsbehörden bekannt. Aber er passte nicht ins ethnische Raster, das nur Rasse, Religion und Herkunft kennt, und wurde deshalb als "ungefährlich" eingestuft. Als britischer Staatsbürger und in England geborener Sohn pakistanischer Eltern rutschte Khan buchstäblich durch das grobschlächtig ethnisch-religiös-nationale Raster.

Fahndung und Kontrollen nach ethnisch-religiösen Kriterien wurden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 weltweit salonfähig. Die Studie des OSI belegt, dass derartige Methoden diskriminierend, menschenrechtswidrig und obendrein kontraproduktiv sind, weil sie ganze Bevölkerungsgruppen pauschal zu Verdächtigen machen und bestehende Spannungen nicht abbauen, sondern verschärfen.

Effektiver als die stigmatisierende Kontrolle ist die präzise Beobachtung des Verhaltens von Personen. Die Studie ergab unter anderem, dass erfahrene Zöllner beim US-Zoll mit 25 Prozent weniger, dafür gezielten Durchsuchungen rund acht Prozent mehr Schmuggelgut entdeckten als bei wahllosen Checks nach dem Gesicht. In Madrid reduzierte die Polizei das Vorgehen nach ethnisch-religiösem sowie nationalem Raster um 60 Prozent und vertraute mehr auf Beobachtung. Die Entdeckung strafrechtlich relevanter Tatsachen stieg daraufhin von sechs auf 28 Prozent. Rund acht Millionen "Anfragen" in polizeilichen Datenbanken in einem einzigen Jahr in Deutschland haben keinen einzigen Terroristen enttarnt. In Frankreich sorgten die permanenten Personenkontrollen nach dem Gesicht in den Banlieues für stetig schlechtere Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung. Kaum verwunderlich, denn für einen Nicht-Weißen ist die Wahrscheinlichkeit, kontrolliert zu werden, 7,8 Mal größer als für einen Weißen.

Drang nach Parallelwelten

Mit Kontrollen auf der Grundlage, wie jemand "ist" oder zu sein scheint – Schwarzer, Araber Muslim –, statt darauf, was jemand konkret tut, wird weder zusätzliche Sicherheit erreicht noch vermieden, das ganze Milieus kriminalisiert werden. "Es gibt keine Belege dafür, dass herkunftsbasierte Personenprofilermittlungen Straftaten und Terrorismus verhindern", also die Sicherheit erhöhen, wie die Regierungspropaganda verspricht. Sicher ist dagegen, dass solche Kontrollen bei den Kontrollierten als schikanös und diskriminierend ankommen. Sie wirken verunsichernd und treiben die Kontrollierten zur ethnisch, religiös oder national motivierten Solidarisierung und zum Drang nach Parallelwelten. Polizeiliche Kontrollen nach dem Gesicht, so das Ergebnis der Studie, heizen Konflikte an.

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