Von Beuys bis Zappa

Ausstellung In Frankfurt ist Abisag Tüllmann eine Ausstellung gewidmet. Das Werk der Fotographin umfasst tausende Aufnahmen unterschiedlichster Themen

Frankfurt am Main, 1968, und der Titel des Bildes tut harmlos-nüchtern: „Im ‚Terrassencafé‘“ von Abisag Tüllmann

Im Oktober wäre die 1996 mit nur 61 Jahren verstorbene Fotografin Abisag Tüllmann 75 Jahre alt geworden. Das Frankfurter Historische Museum widmet ihr deshalb eine opulente Ausstellung mit rund 450 Originalabzügen. Die frei schaffende Fotografin war nie bei einer Zeitung oder Agentur unter Vertrag und hinterließ ein Werk mit 600.000 Negativen, 70. 000 Abzügen und 34.000 Diapositiven. Der Nachlass befindet sich im Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und im Deutschen Theatermuseum. Die Fotografin arbeitete als Fotojournalistin für Tageszeitungen, Illustrierte und Fachzeitschriften. Sie besorgte ihre Aufträge selbst, entwickelte ihre Filme in der Dunkelkammer ihrer Wohnung und kümmerte sich um den Vertrieb.

1935 in Hagen/Westfalen geboren, kam Abisag Tüllman 1957 nach Frankfurt, wo sie fortan lebte und arbeitete, wenn man davon absieht, dass sie viele Reisen unternommen hat – nach Italien, Frankreich, England und Polen ebenso wie nach Algerien, ins südliche Afrika und nach Israel, wohin sie zwischen 1981 und 1988 jedes Jahr fuhr. In der Fachwelt machte sie sich einen Namen als Theaterfotografin bei Claus Peymann, Peter Stein, George Tabori, Ruth Berghaus und Robert Wilson und mit Schauspielern wie Bernhard Minetti, Bruno Ganz und vielen anderen. Die beim Publikum bislang wenig bekannte Theaterfotografin Abisag Tüllman erfährt mit der Ausstellung längst verdiente Anerkennung.

Herausragend ist die Bedeutung von Abisag Tüllman als Chronistin des alltäglichen Großstadtlebens, der Arbeitswelt, der politischen Geschichte und insbesondere der Protestbewegungen in der BRD. Bereits 1963 brachte sie zusammen mit dem Layouter Hans Michel einen Bildband unter dem Titel Großstadt heraus. Der städtische Alltag blieb in ihrem Blickfeld – ob es sich um Obdachlose handelt, die sie ohne sentimentale Nähe fotografierte, oder die innerstädtische Verkehrspolitik in Frankfurt. Auch die beengte Existenz, die italienische und türkische Emigranten in städtischen Barackensiedlungen mit Stockbetten noch bis in die siebziger Jahre führten, fotografierte sie schonungslos mit schwarzweiß-Kontrasten.

Abisag Tüllmann hatte nicht nur einen nüchtern-protokollarischen Blick, sondern konnte auch Geschichten erzählen mit ihren Bildern – ein kleines Kind, das die Radkappe eines Autos wäscht und als Pendant dazu autoverrückte Väter und Mütter, die wochenends gleich im Dutzend ihre VWs und Opel pflegen.

Die Fotografin dokumentierte die Protestbewegungen von Studenten und anderen Bürgern gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Startbahn West und gegen die Zerstörung des Frankfurter Westends durch Spekulanten. Sie beobachtete mit scharfem, aber distanziertem Blick die Akteure der Studentenbewegung – in einem anrührenden Bild etwa Rudi Dutschke bei der Vorbereitung einer Rede in der sonst leeren Garderobe einer Turnhalle. Studenten und Polizisten begleitete sie bei Demonstrationen und Blockaden. Intellektuelle und Künstler von Adorno über Beuys bis zu Zappa fixierte sie beim Debattieren und Arbeiten. Die Kuratoren unter Leitung von Martha Caspers erinnern gebührend an sie.

Abisag Tüllmann (19351996). Bildreportagen und Theaterfotografie. Historisches Museum Frankfurt. Bis 27. März, Katalog 29,80

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