Angesichts der toten Soldaten im „bewaffneten internationalen Konflikt“– so der völkerrechtlich korrekte Ausdruck für das, was sich in Afghanistan abspielt und „umgangssprachlich“ (zu Guttenberg) Krieg genannt wird – kommen vermehrt drei Begriffe ins Spiel, die der Vergangenheit angehören: „Krieg“, „Ehre“, und „Held“. Allen dreien ist gemeinsam, dass sie unter den Bedingungen von Rechtsstaat und Demokratie aus der Zeit gefallen schienen. Sie passen nicht zur Moderne und haben sich historisch, politisch und rechtlich-moralisch erledigt.
Im Völkerrecht spielt der Begriff „Krieg“ seit 1928 (Briand-Kellogg-Pakt) keine Rolle mehr, weil Kriege schlicht geächtet beziehungsweise verboten sind mit Ausnahme des Verteidigungskrieges gegen einen Angreifer. Die beiden anderen Begriffe „Ehre“ und „Held“ sind gebunden an ständische Gesellschaften, in denen jeder Stand über eine spezifische Standesehre verfügte. Für den Adel waren einst die Kriegsehre und die Rolle des Kriegshelden reserviert. Schon Ende des 19. Jahrhunderts war das nur noch Volksverdummung.
Der heruntergekommene Adlige Sir John Falstaff in Verdis Oper (1893) singt nach dem Textbuch von Arrigo Boito (1842-1918) den Grabgesang auf die „Ehre“: „Die Ehre ist kein Wundarzt. Also was? Ein Wort. Was steckt in diesem Wort. Ein Lufthauch, der verweht. Ein schöner Humbug. Ein Toter, kann der Ehre fühlen? Nein. Lebt bei den Lebenden sie nur? Auch das nicht. Denn zu Unrecht blähn Schmeicheleien sie auf.“ Schließlich stellt Sir John Falstaff kategorisch fest: „Ich brauche keine Ehre“.
Man kann im Falstaff-Zitat problemlos „Ehre“ durch „Held“ ersetzen. In Afghanistan sterben keine Helden, auch wenn der Verteidigungsminister das nach Presseberichten seinen Kindern so eintrichtert. In Afghanistan sterben Soldaten bei ihrer Berufsausübung und in einem Auftrag, den ihnen eine parlamentarische Elite gegen den Willen von etwa 70 Prozent der Bevölkerung erteilt hat. Während Jahrhunderten konnten sich Soldaten auf die berufsständische Ehre beziehen, wonach es „beglückend und ehrenvoll ist, für das Vaterland zu sterben“, wie der römische Dichter Horaz (65 bis 8 v. u.Z.) meinte. Mit den Begriffen „Ehre“ und „Vaterland“ konnte dem Soldatentod nachträglich und von den Überlebenden zum Selbsttrost eine Portion Sinn eingehaucht werden. Ein demokratischer Staat hat kein Recht, Bürger im Namen des „Vaterlandes“ in den „Heldentot“ zu schicken.
Um einen Versuch nachträglicher Sinnstiftung handelt es sich auch, wenn tote deutsche Soldaten in pompösen rituellen Staatsaktionen begraben und pathetisch als „Gefallene“ bezeichnet werden. Der Respekt vor den Toten und vor ihren überlebenden Verwandten verlangte – statt Flaggen-, Stahlhelm- und Trompetenzauber – stille Trauer und vor allem ein striktes Redeverbot für Vertreter der Parlamentsmehrheit, die Soldaten gegen den Willen des Volkes in aussichtslose Gefechte schickten.
Außer in den Fällen von legitimer Selbstverteidigung eines unrechtmäßig angegriffenen Landes ist eine solche Sinnstiftung heute nicht mehr möglich, weil der Soldatentod in einem völkerrechtswidrigen Krieg geschah – wie im Irak – oder in einem formal völkerrechtskonformen, bewaffneten Konflikt wie in Afghanistan, dem es jedoch sonst an allem fehlt: an Legitimität, weil die Mehrheit des Souveräns den Konflikt ablehnt, an Rationalität, weil die propagandistische Parole, wonach unsere „Sicherheit“ auch am Hindukusch verteidigt wird, nur substanzloses Gerede ist. Mit dieser Rosstäuscher-Parole wird der weltweite „Krieg gegen den Terrorismus“ begründet, obwohl jeder Leutnant weiß, dass man Terroristen nicht militärisch, sondern nur polizeilich beikommt.
Im Falle Afghanistans kommt hinzu, dass völlig unklar ist, ob überhaupt und gegebenenfalls wie akut Terroranschläge in Berlin oder Frankfurt drohen, wenn die Bundeswehr nicht länger am Hindukusch stehen würde. Dass die Taliban seit 2001 noch imstande sind, weltweit Terroranschläge durchzuführen, ist reine Spekulation oder auch Phrase, die das Kartenhaus der Motive für den Einsatz der Bundeswehr zum Einsturz bringt, wenn man sie auf ihre militärische, finanzielle und logische Konsistenz prüft. Die deutschen Kriegsapologeten scheuen eine solche Überprüfung und ziehen sich lieber auf abenteuerliche Konstruktionen zurück wie das falsche Kriegsbild, das „die“ Deutschen angeblich seit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) umtreibe.
Von solch dumpfen Spekulationen und durchsichtigen Sinnstiftungspirouetten gelangt man umstandslos zu einer Wiederbelebung der „Dolchstoßlegende“, mit der die Schuld an der absehbaren militärischen Niederlage am Hindukusch den Kritikern am „Krieg gegen den Terrorismus“ und an „unserer“ Sicherheitswahrung am Hindukusch in die Schuhe geschoben wird. Die Kritiker der Afghanistan-Expedition der Bundeswehr erscheinen in dieser höchst vernagelten Perspektive als „Landesverräter“ und Helfershelfer der Taliban. Alles wie gehabt.
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